Das adelige Nest. Иван Тургенев

Das adelige Nest - Иван Тургенев


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zur Last. Er betete, murrte über die Vorsehung, schimpfte sich selbst, die Politik, sein System, schimpfte Alles, womit er geprahlt hatte und worauf er stolz gewesen war, Alles was er früher seinem Sohne als Beispiel zeigte; er wiederholte: er glaube an Nichts – und war den nächsten Augenblick in Gebet versunken; konnte keinen Augenblick allein bleiben und forderte von seiner Umgebung, daß sie beständig, Tag und Nacht, neben seinem Sessel sitzen und ihn mit Erzählungen, die er fortwährend durch die Ausrufungen: »Ihr lügt Alles, welch, ein Unsinn!« unterbrach, zerstreuen sollte.

      Besonders hatte Glaphira Petrowna von ihm zu leiden; er konnte keinen Augenblick ohne sie sein, und bis zum letzten Augenblicke willfahrtete sie allen Launen des Kranken, obgleich sie zuweilen sich nicht entschloß, ihm sofort zu antworten, um nicht die sie erdrückende Wuth zu verrathen. So vegetierte er zwei Jahre hindurch und starb in den ersten Tagen des Mais, sich auf dem Balkon sonnend. »Glaphira, Glaphira! gieb mir Boullion, Du alte He . . . lispelte seine erstarrende Zunge, und schwieg ohne das letzte Wort aussprechen zu können, auf ewig. Glaphira Petrowna, welche eben eine Tasse Boullion aus den Händen des Haushofmeisters gerissen hatte, blieb stehen, blickte ihrem Bruder in’s Gesicht, schlug langsam ein großes Kreuz und entfernte sich schweigend. Der gleichfalls anwesende Sohn sprach ebenfalls kein Wort, er lehnte sich auf das Geländer des Balkons’s und blickte lange hinab in den Garten, der voll von Wohlgeruch und jungem Grün war, und in den Strahlen der goldenen Frühlingssonne glühte. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre; wie schrecklich, wie unbemerkt waren diese dreiundzwanzig Jahre entschwunden. Ihm erschloß sich jetzt das Leben.

      Zwölftes Kapitel

      Nach dem Begräbniß seines Vaters vertraute der junge Lawretzky die Verwaltung seiner Güter derselben unvermeidlichen Glaphira Petrowna an, und reiste nach Moskau, wohin ihn ein dunkles Gefühl, unwiderstehlich trieb. Er fühlte die Mängel seiner Erziehung und hatte die Absicht, das Verlorene nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Die letzten fünf Jahre hatte er viel gelesen und so Manches gesehen, viele Gedanken hatten seinen Kopf durchkreuzt, so mancher Professor hätte ihn um viele seiner Kenntnisse beneidet, dagegen entging ihm aber auch so Manches, was jedem Gymnasiasten längst bekannt ist.

      Lawretzky fühlte, daß er frei sei, fühlte sich aber auch im Stillen als Sonderling.

      Einen schlechten Spaß hatte der Angloman seinem Sohne gespielt; die eigenwillige Erziehung hatte ihre Früchte getragen. Lange hatte er sich vor seinem Vater gebeugt; und als er ihn endlich durchschaut hatte, war das Unheil schon geschehen, die Gewohnheiten hatten Wurzel gefaßt. Er verstand es nicht, mit Leuten umzugehen; dreiundzwanzig Jahre alt, im beschämten Herzen nach Liebe dürstend, hatte er bisher nicht gewagt, einem Weibe in’s Auge zu schauen. Bei seinem hellen und gesunden, obgleich etwas schwerfälligen Verstande, bei seinem Hange zum Eigensinn, zur Selbstbetrachtung und Trägheit hätte er früh in den Strudel des Lebens gerathen sollen; man hatte ihn aber in einer erkünstelten Einsamkeit gehalten. Jetzt war der Zauberkreis zerrissen und doch blieb er auf derselben Stelle stehen, in sich selbst verschlossen.

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