Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
zugehört haben. Die anderen Patienten werden mich zum Teufel wünschen.« Jetzt lächelte er auch, und das milderte seine strengen Gesichtszüge.
Wendy atmete hörbar auf, als er aus dem Sprechzimmer kam, und sie den nächsten Patienten aufrufen konnte. Aber als ihr Simon auch ein freundliches Lächeln schenkte, konnte sie ihm nicht mehr böse sein.
*
Simon fuhr zu seinem Büro. Er war dort mit Mary Ann verabredet, die einige Besorgungen in der Stadt machen wollte für ihre Reise. Er wollte gar nicht daran denken, daß ihre erste Trennung, wenn auch nur für einige Tage, bevorstand.
Simon leitete die Niederlassung eines großen amerikanischen Konzerns, und dort hatte er auch Mary Ann kennengelernt, als sie nach Deutschland kam, um die Kundenbetreuung zu übernehmen.
Sie war eigentlich die geborene Diplomatin, auf jedem noch so glatten Parkett zu Hause, und sie gewann alle Sympathien sofort. Bei ihm hatte es allerdings schon etwas länger gedauert, bis er einen persönlichen Kontakt zu ihr bekam, aber dann hatten sie schnell herausgefunden, daß sie die gleiche Wellenlänge hatten. Er hatte sich gegen diese Gefühle nicht mehr gewehrt. Sie wußte genau, was sie wollte, und sie hatte sich für ihn entschieden, wenn sie das auch nicht publik machen wollte. Er war immerhin ihr Boß.
Wenn sie sein Büro betrat, sah die Welt für ihn plötzlich ganz anders und viel freundlicher aus. Sie hatte eine Ausstrahlung, von der man eingefangen wurde. Manchmal konnte er es immer noch nicht glauben, daß sie ihm ihr Herz geschenkt hatte, denn er war keineswegs der Traummann, dem alle Herzen zuflogen.
Er wirkte eher steif, war immer reserviert und manchmal sogar von einem Hauch Kälte umweht. Aber Mary Ann hatte sofort gespürt, daß diese Abwehr eine Art Panzer war, um sich ja nicht anmerken zu lassen, was er wirklich dachte und fühlte.
Als sie jetzt sein Büro betrat, erhob er sich sofort und er ließ es sich gern gefallen, daß sie ihn umarmte und küßte. Wenn er in ihre schönen violetten Augen blickte, wurde ihm warm ums Herz.
»Alles okay, Darling?« fragte sie.
»Wenn du bei mir bist, gibt es nichts zu klagen.« Er küßte sie auf die Nasenspitze.
»Und wenn ich nicht bei dir bin?« fragte sie mit leisem Lachen.
»Dann ist alles grau und trübe, und ich vermisse dich.«
Noch vor ein paar Monaten hätte er es weit von sich gewiesen, daß ihm eine Frau soviel bedeuten könnte, so tief hatte der Schock über Sabines tragischen Tod in ihm gesessen, aber jetzt war alles anders als mit Sabine. Gerade deshalb versetzte ihn der Gedanke, daß er Mary Ann verlieren könnte, in quälende Angst. Deshalb wollte er keine Kinder, sondern sie ganz für sich haben und mit niemandem teilen.
Mary Ann wußte, daß Sabine bei der Geburt des Kindes gestorben war, dafür hatten schon andere gesorgt, aber das Thema war für sie beide tabu.
Mary Ann war nicht neugierig und schon gar nicht eifersüchtig auf die Vergangenheit. Die Gegenwart gehörte ihnen, und das genoß sie. Sie konnte Gefühl und Verstand kompensieren, und ihr genügte es, daß er sie liebte, ohne Sabines Schatten Raum zu geben.
»Weißt du schon, welchen Flug du nimmst?« fragte er zögernd.
»Freitag abend«, erwiderte sie.
»Dann bin ich am Wochenende allein«, seine Stimme klang rauh.
»Ich komme doch bald wieder«, erwiderte sie tröstend. »Dann sollten wir jetzt aber die Zeit nützen, um sie allein zu verbringen.«
»Willst du damit sagen, daß du dein Büro verläßt?«
»Warum nicht, ich habe noch soviel Urlaub gut, daß mir niemand Desinteresse nachsagen kann. Außerdem habe ich sowieso ein paar wichtige Termine wahrzunehmen.«
»Dann hast du ja gar keine Zeit für mich.«
»Natürlich heißt meine Gesprächspartnerin Mary Ann Wilkens.«
»Ach so, gut, daß du es mir sagst, dann werde ich mich mal vorbereiten. Wo finden die Gespräche statt?«
Ihre lockere, charmante Art bezauberte ihn immer wieder. »Wie wäre es mit Possenhofen?« schlug er vor.
»Einverstanden. Ich habe ja meinen Urlaub schon angekündigt. Dann werde ich mal lieber ganz schnell verschwinden und zu Hause warten, bis du mich abholst.«
»Du wirst nicht lange warten müssen.«
Daß sie schon drei Wochen unter einem Dach lebten, war zum Glück nicht publik geworden. Sie wollten beide vermeiden, daß über sie geredet wurde, denn schließlich war er der Boß.
Er wollte ihr Ansehen nicht aufs Spiel setzen. Wenn Sabines Eltern davon erfahren hätten, würde der Klatsch blühen. Eines Tages mußten sie es ohnehin erfahren, wenn die Hochzeit publik wurde, aber damit wollten sie noch bis zum April warten.
Das war für sie ein guter Monat zum Heiraten, weil sie dann beide Urlaub nehmen konnten für eine lange Hochzeitsreise.
Am liebsten hätte Simon allerdings Mary Ann jetzt nach Amerika begleitet, aber er konnte nicht weg. Wichtige Entscheidungen waren für die Firma zu treffen, und man hatte auch Mary Ann ungern frei gegeben.
Aber auch für sie standen wichtige Entscheidungen bevor.
Simon hatte schon mit ihr gemeinsam überlegt, was ihren Vater wohl veranlaßt haben könnte, sie als Erbin einzusetzen. War es das schlechte Gewissen, weil er sich nicht um sie gekümmert hatte?
Er konnte nur hoffen, daß sie nicht Schwierigkeiten ausgesetzt wurde. Er machte sich darum mehr Gedanken als sie.
Als er heimkam, war sie schon startbereit. Er brauchte auch nicht lange, um ein paar Sachen einzupacken, dann konnten sie schon losfahren. Sie bemerkten die dunkle Limousine nicht mehr, die gerade um die Ecke bog, aber Simon wäre heilfroh gewesen, daß sie nicht mehr mit dem Ehepaar Zander zusammentrafen, denn es war ihr Wagen.
Charlotte Zander hatte sie jedoch mit Argusaugen erspäht.
»Das war doch Simon in weiblicher Begleitung«, sagte sie schrill. »Wie findest du denn das?«
»Soll ich ihn verfolgen?« fragte Alfred Zander mürrisch. »Wir können es ihm nicht verbieten, sich mit einer Frau einzulassen.«
»Ich habe aber noch nichts dergleichen gehört, und schließlich würde es sich gehören, uns davon zu unterrichten.«
»Übertreib bitte nicht, Lotte«, sagte er spöttisch, »er ist uns keine Rechenschaft schuldig, und immerhin ist er ein Mann im besten Alter. Du kannst nicht erwarten, daß er Sabine ewig nachtrauert.«
»Er denkt anscheinend überhaupt nicht mehr an sie. Er hat schon ewig nichts mehr von sich hören lassen«, beschwerte sie sich. »Morgen ist ihr Todestag, deshalb wollte ich ihn sprechen.«
»Er trägt es mir nach, daß ich sie in die Rensing-Klinik brachte, was auch falsch gewesen sein könnte, wenn man bedenkt, was dort letzthin wieder passiert ist.«
»Dafür können wir doch nichts. In anderen Kliniken passiert noch mehr. Ich würde gern wissen, was das für eine Frau war«, lenkte sie ab.
»Wenn es etwas Ernstes ist, werden wir es schon erfahren. Jetzt beruhige dich mal wieder, Lotte, ändern kannst du doch nichts.«
Sie erging sich noch eine ganze Zeit in unwilligen Betrachtungen. Manchmal ging sie ihm schon sehr auf den Geist, aber nach fast fünfzigjähriger Ehe war er auch das gewöhnt.
Für seine einzige Tochter hatte er nur das Beste gewollt. Insgeheim machte er sich auch bittere Vorwürfe, daß er seinen Willen durchgesetzt und sie in die Rensing-Klinik gebracht hatte, denn so konnte er Simon wirklich nicht den geringsten Vorwurf machen, denn er hätte sie in die Leitner-Klinik gebracht. So sehr sich Charlotte auch bemüht hatte, etwas zu finden, was es an dieser Klinik auszusetzen gab, es war ihr nicht gelungen.
Sie fuhren zum Friedhof, um sich zu überzeugen, daß Sabines Grab schön geschmückt war. Charlotte vergoß,