Aufzeichnungen eines Jägers. Иван Тургенев
singt im russischen Volkslied die Schwiegermutter: ›Was bist du mir für ein Sohn, was für ein Herr im Haus! Du schlägst nicht dein Weib, deine junge Frau . . .‹ Einmal versuchte ich für die Schwiegertöchter einzutreten und in Chorj Mitleid zu erwecken; aber er entgegnete mir ruhig: »Was brauchen Sie sich mit diesem . . . Unsinn abzugeben, sollen sich die Weiber nur herumschlagen . . . Wenn man sie auseinanderzubringen versucht, so wird es noch schlimmer, es lohnt auch nicht, sich die Hände zu beschmutzen.« Die böse Alte kroch manchmal vom Ofen herunter, rief den Hofhund aus dem Flur herein und bearbeitete seinen mageren Rücken mit der Ofengabel; oder sie stellte sich unter den Dachvorsprung und ›kläffte‹, wie sich Chorj ausdrückte, alle Vorbeigehenden an. Ihren Mann fürchtete sie jedoch und zog sich, wenn er es befahl, wieder auf den Ofen zurück. Besonders interessant war es, dem Streit zwischen Chorj und Kalinytsch zuzuhören, wenn die Rede auf Herrn Polutykin kam. – »Den sollst du mir nicht anrühren, Chorj«, sagte Kalinytsch.
»Warum läßt er dir aber keine Stiefel machen?« entgegnete jener.
»Ach, Stiefel . . .! Was brauche ich Stiefel? Ich bin ein Bauer . . .«
»Auch ich bin ein Bauer, aber sieh . . .«
Bei diesem Worte hob Chorj seinen Fuß und zeigte Kalinytsch einen Stiefel, der wohl aus Mammutshaut zugeschnitten war.
»Ach, du bist doch was ganz anderes!« antwortete Kalinytsch.
»Nun, er hätte dir wenigstens Geld für Bastschuhe geben können, du gehst doch mit ihm auf die Jagd und brauchst wohl jeden Tag ein neues Paar.«
»Er gibt mir Geld für Bastschuhe.«
»Gewiß, im vorigen Jahre hat er dir ein Zehnkopekenstück geschenkt.«
Kalinytsch wandte sich geärgert weg, und Chorj wälzte sich vor Lachen, wobei seine kleinen Äuglein ganz verschwanden.
Kalinytsch sang recht angenehm und spielte die Balalaika. Chorj hörte ihm lange zu, neigte dann den Kopf auf die Seite und fiel mit klagender Stimme in seinen Gesang ein. Besonders gern hatte er das Lied ›Du mein Schicksal, Schicksal!‹ Fedja ließ sich keine Gelegenheit entgehen, den Alten zu necken. »Was bist du so trübsinnig, Alter?«
Aber Chorj stützte die Wange in die Hand, schloß die Augen und fuhr fort, sein Schicksal zu beklagen . . . Dafür gab es zu anderen Zeiten keinen fleißigeren Menschen als ihn: Ewig machte er sich zu schaffen – entweder besserte er den Wagen aus oder stützte den Zaun oder sah das Pferdegeschirr nach. Auf besondere Reinlichkeit hielt er übrigens nicht und sagte mir einmal auf meine diesbezügliche Bemerkung, daß es in der Stube doch nach einer Menschenwohnung riechen müsse.
»Schau nur«, entgegnete ich ihm, »wie sauber es Kalinytsch in seinem Bienengarten hat.«
»Sonst würden die Bienen nicht leben, Väterchen«, sagte er mit einem Seufzer.
»Sag doch«, fragte er mich ein anderes Mal, »hast du auch dein eigenes Erbgut?«
»Ja.«
»Ist es weit von hier?«
»An die hundert Werst.«
»Nun, wohnst du auch auf deinem Erbgute, Väterchen?«
»Ja.«
»Aber du ziehst wohl meistens mit dem Gewehr herum?«
»Die Wahrheit zu sagen, ja.«
»Du tust recht daran, Väterchen; schieß nur zur Gesundheit recht viele Birkhähne und wechsele recht oft den Dorfschulzen.«
Am Abend des vierten Tages schickte Herr Polutykin nach mir. Es tat mir leid, mich von dem Alten zu trennen. Ich setzte mich mit Kalinytsch in den Wagen. »Nun, leb wohl, Chorj, bleibe gesund«, sagte ich. »Leb auch du wohl, Fedja.«
»Leb wohl, Väterchen, leb wohl, vergiß uns nicht.«
Wir fuhren ab; das Abendrot begann eben zu glühen. – »Wir werden morgen schönes Wetter haben«, sagte ich, auf den heiteren Himmel blickend.
»Nein, es wird regnen«, entgegnete Kalinytsch. »Die Enten plätschern, und auch das Gras duftet so stark.«
Wir fuhren ins Gebüsch. Kalinytsch begann mit halber Stimme zu singen, indem er auf dem Bock auf und nieder hüpfte und in einem fort auf das Abendrot schaute . . .
Am anderen Tag verließ ich das gastfreundliche Dach des Herrn Polutykin.
Jermolai und die Müllerin
Am Abend ging ich mit dem Jäger Jermolai auf den Schnepfenstrich . . . Meine Leser wissen vielleicht nicht, was der Schnepfenstrich ist. Hören Sie also.
Eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang im Frühjahr gehen Sie mit dem Gewehr, doch ohne Hund in den Wald. Sie suchen sich am Waldsaum einen Platz aus, sehen sich um, untersuchen das Zündhütchen und wechseln Blicke mit Ihrem Begleiter. Die Viertelstunde ist vorüber. Die Sonne ist untergegangen, aber im Wald ist es noch hell; die Luft ist rein und durchsichtig; die Vögel zwitschern geschwätzig; das junge Gras glänzt lustig und smaragden . . . Sie warten. Im Wald wird es allmählich dunkler; das rote Licht der scheidenden Sonne gleitet langsam über die Wurzeln und Stämme der Bäume, steigt immer höher hinauf und geht von den unteren, fast noch nackten Zweigen zu den unbeweglichen, einschlafenden Wipfeln über . . . Nun sind auch die Wipfel selbst erloschen; der Himmel, der eben rötlich war, wird immer blauer. Der Wald duftet stärker, ein warmer feuchter Hauch kommt gezogen; der Wind erstirbt um Sie herum. Die Vögel schlafen ein, nicht alle zugleich, sondern je nach der Gattung: Da sind die Finken verstummt, einige Augenblicke später die Grasmücken, dann die Ammern. Im Wald wird es immer dunkler und dunkler. Die Bäume fließen zu großen schwarzen Massen zusammen; am blauen Himmel treten scheu die ersten Sternchen hervor. Alle Vögel schlafen. Die Rotschwänzchen und die kleinen Spechte allein zwitschern noch leise und verschlafen . . . Nun sind auch sie verstummt. Noch einmal erklingt über Ihnen die helle Stimme des Weidenzeisigs; irgendwo schreit kläglich eine Goldamsel; die Nachtigall läßt ihren ersten Triller erklingen. Ihr Herz ist vor Erwartung ganz matt, und plötzlich – doch nur ein Jäger wird mich verstehen – plötzlich ertönt in der tiefen Stille ein leises, eigentümliches Krächzen und Zischen, das gleichmäßige Schlagen schneller Flügel, und die Waldschnepfe fliegt, den langen Schnabel schön geneigt, hinter der dunklen Birke langsam Ihrem Schuß entgegen.
Das heißt ›auf dem Schnepfenstrich stehen‹.
Also begab ich mich mit Jermolai auf den Schnepfenstrich; aber entschuldigen Sie, ich muß Sie erst mit Jermolai bekannt machen.
Stellen Sie sich einen Mann von etwa fünfundvierzig Jahren vor, großgewachsen, hager, mit einer langen und dünnen Nase, einer schmalen Stirn, kleinen grauen Augen, zerzausten Haaren und dicken, spöttischen Lippen. Dieser Mann trug Winter und Sommer einen gelblichen Nankingrock von deutschem Schnitt, doch mit einem Gürtel; dazu eine blaue Pluderhose und eine Lammfellmütze, die ihm in einer guten Stunde ein ruinierter Gutsbesitzer geschenkt hatte. Am Gürtel waren zwei Säcke angebunden; der eine vorn, kunstvoll in zwei Hälften geknüpft, für Pulver und für Schrot, der andere hinten für Wild; die Baumwolle für die Pfropfen holte sich Jermolai aus seiner eigenen, anscheinend unerschöpflichen Mütze. Er könnte wohl für das Geld, das er aus dem Verkauf des Wildes löste, sich eine Patronentasche und eine Jagdtasche kaufen, aber diese Anschaffung war ihm überhaupt nie in den Sinn gekommen, und er fuhr fort, sein Gewehr wie bisher zu laden, wobei er die Zuschauer durch die Kunst in Erstaunen setzte, mit der er der Gefahr, das Pulver zu verschütten oder es mit Schrot zu vermischen, aus dem Wege ging. Sein Gewehr hatte nur einen Lauf und ein Feuersteinschloß und dazu noch die üble Eigenschaft, stark zurückzuprallen, aus welchem Grunde Jermolais rechte Wange immer voller war als die linke. Wie er mit diesem Gewehr treffen konnte, begriff auch der Klügste nicht, aber er traf doch. Er hatte auch noch eine Hühnerhündin namens Valetka, ein sehr merkwürdiges Geschöpf. Jermolai fütterte sie niemals. »Fällt mir gar nicht ein, einen Hund zu füttern«, sagte er. »Außerdem ist der Hund ein kluges Tier und kann selbst Nahrung finden.« Und so war es auch in der Tat: Valetka setzte zwar einen selbst gleichgültigen Vorübergehenden durch ihre ungewöhnliche Magerkeit in Erstaunen, blieb aber doch am Leben und lebte lange; trotz ihrer unseligen Lage war sie sogar kein einziges