Neu-Land. Иван Тургенев
Paklin, die Silben nachdrücklich dehnend. – Ist denn wirklich etwas geschehen?
– Nichts Besonderes ist geschehen; – es ist nur das geschehen, daß man in dieser widerwärtigen Stadt, in St. Petersburg, die Nase nicht auf die Straße hinausstecken kann, ohne auf Flachheit, Dummheit, himmelschreiende Ungerechtigkeit, Blödsinn zu stoßen! Es ist geradezu unmöglich hier zu leben.
– Daher hast Du also in den Zeitungen angezeigt, daß Du eine Stelle suchst und auch nach Auswärts zu gehen bereit bist – brummte wieder Ostrodumow.
– Und werde natürlich mit dem größten Vergnügen von hier fortreisen! Wenn sich nur zuerst ein Narr findet – der mir eine Stelle anbietet!
– Erst muß man hier jedoch seine Pflicht thun – bemerkte Maschurina bedeutungsvoll, indem sie zur Seite zu blicken fortfuhr.
– Das heißt? – fragte, sich plötzlich zu ihr wendend, Neshdanow. Maschurina preßte die Lippen aneinander.
– Ostrodumow wird’s Ihnen mittheilen.
Neshdanow wandte sich zu Ostrodumow.
Dieser murmelte etwas zwischen den Zähnen und hüstelte, als wolle er sagen: »kannst warten.«
– Nein, ohne Scherz, – mischte sich Paklin hinein: – hast Du wirklich etwas Unangenehmes erfahren?
Neshdanow schnellte aus dem Bette empor, als hätte ihn etwas in die Höhe geschleudert.
– Was soll denn noch Unangenehmeres geschehen? – schrie er mit plötzlich klangvoll vibrirender Stimme.
– Halb Rußland stirbt vor Hunger, die »Moskauer Zeitung« triumphirt, der Klassicismus wird überall eingeführt, Studenten-Kassen verbietet man, überall Spionage, Verfolgung, Denunciationen, Lüge und Falschheit – nirgends ein Fleckchen, wo man hintreten könnte . . . ihm ist es aber noch immer zu wenig, es soll noch Unangenehmeres geschehen, er denkt, daß ich scherze . . . Bassanow ist arretirt, – fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: – man sagte mir’s in der Bibliothek.
Ostrodumow und Maschurina richteten Beide gleichzeitig die Köpfe in die Höhe.
– Lieber Freund, Alexei Dmitrijewitsch – begann Paklin, – Du bist aufgeregt – ich begreife es . . . Aber hast Du denn vergessen, zu welcher Zeit und in welchem Lande wir leben? – Es muß sich ja bei uns der Ertrinkende selbst den Strohhalm anfertigen, an den er sich anzuklammern gedenkt! – Ist’s denn jetzt an der Zeit, den Difficilen zu spielen?! Man muß, Freund, dem Teufel in’s Auge zu sehen verstehen, nicht aber sich kindisch ereifern . . .
– Ach, bitte, bitte! – fiel ihm Neshdanow, gleichsam ärgerlich klagend in die Rede und verzog das Gesicht, wie von innerem Schmerz durchzuckt. – Du bist natürlich ein energischer Mann – Du fürchtest Nichts und Niemanden . . .
– Ich und Niemanden fürchten?! – wollte Paklin erwidern . . .
– Wir den Bassanow nur verrathen haben mag? – fuhr Neshdanow fort, – ich begreife es nicht!
– Natürlich – ein Freund. – Das verstehen sie prächtig – diese Freunde. Da heißt es: Auf der Hut sein! Ich zum Beispiel, habe einen Freund gehabt – es war ein vortrefflicher Mensch, wie es schien; wie ist er um mich, um meinen Ruf besorgt gewesen! Eines Tages kommt er zu mir . . . – »Denken Sie sich,« ruft er: »was man für dumme Gerüchte verbreitet: man versichert, daß Sie Ihren Onkel vergiftet, daß man Sie als Gast in ein Haus eingeführt und daß Sie der Frau vom Hause den Rücken zugekehrt hätten und auch den ganzen Abend in dieser Stellung geblieben seien! Sie aber hat ob dieser Kränkung bittere, bittere Thränen geweint! – Ein solcher Unsinn! solcher Blödsinn! Nur ein Narr kann das glauben!« – Und was geschah? Ein Jahr daraus überwarf ich mich mit eben diesem Freunde. . . . Und da schreibt er mir in seinem Abschiedsbriefe: »Sie, der Sie Ihren Onkel umgebracht, – Sie, der Sie sich nicht entblödet haben, eine ehrenwerthe Dame zu beleidigen, indem Sie ihr den Rücken zugekehrt!« . . . 2c. 2c. – So sind, die Freunde!
Ostrodumow und Maschurina sahen einander an.
– Alexei Dmitrijewitsch! – platzte Ostrodumow in seinem schwerfälligen Baß heraus – er wollte dem unnützen Wortkram offenbar ein Ende machen – es ist aus Moskau ein Brief von Wassili Nikolajewitsch angekommen.
Neshdanow fuhr ein wenig zusammen und senkte den Blick nachdenklich zu Boden.
– Was schreibt er? – fragte er endlich.
– Was . . . Ich muß mit ihr . . . – Ostrodumow wies mit dem Blick auf Maschurina hin – nach Moskau.
– Wie? auch sie ruft man dahin?
– Auch sie.
– Woran liegt es denn, daß Ihr noch hier seid?
– Woran . . . selbstverständlich . . . am Gelde.
Neshdanow erhob sich und trat an’s Fenster.
– Ist viel nöthig?
– Fünfzig Rubel. . . Das ist das Wenigste.
Es entstand eine kleine Pause.
– Ich habe jetzt kein Geld – flüsterte endlich, mit den Fingern auf der Fensterscheibe trommelnd, Neshdanow, – aber . . . ich kann es schaffen. Ich werde es schaffen. Hast Du den Brief?
– Den Brief? Er . . . das heißt natürlich . . .
– Was versteckt Ihr Euch denn immer vor mir?
– rief Paklin aus. – Bin ich Eures Vertrauens denn wirklich unwerth? – Wenn ich auch nicht voll und ganz beizustimmen vermöchte . . . Dem, was Ihr unternehmt – glaubt Ihr denn wirklich, daß ich im Stande wäre, Euch zu verrathen oder etwas auszuplaudern?
– Ohne Absicht . . . vielleicht! – hörte man Ostrodumow’s tiefe Stimme.
– Weder mit noch ohne Absicht! – Fräulein Maschurina da sieht mich an und lächelt . . . ich sage Euch aber . . .
– Ich denke nicht daran zu lächeln – entgegnete grimmigen Tones Maschurina.
– Ich sage Euch aber, meine Herren, – fuhr Paklin fort, – daß Euch das instinktive Gefühl, welches die echten Freunde von den falschen unterscheiden lehrt, abgeht! Wenn der Mensch lacht, so meint Ihr auch gleich, daß jeder Ernst ihm fern ist . . .
– Ist’s vielleicht nicht der Fall? – fuhr Maschurina; zum zweiten Mal auf ihn los.
– Sie zum Beispiel – nahm Paklin mit erhöhter Kraft, ohne Maschurina einer Antwort zu würdigen, seine Rede auf, – Sie brauchen Geld . . . Neshdanow hat aber setzt kein Geld . . . So kann ich es geben.
Neshdanow trat rasch vom Fenster zurück.
– Nein nein wozu denn? Ich werde es schaffen . . . ich werde einen Theil meiner Pension vorausnehmen . . . Ich erinnere mich, sie sind mir schuldig geblieben. Aber hör’, Ostrodumow: zeig’ mir den Brief.
Ostrodumow blieb zuerst eine kurze Zeit regungslos auf seinem Platze; nachdem er sich darauf nach allen Seiten umgesehen, stand er auf, bückte sich mit dem ganzen Oberkörper zur Erde, streifte das Beinkleid in die Höhe und holte aus dem Stiefelschaft ein sorgfältig zusammengefaltetes Stück blauen Papiers hervor; nachdem er es herausgezogen, blies er darauf – wozu? wissen wir nicht zu sagen – und reichte es Neshdanow hin.
Dieser nahm das Papier, faltete es auseinander, las dessen Inhalt aufmerksam durch und reichte es dann Maschurina . . . Letztere erhob sich zuerst vom Stuhle, las den Brief und gab ihn darauf an Neshdanow zurück, obgleich Paklin die Hand darnach ausstreckte. Neshdanow zuckte die Achseln und händigte den geheimnißvollen Brief Paklin ein. Paklin durchflog das Papier und legte es, die Lippen bedeutsam aneinanderpressend, langsam auf den Tisch. Da ergriff Ostrodumow dasselbe, rieb ein großes Zündhölzchen an, das starken Schwefelgeruch um sich verbreitete, hob dann den Brief, um ihn gleichsam Allen zu zeigen hoch empor, verbrannte ihn darauf, ohne sogar seiner Finger zu schonen, am Feuer des Zündhölzchens zu Asche und warf diese Asche endlich in den Ofen. Alle saßen während dieses Vorgangs stumm und regungslos, mit zu Boden gesenkten Blicken, da. Ostrodumow’s