Aufzeichnungen eines Jägers. Иван Тургенев

Aufzeichnungen eines Jägers - Иван Тургенев


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sicher etwas gar nicht Gutes; und dann lachte sie auch, und auch das Lachen war nicht gut. So verbrachte ich mit ihr fast die ganze Nacht. Am Morgen ging ich wie betrunken aus dem Zimmer; erst am Tag, nach dem Tee, kam ich wieder zu ihr. Mein Gott, mein Gott! Sie war nicht mehr zu erkennen, eine Leiche sieht besser aus. Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß ich jetzt absolut nicht verstehe, wie ich diese Marter habe aushalten können. Drei Tage und drei Nächte quälte sich noch meine Kranke . . . und was waren es für Nächte! Und was sie mir alles sagte . . .! Aber in der letzten Nacht, denken Sie sich nur, ich sitze neben ihr und bitte Gott nur um das eine: Nimm sie schneller zu dir, und auch mich dazu . . . Plötzlich tritt die alte Mutter ins Zimmer . . . Ich hatte der Mutter schon am Tag vorher gesagt, daß nur wenig Hoffnung vorhanden sei und daß es gut wäre, den Geistlichen zu holen. Als die Kranke die Mutter erblickte, sagte sie: ›Es ist gut, daß du gekommen bist . . . schau uns an, wir lieben einander, wir haben einander das Wort gegeben.‹ – ›Was hat sie, Doktor, was redet sie?‹ Ich war ganz starr. ›Sie phantasiert‹ sage ich, ›es ist das Fieber . . .‹ Sie aber sagt: ›Hör doch auf, eben hast du mir doch ganz was anderes gesagt und hast meinen Ring angenommen . . . Warum verstellst du dich? Meine Mutter ist gut, sie wird verzeihen, sie wird verstehen; ich aber sterbe, ich brauche nicht zu lügen . . . gib mir die Hand . . .‹ Ich sprang auf und lief hinaus. Die Alte erriet natürlich alles.

      Ich will Sie jedoch nicht länger ermüden, und es fällt mir auch selbst schwer, mich daran zu erinnern. Meine Kranke starb am nächsten Tag. Gott hab’ sie selig!« fügte der Kreisarzt schnell und mit einem Seufzer hinzu. »Vor dem Tode bat sie ihre Angehörigen, hinauszugehen und sie mit mir allein zu lassen. ›Entschuldigen Sie‹, sagte sie mir, ›vielleicht habe ich Ihnen unrecht getan . . . meine Krankheit . . . aber glauben Sie mir, ich habe niemand mehr als Sie geliebt . . . vergessen Sie mich nicht . . . bewahren Sie meinen Ring . . .‹«

      Der Kreisarzt wandte sich ab; ich faßte seine Hand.

      »Ach«, sagte er, »wollen wir doch von etwas anderem reden, oder spielen wir vielleicht eine kleine Partie Préférence? Es ist für unsereinen nicht gut, sich so erhabenen Gefühlen hinzugeben. Unsereins hat nur an das eine zu denken – daß seine Kinder nicht schreien und daß seine Frau nicht schimpft. Ich bin nämlich seither in eine legitime Ehe getreten . . . Gewiß . . . Eine Kaufmannstochter habe ich genommen mit siebentausend Rubel Mitgift. Sie heißt Akulina, das paßt gut zu Trifon. Sie ist, offen gestanden, ein böses Frauenzimmer, schläft aber glücklicherweise den ganzen Tag . . . Nun, wie wäre es mit dem Préférence . . .?«

      Wir setzten uns ans Préférencespiel zu einer Kopeke das Point. Trifon Iwanowitsch gewann zwei und einen halben Rubel und ging spät heim, sehr zufrieden mit seinem Sieg.

      Mein Nachbar Radilow

      Im Herbst halten sich die Waldschnepfen oft in alten Lindengärten auf. Solche Gärten gibt es bei uns im Orjolschen Gouvernement ziemlich viel. Wenn unsere Urgroßväter sich einen Wohnsitz einrichteten, teilten sie immer an die zwei Desjatinen guter Erde für einen Obstgarten mit Lindenalleen ab. Nach fünfzig oder höchstens siebzig Jahren verschwanden diese Güter, diese ›Adelsnester‹, allmählich vom Angesicht der Erde; die Häuser verfaulten oder wurden auf Abbruch verkauft, die steinernen Dienstgebäude verwandeltes sich in Trümmerhaufen, die Apfelbäume gingen ein und wurden verheizt, die Zäune und Hecken wurden vernichtet. Nur die Linden allein wuchsen wunderbar fort und künden noch jetzt, von Ackerland umgeben, unserem wetterwendischen Geschlecht von unseren ›in Gott verschiedenen Vätern und Brüdern‹. Ein herrlicher Baum ist so eine alte Linde; selbst die unbarmherzige Axt des russischen Bauern verschont sie. Ihr Blatt ist klein, die mächtigen Äste strecken sich nach allen Seiten aus, und unter ihnen herrscht ewiger Schatten.

      Als ich mich einmal mit Jermolai in den Feldern auf der Jagd nach Rebhühnern herumtrieb, bemerkte ich seitwärts einen verwilderten Garten und ging auf ihn zu. Kaum hatte ich seinen Saum betreten, als aus einem Gebüsch schnarrend eine Waldschnepfe aufflog; ich schoß, und in demselben Augenblick ertönte einige Schritte von mir ein Schrei: Das erschrockene Gesicht eines jungen Mädchens blickte zwischen den Bäumen hervor und verschwand gleich wieder. Jermolai lief auf mich zu. »Schießen Sie doch nicht, hier wohnt ein Gutsbesitzer.«

      Ich hatte ihm noch nicht geantwortet; mein Hund hatte noch nicht Zeit gehabt, mir mit edler Würde den getöteten Vogel zu apportieren, als ich rasche Schritte vernahm und ein Mann von hohem Wuchs mit einem Schnurrbart aus dem Dickicht trat und mit unzufriedener Miene vor mir stehenblieb. Ich entschuldigte mich so gut ich konnte, nannte meinen Namen und bot ihm den Vogel an, den ich in seinem Besitz geschossen hatte.

      »Gut«, sagte er mir mit einem Lächeln, »ich will Ihren Vogel annehmen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie bei uns zum Essen bleiben.«

      Aufrichtig gesagt, war ich über seine Aufforderung nicht sehr erfreut, aber es war unmöglich, sie auszuschlagen.

      »Ich bin der Besitzer dieses Gutes und Ihr Nachbar, Radilow; vielleicht haben Sie von mir schon gehört«, fuhr mein neuer Bekannter fort. »Heute ist Sonntag, und das Mittagessen wird wahrscheinlich gut sein, sonst würde ich Sie nicht eingeladen haben.«

      Ich antwortete ihm, was man in solchen Fällen zu antworten pflegt, und folgte ihm. Ein frischgesäuberter Weg führte uns bald aus dem Lindenwäldchen, und wir kamen in den Gemüsegarten. Zwischen den alten Apfelbäumen und verwilderten Stachelbeerstauden leuchteten runde, hellgrüne Kohlköpfe; der Hopfen wand sich schraubenartig um die hohen Stangen; braune Stäbe, von vertrockneten Erbsenranken umwunden, standen in den Beeten eng beieinander; große flache Kürbisse lagen wie hingeworfen auf der Erde; die Gurken leuchteten gelb unter den verstaubten, eckigen Blättern; links, längs des Zaunes aus Flechtwerk, wogten hohe Nesselstauden; an zwei oder drei Stellen wuchsen gruppenweise tatarisches Geißblatt, Holunder und Hagebutten, die Überbleibsel der einstigen Anlagen. Neben dem kleinen, mit rötlichem und schleimigem Wasser angefüllten Fischkasten sah man einen von Pfützen umgebenen Brunnen. Enten plätscherten und watschelten geschäftig in diesen Pfützen; ein Hund lag auf der Wiese und nagte, am ganzen Körper zitternd und mit den Augen blinzelnd, an einem Knochen; eine gescheckte Kuh rupfte in der Nähe Gras und warf zuweilen den Schwanz auf ihren mageren Rücken. Der Weg bog seitwärts ab; zwischen dicken Weiden und Birken blickte uns ein altes graues Häuschen mit Schindeldach und einer schiefen Treppe entgegen. Radilow blieb stehen.

      »Übrigens«, sagte er, indem er mir gutmütig und offen ins Gesicht blickte, »ich habe mir’s überlegt; vielleicht haben Sie keine Lust, bei mir einzukehren, in diesem Falle . . .«

      Ich ließ ihn nicht zu Ende sprechen und versicherte ihm, im Gegenteil, es werde mir ein Vergnügen sein, bei ihm zu essen.

      »Nun, wie Sie wollen.«

      Wir traten ins Haus. Ein junger Bursche in einem langen Kaftan aus grobem blauem Tuch kam uns auf der Treppe entgegen. Radilow befahl ihm sogleich, Jermolai ein Glas Schnaps zu reichen; mein Jäger verbeugte sich respektvoll hinter dem Rücken des großmütigen Spenders. Aus dem mit allerlei bunten Bildern austapezierten und mit Vogelbauern behängten Vorzimmer kamen wir in ein kleines Zimmer, das Kabinett Radilows. Ich legte meine Jagdausrüstung ab, stellte mein Gewehr in die Ecke, und der Bursche im langen Kaftan bürstete mich sorgfältig ab.

      »Nun wollen wir ins Gastzimmer«, versetzte Radilow freundlich, »ich will Sie mit meiner Mutter bekannt machen.«

      Ich folgte ihm. Im Gastzimmer saß auf dem mittleren Sofa eine kleine Alte in braunem Kleid und weißer Haube, mit einem gutmütigen, schmächtigen Gesicht und einem scheuen und traurigen Blick.

      »Hier, Mamachen, stelle ich Ihnen unseren Nachbarn vor.«

      Die Alte erhob sich und verbeugte sich vor mir, ohne den dicken, gehäkelten, sackähnlichen Strickbeutel aus den Händen zu lassen.

      »Sind Sie schon lange in unserer Gegend?« fragte sie mit einer schwachen und leisen Stimme, mit den Augen zwinkernd.

      »Nein, erst seit kurzem.«

      »Haben Sie die Absicht, hier lange zu bleiben?«

      »Ich denke bis zum Winter.«

      Die Alte verstummte.

      »Dieser


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