Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг

Gesammelte Werke von Stefan Zweig - Стефан Цвейг


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an… versuche zu schweigen… ich hole dir Wasser… da, mein Tuch nimm und klemm es in die Zähne… so… so…

      (DER VERWUNDETE hat das Tuch sich in den Mund geknebelt. Sein Schreien geht in ein dumpfes Wimmern über.) (DIE ANDERN, die erregt aufgestanden waren, haben sich wieder niedergelassen.)

      EINER:

       Lies weiter, Pinehas! Es ist viel Tröstung im Wort.

      EIN ANDERER:

       Lies weiter! Von der Verheißung lies, von der Verheißung!

      ANDERE:

       Ja… vom Gottesknecht… vom Reis aus Isais Stamm… die Verkündigung… Oh, lies… sänftige mein Herz… vom Erlöser lies… unsere Herzen dürsten nach dem Tau des Worts…

      (DER ÄLTESTE hat die Schrift wieder aufgenommen und will zu lesen beginnen. Es pocht von außen an eine Türe. Alle fahren zusammen.)

      EINE FRAU (ängstlich):

       Es hat gepocht!

      EINE ANDERE (erregt):

       Sie sind da! Sie haben uns ausgespürt!

      EIN MANN:

       Es ist nicht vom Tore her! Einer der unsern muß es sein. Nur sie kennen den Gang. Tut ihm auf!

      DIE FRAU:

       Nein! Nein! Es kann Verrat sein. Schächer sind unter dem Volke. Laßt zu!

      DER ÄLTESTE:

       Stille! (Er nähert sich vorsichtig der hinter Steinen verborgenen Türe). Wer ist es?

      (EINE STIMME von außen antwortet.)

      DER ÄLTESTE:

       Zefanja ist es, der Sohn meines Schwähers, den wir auf Kundschaft gesandt. (Er schiebt den Riegel auf, ein Mann tritt ein, behelmt und wie ein Chaldäer gekleidet. Alle stürzen sich um ihn. Nur Jeremias bleibt, wie der Stein, auf dem er mit gestütztem Arm starrt, reglos und unbeteiligt.)

      ALLE (wild durcheinander):

       Was ist geschehen… Hast du Neter gesehen, meinen Sohn… Tebia, mein Weib… mein Haus, haben sie es verbrannt… Erzähle… sprich… Wo ist der König… Der Tempel… Erzähle, Zefanja… Mein Gatte, Ismael… wo ist er… Sprich… Wo ist der Priester… was geschieht mit uns… Erzähle…

      DER ÄLTESTE:

       Stille! Ihm lasset die Rede, denn seine Augen haben den Tag gesehen und die Stadt!

      ZEFANJA:

       Besser im Dunkel zu sitzen, anstatt solches zu schauen, besser als dieses noch, blind sich zu weinen, und am besten tief unten im Schwarzen zu schlafen zwischen den Wurzeln der Bäume und den Eingeweiden der Erde. Ein Acker der Toten ist Davids Stadt geworden, Schutt und Kehricht Salomos Burg.

      ALLE:

       Wehe… Jerusalem… wehe… wehe…

      ZEFANJA:

       Wie Kot liegen unserer Brüder Leichen auf den Gassen, und selbst den Toten noch rauben sie das Kleid. Aus den Gräbern haben sie das Gebein des Königs Judas gerissen und geworfelt um den Purpur Salomos aus seinem Sarge. Sie haben die Brote gegriffen vom heiligen Tisch und die Leuchter geraubt von den Wänden.

      DER ÄLTESTE (sein Kleid zerreißend):

       Ich will nicht mehr leben! Oh, könnt ich mein Innres zerreißen wie dies mein Gewand!

      STIMMEN:

       Wehe… wo ist Gottes Kraft… der Bund… die Verheißung… wo sind unsere Führer… Nachum… wo ist Jochan… verloren, verloren… Jerusalem… mein Gatte… wen sahest du…

      ZEFANJA:

       Um viele fraget ihr, und eine Antwort habe ich für alle. Es sieht keiner Gottes Morgen mehr von den Edlen der Stadt.

      ALLE:

       Wehe… Sie alle… es ist nicht möglich… Was ist mit Abodassar… Jojakim, auch er… Hedassar… Imre… mir sage, mir… Nachum…

      ZEFANJA:

       Nicht fraget mich… ihr Leiden ist gewesen und ihre Seelen bei Gott.

      ALLE (durcheinander):

       Und sage, auch Nachum… antworte… die Kinder des Königs… Absalon, mein Schwäher…

      ZEFANJA:

       Es ist keiner am Leben. Wer nicht fiel an der Mauer, den erwürgten Nabukadnezars Schlächter. Keiner lebet mehr, denn Zedekia.

      STIMMEN:

       Zedekia lebet… Warum ihn geschont… warum gerade ihn… Ein Verräter ist er… Warum Gnade ihm, wenn den andern Tod… warum ihm Schonung?

      ZEFANJA:

       Ehrfurcht vor dem Könige! Ehrfurcht vor seinem Leide.

      STIMMEN:

       Was ist mit ihm… ist er gefangen?…

      ZEFANJA:

       Zedekia brach durch mit sechzig der Tapfersten, daß sie sich sammelten im Gebirge und den Kampf erneuerten wider Assur. Aber jene jagten ihnen mit Wagen nach und faßten ihn und schleppten ihn vor Nabukadnezar.

      STIMMEN:

       Und er… was tat er?

      ZEFANJA:

       Ich kreuzte den Weg seines Leidens und stand auf dem Platze, da sie ihn in Ketten hielten. Und sie schlugen vor seinen Augen seine Kinder eines nach dem andern mit dem Schwert. Dann aber… als seine Augen voll waren mit Grauen und Tränen… dann ward der Gesalbte des Herrn, dann ward Zedekia geblendet…

      JEREMIAS (plötzlich aus seiner ehernen Reglosigkeit auffahrend, in furchtbarstem Entsetzen): Geblendet, sagst du… geblendet…

      ZEFANJA:

       Wer ist dieser?

      STIMMEN:

       Sprich nicht mit ihm… sieh ihn nicht an… Schweiget… nicht nennet den Namen des Verruchten… Fluch ist auf ihm… fort… Sprich nicht zu ihm…

      ZEFANJA:

       Wer ist, der da fragte? Ich kenne diese Stimme.

      STIMMEN:

       Nicht frage… Fluch über ihn… er gehört nicht zu uns… ein Ausgestoßener ist es des Herrn…

      EINE FRAU:

       Gottes Fluch ist er, über uns gesandt zu brennender Qual, Gottes Geißel und Galle – Jeremias, Jeremias!

      ZEFANJA (mit einem gellen Aufschrei, beide Hände vor sich hinhaltend):

       Jeremias!

      JEREMIAS:

       Was schrickst du so vor mir? Was fürchtest du dich? Ich bin nicht zu fürchten mehr. Wind ward mein Wort, und Kot ist meine Kraft. Spei mich an und geh deines Wegs!

      ZEFANJA (schauernd):

       Nicht fluche mir, du Furchtbarer, nicht fluche mir! Nein, nein, nein, ich tat dir nichts! Nicht fluche mir!

      JEREMIAS:

       Und wenn ich dir fluchte, was schädigte es dich, und wenn ich dich segnete, was förderte es dich? Was bin ich denn? Ein Hauch ohne Wort, ein Fluch ohne Kraft, ein Verkünder ohne Gott. Spei mich an, denn Aussatz war mein Wort und Lahmheit mein Wandel.

      ZEFANJA (noch mehr schauernd):

       Nicht fluche mir! Nicht fluche mir! Nie war ich dir feind! Oh, schützet mich! Verbergt mich vor ihm! Flehet ihn an, daß er mir nicht fluche! Ich kann sein Auge nicht schauen, ohne zu zittern, ich kann seinen Namen nicht hören, ohne zu schauern.

      DER ÄLTESTE:

       Ermanne dich! Was schauerst du vor ihm? Wind sind seine Worte und die Schmach seine Heimstatt.

      ZEFANJA:

       Nein… nein… furchtbar ist er… furchtbar… er hat es gewußt…


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