Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
Geknatter und Geknall, wie es sonst in der Silvesternacht hier üblich ist, wohl wild geworden. Ein Skandal, daß Sie in dieser Nacht unterwegs sein müssen, gnädiges Fräulein. Dazu noch bei einem Wetter, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund hinausjagt.«
»Sie sind ja auch unterwegs.«
»Ach, das macht mir doch nichts aus, wenn uns nur unser guter Herr erhalten bleibt.«
»Steht es denn so schlimm mit ihm?«
»Leider«, nickte er bekümmert. »Unsere ganze Hoffnung setzen wir auf die Enkelin, nach der er so sehnsüchtig verlangt. Prrr, Brauner, trab nicht weiter, wir sind ja schon da.«
Der Schlitten hielt, vor dem Haus wurde es hell, und dann griffen viele Hände nach Armgard, zogen sie in die warme Diele und pellten sie aus den Hüllen.
Nun stand sie da in der hellsonnigen Schönheit, welche die Natur ihr mitgab. Sie merkte die entzückten Blicke der drei Menschen nicht, sie hatte mit sich selbst zu tun. Fürchtete sich noch immer vor dem, was sie hier vorfinden würde.
»Dr. Sinder«, stellte sich der Herr vor. »Und das ist Frau Spierke, deren Mann Sie ja schon kennen, und das ist beider Tochter Elsbeth.«
Freundlich reichte Armgard ihnen die Hand und fragte dann den Arzt:
»Wo finde ich meinen Großvater, Herr Doktor?«
»Oben. Ich führe Sie zu ihm.«
Die Treppe, die sie hinaufstiegen, war breit und geschnitzt, die Läufer waren dick und flauschig. Sie zogen sich auch über den Gang hin, der zu beiden Seiten weißlackierte Flügeltüren aufwies. An der rechten Seite waren zwischendurch Fenster, durch die der Gang sein Licht bekam. Bevor der Arzt eine der Türen öffnete, wandte er sich Armgard zu und sagte halblaut:
»Fräulein von Hollgan, wie ich schon am Telefon sagte, ist es mir unerklärlich, wie Sie zu der Annahme kommen konnten, daß Ihr Großvater tot sei. Leider scheint es nicht das einzige Mißverständnis zu sein, das zwischen Ihnen und ihm steht und unbedingt geklärt werden muß, aber erst später. Jetzt bitte ich Sie von ganzem Herzen, dem Kranken liebreich zu begegnen, es hängt so viel davon ab. Wollen Sie mir das versprechen?«
»Ja.«
»Danke.«
Jetzt erst öffnete er die Tür und schob seine Begleiterin ins Zimmer, das von einer abgeschirmten Lampe wohl schwach, aber immerhin so erhellt war, daß man alles im Raum erkennen konnte. Aus dem Lehnsessel, der am Fußende des Bettes stand, erhob sich die Pflegerin und ging auf die Eintretenden zu.
»Hier ist die Heißersehnte endlich«, sagte der Arzt leise. »Und das ist Schwester Agnes.«
Sie reichten sich zur Begrüßung die Hände, und dann trat Armgard an das Bett, wo sie zuerst regungslos verharrte. Es war eine lange Zeit her, seit sie den Großvater sah – dennoch erkannte sie ihn sofort, trotz des abgezehrten Gesichts.
»Armgard«, wehte es wie ein Hauch zu ihr hin. Da beugte sie sich über ihn und sagte herzlich:
»Ich bin ja bei dir, Großpapa.«
Die Lider hoben sich von den matten Augen, die forschend in das Mädchengesicht blickten und dann umzuckte ein schwaches Lächeln den Mund des Kranken.
»Liebling, du bist ja ganz – der – Papa.«
»Freut dich das, Großpapa?«
»Sehr. Ich danke Gott. Jetzt geht es mir schon besser, trotzdem bin ich müde.«
»Dann schlaf dich gesund.«
»Wirst du indes auch nicht fortgehen?«
»Nein«, entgegnete sie fest. »Ich bleibe hier, solange du mich brauchst.«
»Wie schön.«
Die müden Augen schlossen sich, und rasch griff der Arzt nach dem Puls, prüfte ihn und nickte dann der Pflegerin erfreut zu.
»Ich glaube, Schwester Agnes, das Ärgste ist geschafft. Das war wieder einmal die rechte Medizin zur rechten Zeit. Aber nicht die von uns verschriebene, sondern die da«, er zeigte schmunzelnd auf Armgard. »Wir gehen nach unten. Wenn etwas sein sollte, Schwester Agnes –«
»Es wird nichts sein, Herr Doktor.«
»Das walte Gott.«
*
Als Armgard in Begleitung des Arztes das Wohnzimmer betrat, wo im Kamin ein helles Feuer prasselte, kamen ihr zwei Menschen entgegen, die ihr als Kapitän Fröke nebst Gattin vorgestellt wurden. Er so der richtige Seemann, groß, breit, mit wetterhartem Gesicht und durchdringenden hellen Augen, sie mittelgroß, rundlich, rosig, lieb und mütterlich, von pomadiger Ruhe und trockenem Humor.
»Aber das ist ja ein Tausendschönchen«, brummte ein gemütlicher Baß. »Daran wird der Großpapa aber Spaß haben. Wie geht es ihm?«
»Er schläft nun endlich«, antwortete der Arzt. »Der Anblick des Tausendschönchens hat bei ihm Wunder gewirkt.«
»Na also«, schmunzelte der Seebär. »So was muß ja selbst den Klabautermann entzücken.«
Da lachte Armgard, frisch, froh, die blauen Augen lachten mit und schon flogen ihr drei Herzen ganz spontan entgegen. Man nahm am Kamin in den Sesseln Platz, zwischen denen ein Tischleindeckdich stand. Fleischsalat, delikate Schnitten; steifer Kaffee, dickflüssige Sahne, so recht was für einen hungrigen Magen.
Und hungrig waren sie alle, da der Magen leer war. Armgard hatte die aufregende Reise den Appetit genommen, den anderen die Sorge um den Kranken. Doch nun sie wieder hoffen konnten, spürten sie den Magen, der energisch sein Recht verlangte, und aßen sich so richtig satt. Danach griff der Arzt zur Zigarre, der Kapitän zur Pfeife, und seine Frau schob Armgard das goldgetriebene Kästchen mit Zigaretten hin.
»Mal ausnahmsweise«, sagte sie und griff hinein. »Ich bin nämlich das, was man eine Sonntagsraucherin nennt.«
Als das verschiedene gute Kraut brannte, erschien Elsbeth mit einem Kühler, aus dem zwei Flaschenhälse ragten, stellte Gläser bereit und räumte den Tisch ab. Nachdem sie gegangen war, ließ der Kapitän den Pfropfen knallen, und man stieß auf das neue Jahr an.
»Kein guter Anfang für Sie«, sagte Frau Fröke mitleidig zu Armgard. »Und das Ende des vergangenen Jahres war auch kein gutes, da Sie es bei Wind und Wetter beschließen mußten. Wie konnte es überhaupt kommen, daß der Zug zwei Stunden Verspätung hatte?«
»Weil er erstens mit großer Verspätung auf der Station, wo ich umsteigen mußte, ankam, und dann während der Fahrt zweimal steckenblieb. Als er ausgeschaufelt war, fuhr er zwar weiter, konnte jedoch das gewohnte Tempo nicht einhalten, da die Gleise verschneit waren. Vielleicht hätte diese Reise mit Hindernissen mir sogar Spaß gemacht, wenn in mir nicht die Unruhe und der Zweifel gewesen wären, daß es wirklich mein Großvater sei, zu dem man mich rief.«
»Das kann man verstehen«, nickte Fröke. »Hm, na ja, wer erzählte Ihnen eigentlich, daß Ihr Großvater tot sei?«
»Meine Mutter.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr zwei Jahren.«
»Wir wollen jetzt Schluß machen«, schaltete Frau Fröke sich ein. »Fräulein Armgard ist müde und muß ins Bett…«
»Nein!« winkte sie entschieden ab. »Ich könnte ja doch nicht schlafen, bevor ich nicht weiß, wie alles zusammenhängt. Ich fürchte, man hat mich schmählich betrogen, aber warum? Das muß unbedingt noch geklärt werden, sonst habe ich keine Ruhe. Wollen Sie bitte Fragen stellen, die ich ohne Vorbehalt beantworten werde?«
»Tja, das ist nicht so einfach«, wich Fröke aus.
»Warum nicht, etwa wegen meiner Mutter?«
»Allerdings. Was machen wir da, Lottchen?«
»Zuerst müssen wir von Fräulein Armgard erfahren, was Sie überhaupt von ihrem Großvater weiß. Sprechen Sie unbesorgt, Kindchen. Sie