Die hölzerne Clara. Hendrik Conscience

Die hölzerne Clara - Hendrik Conscience


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das Haupt über ihre Arbeit beugte. So lautete indessen die Hausordnung und die Mutter war nicht mild im Strafen.

      Nach dem Wunsche der Senora zeigte ihr die Mutter die Arbeit eines jeden Mädchens und gab dabei so weitläufige Erklärungen, daß sie nur sehr langsam zwischen den Reihen der Mädchen fortschreiten konnte. Nach Derjenigen fragen, die sie zu sehen wünschte, das durfte die Gräfin nicht und sie sah sich mithin zur peinlichsten Geduldprobe verdammt und hörte, ganz mit dem Gedanken beschäftigt, daß Jemand, der ihr theurer war als selbst ihr eigenes Leben, in diesem Augenblicke mit ihr die Luft desselben Zimmers athme, fast nicht mehr auf ihre Begleiterin.

      Die Mutter war über die sonderbare Unaufmerksamkeit der Gräfin nicht wenig verwundert, und eben wollte sie ihre Erklärungen unterbrechen, als diese plötzlich fragte:

      – Eure Töchter, Mutter fingen wohl lieblich und schön; vor Allen ist unter ihnen ein Discant von bezaubernder Reinheit.

      – — Ich glaube es wohl, rief die Mutter; das ist die hölzerne Clara . . . Was fehlt Euch, Edelfrau? die Luft beengt Euch vielleicht? Kommt, wir wollen in den Hof gehen, dort ist es frischer.

      – Ihr irrt Euch, Mutter, antwortete die Duena mit Hast doch sehr kaltblütig. Meine Gebieterin erbleicht oft plötzlich; es ist dies ein nervöses Uebel, was jedoch weiter Nichts bedeutet.

      – Ah! um so besser, versetzte die Mutter. Wollt Ihr, edle Frau, das Lied vielleicht noch einmal hören?

      – Ach ja, ich würde Euch dafür dankbar sein; aber erlaubt, daß ich mich ein wenig setze, denn ich bin sehr ermüdet.

      Die Mutter eilte nach dem oberen Ende des Saales und holte ihren eigenen mit Leder überzogenen und mit vergoldeten Nägeln besetzten Sessel herbei. Sie ersuchte die Gräfin sich darauf niederzulassen und sprach dann zu den Mädchen gewandt:

      – Kinder, diese Edelfrau wünscht Euch singen zu hören. Clara Houtvelt stelle Dich vor das Pult.

      Während die Waisen sich anschickten Ihrer Mutter zu gehorchen, fragte die Gräfin mit schlecht bezwungener Aufregung:

      – Clara Houtvelt, sagt Ihr, Mutter? Ich glaube Ihr habt von einer (hölzernen) Clara gesprochen, die Vorsängerin ist?

      – Ja, edle Frau, Clara Houtvelt ist Houten Clara, das liebe Engelchen, was dort vor dem Pulte steht.

      Und ohne weiter auf den Gesichtsausdruck der Senora, noch auf die ängstliche Aufmerksamkeit, womit die Duena ihre Gebieterin betrachtete, Acht zu geben, wandte sie sich zu den Mädchen:

      – Das Christlied! Clara, Kind, sing Du vor; Deine Schwestern sollen den Gruß (die Salution) wiederholen.

      Clara stand da vor dem Pulte wie ein poetisches Bild des Kindes. Ihre Glieder waren außerordentlich zart, vielleicht etwas mager, doch dies that ihren zwölf Jahren keinen Eintrag. Ihre großen Augen schienen das Blau des Himmel zurück zu strahlen, ihr Mündchen war klein wie ein gefaltetes Rosenblatt und das Grübchen auf ihrer Wange lieblich wie ein glänzendes Sternchen. Was sie jedoch am Meisten vor ihren Genossinnen auszeichnete, aber zu ihrem platten Mützchen, ihrer Schürze und ihrem wollenen Leibchen am Wenigsten paßte, das war die Würde ihrer Haltung und etwas unaussprechliches in ihrem Blick, was in ihr das Kind hoher Eltern vermuthen ließ. Unter ihren Gespielinnen selbst war Keine, die diesen Eindruck nicht bereits erfahren hatte; alle waren überzeugt daß Clara von keinen geringen Eltern stammen könne, obschon dieser Glaube sich bei ihnen nur auf die würdige Haltung und die edle Seele dieses reinen und schönen Kindes gründete. Als Clara von der Mutter das Zeichen zum Anfang erhalten hatte, erhob sie ihr schmeichelnd hohes Stimmchen und sang:

      Maria ende Joseph mede

      Voeren beyde te samen

      Tot Bethleem ter stede,

      Daer si haer herberghe namen.3

      Die andern Mädchen antworteten Alle zugleich:

      In excelsis gloria!

      Et in terra pax hominibus.

      Valasus! Valasus!

      Swighet soete Jhesus;

      Ghi sijt ons Dominus,

      Et in terra pax hominibus!

      Maria und Joseph fuhren zusammen nach Bethlehem zur Stadt, wo sie ihre Herberge nahmen.

      In excelsis gloria! etc.

      In einem armen Häuschen, wo weder Wiege noch Thüre fand, mußten sie übernachten, denn sie waren von aller Habe entblößt.

      In excelsis gloria! etc.

      Als nun die Mitternacht erschien, da hat die Jungfrau ein Kind von großer Macht geboren, wie schon die Engel uns erklärt.

      In excelsis gloria! etc.

      Da gebar die Reine den Herrn, der da gebenedeiet ist im Himmel und auf Erden. Gelobt sei sie zu aller Zeit!

      In excelsis gloria! etc.

      Da fang mit frohem Schalle Joseph Hallelujah, und die Engel alle: In excelsis gloria! Valasus! Valasus! Schweige süßer Jesus, du bist unser Dominus. Et in terra pax hominibus.

      Diesen Refrain fangen sie dann nach jeder Strophe.

      Clara aber fuhr fort:

      In een arm huyseken,

      Al sonder weeghe oft doeren,

      Omdai si waren van have bloot

      Moesten hem also gheboeren.

      In excelsis gloria, enz.

      Alst quam ter rechter middernacht,

      Soe hevet die maghet ghebaert

      Een kindeken van groter macht,

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      1

       Diese Inschrift heißt auf Deutsch: »Zum ehrlichen Unterhalt kleiner Mädchen, die sonst der Armuth anheimfallen würden, hat ein gottesfürchtiger, während seines Lebens unbekannter Mann dieses Gotteshaus aus Liebe reich bedacht. D. Ueb.

      2

       Auf Deutsch: Dieser gute Mann ist am 19ten November 1562 aus dem Leben geschieden. Er war 73 Jahre alt, hieß Jan van der Meere und war Kaufmann allhier. D. Ueb.

      3

       Das hier mitgetheilte Christlied ist ein alter vlämischer Kirchengesang, ganz in jenem schwulstigen und barocken Style geschrieben, der die geistliche Poesie der damaligen Zeit charakterisierte. Der Uebersetzer hielt es aus diesem Grunde für passend den vlämischen Text auch in dieser deutschen Ausgabe unverändert stehen zu lassen, giebt aber hier eine Uebersetzung derselben in Prosa: D. U.

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 Das hier mitgetheilte Christlied ist ein alter vlämischer Kirchengesang, ganz in jenem schwulstigen und barocken Style geschrieben, der die geistliche Poesie der damaligen Zeit charakterisierte. Der Uebersetzer hielt es aus diesem Grunde für passend den vlämischen Text auch in dieser deutschen Ausgabe unverändert stehen zu lassen, giebt aber hier eine Uebersetzung derselben in Prosa: D. U.