Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer
»Ich koche einen Grießbrei.« Imma lief zur Tür. »Und baden müssen wir das kleine Ding auch. Es ist ja im Gesicht ganz schmutzig.«
»Weil es geweint hat.« Eugen von Herwig zuckte hilflos die Schultern. »Das konnte ich nicht verhindern.« Er eilte Imma nach und hielt sie fest. »Ich habe das kleine Mädchen aus dem Zug, Imma. Ein junger Mann hat es mir anvertraut.«
Karl hustete. »Also, eine gescheitere Ausrede würde selbst mir einfallen.«
»Aber es stimmt«, sagte Herma Langen und erzählte, was sie von Eugen von Herwig gehört hatte.
Immas Gesicht begann vor Erregung zu glühen. Karl aber fragte Eugen von Herwig misstrauisch: »Kann das stimmen, dass gerade zu Ihnen jemand so viel Vertrauen hat? Sie sind doch stets abweisend.«
»Der Vater des Kindes hatte eben so viel Vertrauen zu mir«, erwiderte Eugen von Herwig stolz. »Und deswegen gebe ich die Kleine auch nicht mehr her.« Er sah Imma an. »Ich habe schon mit der Polizei um das Mädchen gekämpft.« Darf ich nun bei dir im Birkenhof bleiben? Ich meine mit dem Kind?«
Imma umarmte ihren Vater. »Ja, Vater, du darfst. Alles darfst du, wenn du mich nur jetzt endlich das Kind baden und füttern lässt.«
Imma sah Karl an und rief: »Komm, hol die kleine Wanne und dann heißes Wasser!«
»Das werde ich erledigen«, sagte ihr Vater und ging hinaus.
Karl blickte ihm nach und fragte dann Herma Langen: »Verstehen Sie das? Er geht in die Küche. Nein, er ist sich nicht zu gut dazu, heißes Wasser zu holen, der Herr Gutsbesitzer! Was man auf seine alten Tage noch alles erlebt!«
Herma Langen lachte. »Du meine Güte – Karl, so aufrührerisch habe ich Sie noch nie erlebt. Haben Sie noch immer nicht begriffen, dass Sie Herrn von Herwig unrecht tun?«
»Ich bin ja schon still, aber er brauchte mir meine Arbeit nicht wegzunehmen. Imma hatte gesagt, ich soll die Wanne und das heiße Wasser holen«, brummte Karl beleidigt.
Herma Langen hatte das kleine Mädchen auf den Arm genommen und drückte es an sich. Als Eugen von Herwig in die Wohnstube zurückkam, griff sie gerade in die Tragetasche und zog eine Decke heraus, um das Kind erst einmal einzuwickeln.
»Da ist etwas herausgefallen«, sagte Karl und bückte sich nach einem Zettel. Er reichte ihn Imma.
Sie glättete das Papier, dann stieß sie einen unterdrückten Schrei aus. »Da steht etwas. Mein Gott, das Kind wurde wirklich ausgesetzt.« Sie las vor: »Ich heiße Katrin, bin ein halbes Jahr alt und habe keine Mutti mehr. Mein Vati kann sich nicht um mich kümmern. Habt mich lieb.«
Eugen von Herwig sank auf einen Stuhl. Erst jetzt wurde ihm ganz bewusst, was geschehen war.
»Dieser Mann machte einen so guten Eindruck«, sagte er leise und strich sich über die Stirn.
»Wie alt war er?«, fragte Herma Langen.
»Schwer zu schätzen. Um die dreißig Jahre vielleicht.«
»Und wenn er gar nicht der Vater war?«, murmelte Imma.
Herma Langen verabschiedete sich.
»Ich werde der Polizei melden, was auf dem Zettel steht, Herr von Herwig. Das nehme ich Ihnen gern ab. Ich glaube, Sie müssen jetzt etwas zur Ruhe kommen.«
Eugen von Herwig sah sie dankbar an. »Ja, bitte, tun Sie das für mich. Aber sagen Sie immer dazu, dass ich das Kind behalten will. Jetzt würde man es doch nur in ein Waisenhaus stecken.«
»Oder in ein Kinderheim der Fürsorge«, meinte Karl. »Dort hätte es seine Pflege …«
»Hier wird es ihm auch an nichts fehlen!«, erwiderte Eugen von Herwig ein wenig ärgerlich.
»Ganz sicher nicht, Herr von Herwig. Imma und ich verstehen uns auf Kinder. Und Sie haben das heute anscheinend auch gelernt. Bitte, entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin angegriffen habe«, meinte Karl reumütig.
»Ich habe dich auch nicht immer nur sanft behandelt«, sagte Eugen von Herwig. »Und ich verstehe, dass ich hier alles durcheinandergebracht habe.«
Karl brummelte: »Jetzt werde ich doch das heiße Wasser holen. Die Wanne haben Sie ja schon gebracht, Herr von Herwig.«
»Ja, teilen Sie sich die Arbeit um die kleine Katrin«, empfahl Herma Langen lächelnd, als sie das Haus verließ. Sie war erschüttert über das Schicksal dieses Kindes, aber sie wusste es in bester Hut.
Schon als Imma das kleine Mädchen badete, schlief es beinahe vor Müdigkeit ein. Dann aß es von dem Grießbrei nur ein paar Löffel.
»Wo soll sie denn schlafen?«, fragte Karl leise.
»Bring bitte die alte Liege in mein Zimmer, Karl«, bat Imma. »Ich werde sie heute Nacht benutzen und Katrin in mein Bett legen.«
»Da musst du aber zwei Stühle davorstellen, damit sie nicht herausfällt«, sagte Eugen von Herwig eifrig.
Imma lachte. »Das werde ich tun, Vater. Und du kannst dich davon überzeugen, dass Katrin nichts passieren wird. Dagegen, dass sie in meinem Zimmer schläft, wirst du doch nichts haben?«
»Nein, selbstverständlich nicht.«
Imma hob sich auf die Zehenspitzen und gab ihrem Vater einen Kuss. »Ich freue mich so, dass dieser Mann gerade dir sein Kind anvertraut hat. Auch wenn es gemein ist, sich auf solch eine Weise von seinem Kind zu trennen, er hätte sich keinen besseren Beschützer aussuchen können.«
Eugen von Herwig wurde verlegen. Wann hatte ihn seine Tochter einmal so gelobt? Nun, vielleicht hatte sie in den letzten Jahren keinen Anlass dazu gehabt. Das gab er in dieser Stunde ehrlich zu.
Als die kleine Katrin schlief, sagte Imma: »Ich glaube, wir sind erst mal ausgelastet. Noch wissen wir nicht, was alles wegen der kleinen Katrin passiert.«
»Was soll denn passieren?«, fragte ihr Vater erschrocken.
»Es könnte sein, dass sich irgendwelche Verwandten melden oder die Eltern gefunden werden. Und dann braucht es ja gar nicht zu stimmen, dass dieser Mann, der sich als Heinz Schmidt ausgab, Katrins Vater ist. Wenn es nun ein Entführer war, der das Kind nur los sein wollte?«
Eugen von Herwig sah seine Tochter entsetzt an. »Du machst mir Angst und Bange, Imma. Und das am späten Abend. Wie soll ich denn da schlafen können, wenn ich zu fürchten habe, Katrin morgen vielleicht schon hergeben zu müssen?«
»Ich sollte wirklich nicht so viele Vermutungen anstellen«, meinte Imma. Sie strich über die Hand ihres Vaters. »Und du solltest dich auch nicht so fest daran klammern, dass wir Katrin behalten dürfen. Ich weiß, du bist glücklich darüber, für ein so kleines Wesen sorgen zu können. Wenn du dich mehr hättest um mich kümmern müssen, wärest du wohl selbstständiger geblieben. Aber jetzt wollen wir nicht mehr von der Vergangenheit sprechen. Du bist bei uns, du verstehst, warum ich Mathias liebe, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass du auf dem Birkenhof bleibst, Vater.«
Eugen von Herwig wurde unsicher. »Ich wäre doch hier vollkommen überflüssig.«
»Sag das nicht, Vater. Karl und ich brauchen immer Hilfe. Nein, Vater, an Arbeit würde es dir bei uns nicht mangeln. Dein Leben würde noch einmal einen Sinn bekommen.«
»Das will überlegt sein.« Eugen von Herwig stand auf. »Ein so alter Gaul wie ich wechselt nicht gern den Stall. Und er ist meistens recht eigenwillig.«
»O ja, das weiß ich, Vater.« Imma lachte. »Aber Karl und ich verstehen uns im Umgang mit alten Gäulen.« Sie lehnte sich an den Vater. »Und so alt bist du außerdem noch gar nicht, wie du jetzt tust. Sieh dir Karl an. Er ist älter als du und noch sehr rüstig!«
Eugen von Herwig lächelte geschmeichelt. Aber in diesem Lächeln lag keine Eitelkeit. Jetzt zeigte er sogar Humor, indem er sagte: »So alt kann ich ja auch noch gar nicht sein, wenn mich Karl heute für einen jungen Papa gehalten hat. Und nun wollen wir zu Bett gehen. So ein kleines Kind wie