Der Fatalist. Иван Тургенев
es bei dreien gelungen. Dieser Vorfall bekräftigte noch mehr seinen Ruf als den eines geheimnißvollen, fatalistischen Menschen.
IV
Es ist begreiflich, daß sich Tegleff sofort dieses Rufes bemächtigte; verlieh er ihm doch eine besondere Bedeutung, eine besondere Färbung . . . »Cela le posait,« wie sich die Franzosen ausdrücken – und bei seinem geringen Verstande, seinen geringen Kenntnissen und seinem ungeheuren Ehrgeiz – war ein solcher Ruf für ihn wie gefunden. Es fiel schwer, ihn zu erlangen, doch ihn zu erhalten, kostete nichts: man brauchte nur zu schweigen und den Wilden zu spielen.
Wenn ich mich Tegleff näherte und ihn sogar liebgewann, so geschah es nicht etwa, weil mich sein Ruf angezogen hätte; ich schloß mich an ihn an, weil ich erstens selbst ziemlich verwildert war und in ihm daher einen Leidensgefährten sah; und zweitens deshalb, weil er ein guter, und im Grunde genommen, selbst ein offenherziger Mensch war. Er weckte bei mir eine Art von Mitgefühl; es schien mir, als ob, abgesehen von seinem angenommenen Fatalismus, auf ihm wirklich ein tragisches Schicksal laste, das er selbst nicht ahnte. Von diesem Gefühle offenbarte ich ihm allerdings Nichts. Mitleid einflößen – kann es denn etwas Beleidigenderes für einen »Fatalisten« geben? – Auch Tegleff war mir zugethan: er fühlte sich leicht mit mir, er unterhielt sich gern mit mir – er wagte selbst in meiner Gegenwart die Art von Piedestal, auf das er halb herabgefallen, halb heraufgeklettert war, blicken zu lassen. Peinlich, kränklich, ehrgeizig wie er war, mochte er in seinem Innern sich wahrscheinlich doch gestehen, daß er durch Nichts diesem Ehrgeiz entsprechen könne und daß Andere vielleicht auf ihn von ihrer Höhe herab zu sehen berechtigt seien . . . doch ich, ein neunzehnjähriger Junge, konnte ihm nicht unbequem werden. Er verfiel manchmal selbst in Schwatzhaftigkeit und er konnte dem Schöpfer danken, daß Niemand außer mir seine Reden hörte! Sein Ruf hätte sich sonst nicht lange halten können. Er wußte nur sehr wenig, hatte beinahe gar Nichts gelesen – und beschränkte sich darauf, daß er entsprechende Anekdoten und Geschichten sammelte. Er glaubte an Vorahnungen, an Voraussagungen, an Anzeichen, an Zusammentreffen, an glückliche und unglückliche Tage, an die Verfolgung oder Gunst des Schicksals, mit einem Worte an das Verhängniß im Leben.
Er glaubte selbst an gewisse »klimacterische« Jahre, deren Jemand in seiner Gegenwart erwähnt hatte und deren Bedeutung er gar nicht verstand. Fatalisten von echtem Schlage dürfen solchen Glauben nicht verrathen: sie müssen denselben bei Anderen erwecken . . . Doch ich allein kannte Tegleff von dieser Seite.
V
Einst, es war gerade, wie ich mich entsinne, der Tag des heiligen Elias, der 20. Juli, war ich auf längere Zeit auf Besuch bei meinem Bruder gefahren, traf ihn aber nicht an, da er auf eine ganze Woche »irgendwohin abcommandirt war. Nach Petersburg zurückkehren wollte ich nicht; ich trieb mich den ganzen Tag mit der Flinte zwischen den in der Nähe befindlichen Morasten herum, erlegte ein Paar Bekassinen und brachte den Abend mit Tegleff unter dem überragenden Dache eines Stalles zu, in dem er, wie er sich ausdrückte, seine Sommerresidenz aufgeschlagen hatte. Wir redeten über Dies und Das, doch hauptsächlich tranken wir Thee, tauchten unsere Pfeifen und sprachen bald mit unserem Wirth, einem russificirten Finnen, bald mit einem bei der Batterie sich herumtreibenden, mit Apfelsinen und Citronen handelnden Hausirer, einem gutmüthigen und gesprächigen Menschen, der neben anderen auch das Talent besaß, auf der Zither zu spielen – und der uns gerade mit der unglücklichen Liebschaft, die er in seiner Jugend mit der Tochter eines Gerichtsboten hatte, unterhielt.
Dieser Don Juan im Bauernhemde konnte, als er älter geworden, kein Unglück in der Liebe mehr. Vor dem Thore unseres Stalles breitete sich, sich allmälig senkend, eine weite Landfläche aus; ein kleines Flüßchen erglänzte hie und da an den Biegungen der Tiefe; weiter am Horizonte sah man niedrige Wälder. Die Nacht brach an und wir blieben allein. Mit der Nacht zugleich senkte feuchter Dampf sich aus die Erde nieder, welcher immer weiter und weiter sich ausbreitend endlich zum dichten Nebel wurde. Am Himmel ging der Mond aus; der Nebel wurde von feinem Lichte ganz durchdrungen und erschien wie vergoldet. Alles veränderte sich sonderbar, umhüllte sich, verschwamm; das Entfernte schien nah, das Nahe entfernt, das Große klein, das Kleine groß Alles wurde licht und doch dabei undeutlich. Wir waren in’s Märchenland versetzt, in ein Reich der tiefen Stille, des sanften Schlummers, des blaß-goldenen Dunkels . . . Wie geheimnißvoll blinkten von oben, silbernen Funken gleich, die Sterne herab! Wir schwiegen. Das phantastische Gewand dieser Nacht wirkte aus uns – es stimmte auch uns phantastisch !
VI
Tegleff fing zuerst mit seinem gewöhnlichen Stocken, Ausetzen, Wiederholen, über Vorahnungen . . . Gespenster zu sprechen an. Während einer solchen Nacht erblickte angeblich ein ihm bekannter Student, der eben Hauslehrer bei zwei Waisen geworden, und mit denselben in einem Gartenhäuschen schlief, eine weibliche Gestalt, die sich über das Bett seiner Zöglinge neigte und erkannte am nächsten Tage diese Gestalt in einem bis dahin von ihm unbemerkt gebliebenen Gemälde als die Mutter der Waisen. Darauf erzählte er, daß seine Eltern, einige Wochen vor ihrem Tode, beständig das Rauschen des Wassers zu hören glaubten; daß sein Großvater in der Schlacht von Borodino sich nur dadurch rettete, daß er, auf der Erde ein gewöhnliches Steinchen bemerkend, sich danach bückte und es aufhob; in demselben Augenblick sei über seinen Kopf eine Kartätschenkugel geflogen und habe seinen hohen schwarzen Federbusch fortgerissen. Tegleff versprach mir, diesen Stein, der seinen Großvater gerettet, und von ihm in ein Medaillon gefaßt bewahrt wurde, zu zeigen. Dann erging er sich über die jedem Menschen zuertheilte Vorbestimmung, und namentlich über die seinige, und fügte hinzu, daß er bis jetzt an dieselbe glaube, und daß, wenn je in ihm Zweifel in dieser Hinsicht entstehen sollten, er mit ihnen und dem Leben fertig zu werden wissen werde, denn dann würde das Dasein jeden Werth für ihn verlieren.
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