Der Bahnwärter. Hendrik Conscience

Der Bahnwärter - Hendrik Conscience


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Schule gewesen, wie du weißt, Mutter, aber der Lehrer war ein Dummkopf und ließ uns die Zeit mit Nichtsthun verbringen. So lernte ich wenig, und vergaß bald das Wenige, was ich schlecht gelernt. O Mutter, eine gute Schule ist eine unschätzbare Wohlthat., und nun ich die für meine Kinder gefunden, würde ich es als eine Thorheit, ja als ein Unrecht betrachten, davonzulaufen und dieselbe in den Wind zu schlagen.«

      Die alte Frau nickte zustimmend mit dem Kopf, und als ob ihre Gedanken eine andere Richtung genommen hätten, sagte sie mit freudigem Stolz:

      »Ja, unser Alexander, das ist eine Perle von einem Kinde! So gut, so klug und gelehrig! . . . Und seine blinde Großmutter hat er so lieb! Im vorigen Jahr hat er schon so viele Preise davongetragen und jetzt, nicht wahr, wird er wohl den ersten Preis im Schönschreiben bekommen?«

      »Es scheint so, Mutter.«

      »Aber warum bleibt er kürzlich des Abends so lange aus? Ich habe fast nichts mehr von ihm. Ach, es machte mir solche Freude, ihm zuzuhören! Er erzählte mir Alles, was er gelernt und was der Schulmeister ihm mitgetheilt hatte!«

      Aus der Ferne erklang jetzt ein dumpfes, rollendes Geräusch.

      »Da kommt der Zug,« sagte der Bahnwärter. »Bleib sitzen, Mutter, ich kehre im Augenblick zurück.«

      Er begab sich zu der Barriere an seinem Wärterhäuschen und schloß sie an beiden Seiten der Bahn, lief einen Steinwurf weiter, wo er gleichfalls den Weg absperrte und blieb dann stehn, die aufgerollte Flagge in der Hand, bis daß der Zug an ihm vorübergesaust und seinen Blicken entschwunden war.

      Zu der Blinden zurückgekehrt, antwortete er auf ihre Frage:

      »Warum unser Alexander so lange ausbleibt? Das weißt du ja doch, Mutter, Herr Vereichen, der Notar, hat einen Sohn, der etwas älter ist als unser Junge; aber das Lernen wird ihm schwer. Da hat mich nun Herr Vereichen gebeten, die beiden Knaben zusammen spielen, und zusammen ihre Schularbeiten machen zu lassen.«

      »Ja, aber wird das nicht dem Alexander in seinem Weiterkommen hinderlich sein?« bemerkte die alte Frau.

      »Doch nicht, Mutter: Der Notar ist ein achtbarer, gutherziger Mann, die ganze Familie besteht nur aus braven Leuten. Unser Junge wird da gute Manieren lernen. Außerdem sind wir dem Notar zum Dank verpflichtet. Als du und zwei unserer Kinder krank waren, hat er uns treulich beigestanden. Und wenn du nicht leider blind wärest, Mutter, würde so Manches, das uns hier erfreut, dir von ihm sprechen. Die Blumen, die uns hier von allen Seiten entgegen lachen, hat er uns gegeben, unsere Kohl- und Salatpflanzen kommen aus seinem Garten, so wie er nur denkt, daß Etwas uns Freude macht, gibt er es dem Alexander mit oder schickt es sonst herüber . . . Ueberhaupt, Mutter, du magst sagen, was du willst, aber es wäre undankbar, wollten wir uns hier beklagen. Brauche ich doch jetzt nicht wie vormals, zehn Stunden des Tages vom Hause entfernt zu arbeiten. Ich bin von Morgen bis Abend bei den Kindern und bei dir, kann ausruhen, wenn ich will und mein Pfeifchen rauchen, wenn es mir einfällt. Nichts geht uns ab, die Erde, der Himmel und die Menschen sind uns freundlich gesinnt . . . Der Schmied Johann Verhelft lebt hier wie ein König, und obwohl der arme König nur einen alten Waggon zum Palast hat, so ist er doch glücklich und dankt dem höchsten Herrn für sein stilles bescheidenes Loos.«

      Im Gefühle seines Glücks legte er den Arm um die Schultern der Blinden und zog sie an sich.

      »Komm, komm, liebes Mütterchen,« murmelte er, »sei du auch nur glücklich, uns zu Liebe.«

      »Nun ja« ich bin mit meinem Schicksal zufrieden, Jan,« sagte sie, »die trübsinnigen Gedanken überfielen mich nur, weil Alles um mich herum so todtenstill war.«

      »Weßhalb bist du denn nicht in dem Wagen geblieben, bei meiner Frau und den Kindern?«

      »Marianne war am Waschen, ich konnte drinnen kaum Athem holen. Es ist auch so schrecklich heiß gewesen heute!«

      »Nun« Mutter, ich will noch schnell eine Reihe Kartoffeln anhäufen, dann wallen wir zu Haus gehn. Die Wäsche wird ja nun vorüber sein, der Abend dämmert schon.«

      Er kehrte zu seiner Arbeit zurück und ergriff seinen Spaten; da aber sah er auf einem Feldweg seinen Sohn Alexander kommen, den Schulranzen auf dem Rücken und Etwas wie ein Körbchen in der Hand.

      Der glückliche Vater blickte mit Wohlgefallen auf sein Kind. Es war ein kaum zehnjähriger Knabe, mit lebhaften Augen, auf dessen Gesichtchen sich aber schon die Züge ernsten Nachdenkens zeigten.

      Je näher das Kind kam, um so mehr beschleunigte er seinen Schritt, und als es den Landstreifen erreichte, begann es zu laufen, setzte dann das Körbchen auf die Erde und schwang sich, von den starken Armen seines Vaters gehalten, in die Höhe, kletterte ihm an den Hals und küßte ihn herzlich, indem er einen freundlichen Gruß flüsterte. Dem Bahnwärter standen die Thränen in den Augen; liebte er doch dieses Kind und die beiden anderen und seine Frau und Mutter mit beinah zu großer Innigkeit, und auf seinen ältesten Sohn, seinen braven und gelehrten Alexander, war er außer dem noch so stolz!

      Der Knabe bemerkte jetzt seine Großmutter unter der Laube. Er sprang zur Erde, ergriff das Körbchen und lief jubelnd der alten Frau entgegen; nachdem er sie flüchtig begrüßt, setzte er ihr das Körbchen in den Schooß und rief:

      »Großmütterchen, ich habe schon wieder Etwas für dich vom Herrn Notar! Erdbeeren, englische, große, rothe, sie schmecken wie ein Stück Zucker! Da Großmütterchen lieb, versuch mal!«

      Und so sprechend« schob er der blinden Frau zwei oder drei Erdbeeren in den Mund.

      »Ach du gutes Alexchen,« murmelte die alte Frau, »die Früchte sind ja so süß wie Wein; aber noch süßer ist mir deine Liebe, Kind. Danke dem Herrn Notar morgen in meinem Namen und sag ihm, daß die Großmutter Verhelft für ihn beten will.«

      Sie befühlte das Körbchen.

      »Und die sind Alle für mich, Alexander?«

      »Ja« Großmutter, für dich, für dich ganz allein.«

      »Dann kann ich damit thun, was ich will?«

      »Gewiß, du kannst sie alle allein aufessen.«

      »Nun, dann wollen wir heute Abend Kirmeß damit feiern, dem Herrn Notarius zu Ehren.«

      In diesem Augenblick kam von der Seite, wo der Wagen stand, eine noch ziemlich junge Frau gegangen, ein Kind auf dem Arm tragend.

      »Jan, du mußt mit der Großmutter nach Haus kommen,« sagte sie, »das Abendessen steht auf dem Tisch; zögert nicht länger, sonst wird es kalt. Sieh nur wie unser Bärbchen die Arme nach dir ausstreckt, das liebe Ding!«

      Der Bahnwärter nahm das Kind und ließ es auf seinen Armen tanzen, indem er ein heiteres Liedchen dazu pfiff.

      Alexander erfaßte die Hand der blinden Großmutter und so schritten sie alle jubelnd und singend auf den Wagon zu,

      Das alte Fahrzeug war in zwei Gefächer abgetheilt; in dem einen schliefen die Kinder mit der Großmutter, das andere war zum Eßzimmer eingerichtet.

      Rund um den Tisch, auf Stühlen oder Bänkchen, saßen hier in der Tiefe des Wagens die Großmutter zwischen dem Bahnwärter und seinem Sohn Alexander, an der andern Seite die Mutter Marianne, ein Kind auf dem Schooß und neben ihr noch ein kleiner Knabe von drei oder vier Jahren.

      Es war so eng dort, daß sie sich kaum rühren konnten, und doch erschienen Alle so frei in ihren Bewegungen und so heiter, als wären sie in einem prüchtigen Saal beim Festmahle versammelt.

      Auf dem Tisch dampfte eine große Schüssel Kartoffeln und daneben stand ein Gefäß mit vielem Essig und wenigem Fett als Sauce.

      Alexander sprach laut das Gebet, und Alle saßen gesenkten Hauptes und mit gefalteten Händen, bis das letzte Wort der Danksagung aus dem Munde des Kindes verklungen war.

      Der Bahnwärter legte einige Kartoffeln auf einen Teller vor der alten Frau, und fügte ein Stückchen Butter zu, während er die Kartoffeln sorgfältig zu Mues verarbeitete, und der Blinden eine Gabel reichte mit dem Wunsch:

      »Daß es dir gut bekommen« liebe Mutter!«

      Dann erst goß er die Sauce über die gemeinschaftliche


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