Kosmos. Alexander von Humboldt
lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Microscope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen: das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose; eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen Eroberer Plut. in vita Alex. Magni cap. 7., auch nach Jahrtausenden, nicht »der Weltraum fehlen wird«.
Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt; sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen: sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahreszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.
Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind.
Wie die Weltgeschichte, wo es ihr gelingt den wahren ursächlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löst; so würde auch eine physische Weltbeschreibung, geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben: von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten: in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde von dem, was durch Seefahrten nach dem fernen Pole oder auf den neuerlichst fast unter allen Breiten errichteten Stationen über das gleichzeitige Eintreten magnetischer Ungewitter erforscht wird, einen unwiderstehlichen Reiz; ja wir erlangen ein Mittel schnell den Zusammenhang zu errathen, in dem die Resultate neuer Beobachtungen mit den früher erkannten Erscheinungen stehen.
Wer kann, um eines Gegenstandes im Weltraume zu erwähnen, der in den letztverflossenen Jahren die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, ohne generelle Kenntniß von dem gewöhnlichen Cometenlaufe einsehen, wie folgenreich Encke’s Entdeckung sei, nach der ein Comet, welcher in seiner elliptischen Bahn nie aus unserem Planetensysteme heraustritt, die Existenz eines seine Wurfkraft hemmenden Fluidums offenbart? Bei einer sich schnell verbreitenden Halbcultur, welche wissenschaftliche Resultate in das Gebiet der geselligen Unterhaltung, aber entstellt, hinüberzieht, nimmt die alte Besorgniß über ein gefahrdrohendes Zusammentreffen von Weltkörpern oder über kosmische Ursachen in der vermeinten Verschlechterung der Klimate eine veränderte und darum noch trügerischere Gestalt an. Klare Ansicht der Natur, wenn auch nur eine historische, bewahrt vor den Anmaßungen einer dogmatisirenden Phantasie. Sie lehrt, daß der Enckische Comet, der schon in 1200 Tagen seinen Lauf vollendet, wegen der Gestalt und der Lage seiner Bahn, harmlos für die Erdbewohner, harmlos wie der große sechsundsiebenzigjährige Halley’sche Comet von 1759 und 1835 ist; daß ein anderer Comet von kurzer (sechsjähriger) Umlaufszeit, der Biela’sche, allerdings die Erdbahn schneidet, doch nur dann uns nahe kommen kann, wenn seine Sonnennähe in die Zeit des Winter-Solstitiums fällt.
Die Quantität Wärme, welche ein Weltkörper empfängt und deren Vertheilung die großen meteorologischen Processe des Luftkreises bestimmt, wird zugleich durch die lichtentbindende Kraft der Sonne (die Beschaffenheit ihrer Oberfläche) und die relative Lage der Sonne und des Planeten modificirt; aber die periodischen Veränderungen, welche, nach den allgemeinen Gesetzen der Gravitation, die Gestalt der Erdbahn und die Schiefe der Ekliptik (die Neigung der Erdachse gegen die Ebene der Erdbahn) erleiden, sind so langsam und in so enge Grenzen eingeschlossen, daß die Wirkungen kaum nach mehreren tausend Jahren unseren jetzigen wärmemessenden Instrumenten erkennbar sein würden. Kosmische Ursachen der Temperatur-Abnahme, der Wasserverminderung und der Epidemien, deren in neueren Zeiten, wie einst im Mittelalter, Erwähnung geschieht, liegen daher ganz außerhalb des Bereichs unserer wirklichen Erfahrung.
Soll ich andere Beispiele der physischen Astronomie entlehnen, welche ohne generelle Kenntniß des bisher Beobachteten kein Interesse erregen können, so erwähne ich der elliptischen Bewegung mehrerer Tausende von ungleichfarbigen Doppelsternen um einander oder vielmehr um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt; der periodischen Seltenheit der Sonnenflecken; des seit so vielen Jahren regelmäßigen Erscheinens zahlloser Sternschnuppen: die wahrscheinlich planetenartig kreisen und in ihren Bahnen am 12ten oder 13ten November, ja, wie man später erkannt hat, auch gegen das Fest des heiligen Laurentius, am 10ten oder 11ten August, unsere Erdbahn schneiden.
Auf ähnliche Weise werden nur generelle Ansichten des Kosmos den Zusammenhang ahnden lassen zwischen der durch Bessel’s Scharfblick vollendeten Theorie der Pendelschwingung im luftvollen Raume und der inneren Dichtigkeit, ich könnte sagen der Erstarrungsstufe, unseres Planeten; zwischen der Erzeugung körniger Gebirgsarten in bandartigen Lavaströmen, am Abhange noch jetzt thätiger Vulkane, und den endogenen granit-, porphyr-und serpentinstein-artigen Massen, welche, aus dem Innern der Erde hervorgeschoben, einst die Flözgebirge durchbrochen und mannigfaltig (erhärtend, verkieselnd, dolomitisirend, krystall-erzeugend) auf sie eingewirkt haben; zwischen der Hebung von Inseln und Kegelbergen durch elastische Kräfte und der Hebung ganzer Bergketten und Continente: ein Zusammenhang, der von dem größten Geognosten unserer Zeit, Leopold von Buch, erkannt und durch eine Reihe geistreicher Beobachtungen dargethan worden ist. Solches Emportreiben von körnigen Gebirgsmassen und Flözschichten (wie noch neuerlichst, am Meeresufer von Chili, bei einem Erdbeben, in weiter Erstreckung) läßt die Möglichkeit einsehen, daß Petrefacte von Seemuscheln, welche ich mit Bonpland in 14000 Fuß Höhe, auf dem Rücken der Andeskette, gesammelt, nicht durch eine allgemeine Wasserbedeckung, sondern durch vulkanische Hebungskräfte in diese Lage gekommen sind.
Vulcanismus nenne ich aber im allgemeinsten Sinne des Worts, sei es auf der Erde oder auf ihrem Trabanten, dem Monde, die Reaction, welche das Innere eines Planeten auf seine Rinde ausübt. Wer die Versuche über die mit der Tiefe zunehmende Wärme nicht kennt (Versuche, nach welchen berühmte Physiker vermuthen Die gewöhnlichen Angaben über den Schmelzpunkt sehr schwer schmelzbarer Substanzen sind viel zu hoch. Nach den, immer so genauen Untersuchungen von Mitscherlich ist der Schmelzpunkt des Granits wohl nicht höher als 1300° Cent., daß 5 geographische Meilen unter der Oberfläche eine granitschmelzende Glühhitze herrsche): dem müssen viele neuere Beobachtungen über die Gleichzeitigkeit vulkanischer Ausbrüche, die eine große Länderstrecke trennt, über die Grenzen der Erschütterungskreise bei Erdbeben, über die Beständigkeit der Temperatur heißer Mineralquellen, wie über die Temperatur-Verschiedenheit artesischer Brunnen von ungleicher Tiefe, unverständlich bleiben. Und doch wirft diese Kenntniß der inneren Erdwärme ein dämmerndes Licht auf die Urgeschichte unseres Planeten. Sie zeigt die Möglichkeit einstmaliger allverbreiteter tropischer Klimate, als Folge offener, Wärme ausströmender Klüfte in der neu erhärteten oxydirten Erdrinde. Sie erinnert an einen Zustand, in dem die Wärme des Luftkreises mehr von diesen Ausströmungen, von der Reaction des Innern gegen das Aeußere, als von der Stellung des Planeten gegen einen Centralkörper (die Sonne) bedingt ward.
Mannigfaltige Producte der Tropenwelt, in ihren Grabstätten verborgen,