Familie Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Aber mir wird schon was einfallen.«
»Bitte paß auf dich auf«, bat Leslie ängstlich.
»Natürlich, mach dir keine Sorgen. Übrigens brauchst du auch sonst nichts zu fürchten. Isabel ist überhaupt nicht mein Typ. Sie ist, bis auf die Figur, das genaue Gegenteil von dir«, fügte er mit zärtlicher Stimme hinzu.
»Das ist sehr beruhigend«, lächelte Leslie.
Obwohl sie wußte, daß Falk ihr treu war, versetzte es ihr doch immer einen leichten Stich, wenn er von anderen Frauen sprach. Aber auch in dieser Beziehung hatte er sie durchschaut und versuchte ihre Bedenken so gut es ging zu zerstreuen.
Nachdem sie noch eine Weile liebevoll miteinander gescherzt hatten, beendeten sie das Telefonat und Falk ging ins Bad. Er wohnte noch bei seinen Eltern, da er sich als Student keine eigene Wohnung leisten konnte. Da diese beide berufstätig waren, hatten sie das Haus bereits in aller Frühe verlassen und er konnte in aller Ruhe seinen Gedanken nachhängen.
Unruhig ging Achim Welser in der Wohnung auf und ab, die zu einem Lager umfunktioniert worden war. Überall waren Kisten und Schachteln aufgestapelt, in denen sich Computer und Zubehör befanden, die an zahlreiche Kunden verschickt werden sollten. Eigentlich hatte er allen Grund dazu, zufrieden zu sein. Das Geschäft, das er erst seit einem Jahr mit seinen Freunden hier betrieb, lief glänzend. Niemand hatte bisher Verdacht geschöpft, daß nicht alles mit rechten Dingen zuging. Doch nun war seine Welt durch seine eigene Unvorsichtigkeit ins Wanken geraten.
»Diese Weiber bringen mich noch in Teufels Küche!« fluchte er böse vor sich hin, während er das Fernglas zur Hand nahm und in die Wohnung gegenüber starrte. Sie war leer. Vor Stunden war Isabel gegangen und seither nicht zurückgekehrt. Achim schwante nichts Gutes. Dieser junge Mann, der im Calimero bediente und ihm die Tour mit Isabel vermasselt hatte, hatte ihn in der Nacht zuvor auch am Fenster erkannt, dessen war er sich sicher. Was würde er jetzt unternehmen, da er nun wußte, daß Achim Isabel beobachtete? Sicherlich würde er sie warnen oder, was noch schlimmer war, zur Polizei gehen. Eine Hausdurchsuchung würde ihm das Genick brechen, das wußte Achim nur zu gut. Ich muß den Kerl abfangen, bevor er ein Unheil anrichtet, schoß es ihm auf einmal durch den Kopf. Außerdem spannt mir keiner ungestraft die Frau aus, dachte er weiter. Langsam verflog seine anfängliche Wut, die er nur schwer beherrschen konnte.
Ein siegessicheres Gefühl durchströmte ihn, als er den Telefonhörer hob und die Nummer von Peter Schrödel wählte.
»Du mußt mir einen Gefallen tun, Peter«, sagte er grußlos, als dieser sich am anderen Ende der Leitung meldete.
»Geht es um deine schöne Nachbarin?« Peter lachte anzüglich, doch Achim war nicht zum Scherzen aufgelegt.
»Spar dir bitte deine Witze!« herrschte er ihn an. »Der Junge aus der Bar hat mich gestern nacht am Fenster erkannt. Du solltest ihn ein bißchen einschüchtern, damit er nicht auf die Idee kommt, zur Polizei zu gehen. Eine Hausdurchsuchung kommt uns nicht gerade gelegen.«
»Und wenn es mir nicht gelingt?« fragte Peter skeptisch. Er hatte für seinen Kumpel schon allerhand Aufträge erledigt, doch diese Angelegenheit war selbst für ihn Neuland.
»Stell dich nicht so an. Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Ich brauche ein wenig Zeit, um das Lager zu räumen, das ist alles. Halt ihn uns vom Leib, bis wir unsere Schäfchen im Trockenen haben.«
»Du bist der Boß!« erklärte Peter ergeben und beendete das Telefonat. Auch Welser legte den Hörer auf und machte gute Miene zum bösen Spiel. Er wußte, daß er sich auf Schrödel verlassen konnte. Der steckte immerhin genauso tief in der Geschichte wie er selbst.
Falk ahnte nicht, in welche Gefahr er sich durch seine Beobachtung und seinen Beschützerinstinkt gebracht hatte. Er war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen, und ein Anruf bei einem Freund, der in einem kleinen Computerverlag als Anzeigenverkäufer arbeitete, hatte ihm die gewünschte Information gebracht. Nun hatte er die Bestätigung, daß es sich bei dem Mann in der Wohnung tatsächlich um Achim Welser handelte. Einen Augenblick genoß Falk seinen Triumph, bevor er überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Es würde schwierig sein, Welser nachzuweisen, daß er Isabel ständig beobachtete. Außerdem war Falk sich nicht sicher, ob diese Tatsache Grund genug war, ihn anzuzeigen.
Doch irgend etwas mußte geschehen, schließlich konnte er nicht tatenlos zusehen, wie Isabel von diesem Mann bedroht wurde oder womöglich noch Schlimmeres geschah. Er kam nicht auf den Gedanken, daß die Männer der AW GmbH es auf ihn selbst abgesehen hatten. Die Kirchturmuhr in der Nähe riß Falk jedoch aus seinen Gedanken. Jetzt hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, denn sein Professor schätzte es nicht, wenn sich seine Doktoranden verspäteten.
Isabel saß inzwischen mit ihrer Freundin Gaby in der Mensa. Die beiden hatten sich vor einigen Jahren bei der Einschreibung zu dem Studiengang kennengelernt und sich sofort zueinander hingezogen gefühlt. Das lag unter anderem daran, daß sie sich wunderbar ergänzten. Gaby war eher der bodenständige, realistische Typ, während sich Isabel viele Gedanken machte und die Dinge ständig hinterfragte. Da ihre Familien weit weg in anderen Städten lebten, waren sich die beiden eine Stütze geworden, die sie nicht mehr missen wollten. Sie teilten ihre Ängste und Sorgen ebenso wie das Vergnügen und spendeten sich gegenseitig Trost, wenn eine Liebe in die Brüche gegangen war. Auch so einer ernsten Situation wie Isabels vermeintliche Erkrankung war Gaby gewachsen. Isabel war die Verzweiflung immer noch vom Gesicht abzulesen, als sie dieser von Daniels Befürchtungen erzählte. Gaby versuchte, ihre beste Freundin zu beruhigen.
»Komm schon, Isa, du lebst so gesund, und in deiner Familie gibt es keinen Fall von Krebs. Außerdem bist du jung und sportlich. Alles Faktoren, die gegen eine solche Diagnose sprechen.«
»Dr. Norden ist sich ja auch noch nicht sicher. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl. Außerdem habe ich fürchterliche Angst vor der Operation. Ich hatte noch nie eine Vollnarkose.«
»Sei froh, daß die Medizin heute diese Möglichkeiten bietet«, sagte Gaby resolut. »So eine Narkose ist heutzutage so fein dosierbar, da gibt es diese üblen Beschwerden hinterher gar nicht mehr.«
»Ich rede ja nicht von hinterher«, jammerte Isa verzweifelt. »Ich rede von vorher und von dem Narkoseschlaf. Es ist so unheimlich daran zu denken, daß man keine Kontrolle mehr über sich hat.«
»Du merkst ja nichts davon. Jetzt mach dich nicht verrückt. Es wird schon alles gut. Viel wichtiger ist doch das Ergebnis. Du solltest positiv denken, dann geht alles gut aus.« Gaby legte tröstend den Arm um ihre Freundin und drückte sie an sich.
»Deine Frohnatur möchte ich haben!« seufzte Isabel.
»Die hast du doch normalerweise auch. Im Moment geht halt ein bißchen viel daneben bei dir, aber es kommen auch wieder bessere Zeiten«, erklärte sie überzeugt.
»Ach, Gaby, was täte ich nur ohne dich!« Dankbar sah Isa ihre Freundin an. Sie fühlte sich tatsächlich etwas besser, und ihre Sorgen drückten sie nicht mehr so sehr.
»Du wärst wahrscheinlich längst grau und faltig vor lauter Nachdenken«, lachte Gaby und strich Isa liebevoll über die langen braunen Haare.
Dann wechselte sie das Thema, um Isabel abzulenken. Bald waren sie in eine lebhafte Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Tierhomöopathie vertieft.
Der Rest des Tages war mit konzentrierter Arbeit angefüllt, und als Falk die Universität gegen Abend verließ, fühlte er sich müde und ausgelaugt. Trotzdem konnte er sich keine Pause gönnen, zu sehr beschäftigte ihn das Problem Achim Welser. Achtlos warf er seine Unterlagen auf den Beifahrersitz und machte sich direkt auf den Weg zu Isabels Wohnung. Inständig hoffte er, daß sie sich inzwischen etwas besser fühlte, damit er ihr von seinen Beobachtungen erzählen konnte. An ihren Arztbesuch dachte er gar nicht mehr, als er seinen Wagen vor dem grauen Häuserblock parkte. Falk ahnte nicht, daß er beobachtet wurde, als er ausstieg und eine Tüte mit frischer Kleidung aus dem Kofferraum nahm, die er am Mittag vor seinem Aufbruch vorsorglich dort verstaut hatte.
Peter Schrödel hatte sich in einem nahen Gebüsch versteckt und wartete ungeduldig, bis Isabel