Kosmos. Alexander von Humboldt
mutterlosen Zeugung« (generatio aequivoca, spontanea aut primaria) keinesweges abgeneigt bezeigt. »Haben«, sagt er, »die Engel die Thiere nicht auf abgelegene Inseln gebracht oder etwa jagdlustige Bewohner der Continente, so müssen sie aus der Erde unmittelbar entstanden sein; wobei freilich die Frage entsteht, zu welchem Zwecke allerlei Thiere in der Arche versammelt worden waren.« »Si e terra exortae sunt (bestiae) secundum originem primam, quando dixit Deus: Producat terra animam vivam! multo clarius apparet, non tam reparandorum animalium causa, quam figurandarum variarum gentium (?) propter ecclesiae sacramentum in Arca fuisse omnia genera, si in insulis, quo transire non possent, multa animalia terra produxit.« Augustinus de Civitate Dei lib. XVI cap. 7 (Opera ed. Monach. Ordinis S. Benedicti T. VII. Venet. 1732 p. 422). – Schon 200 Jahre vor dem Bischof von Hippo finden wir in den Auszügen des Trogus Pompeius die generatio primaria mit der frühesten Abtrocknung der Urwelt und der Hochebene von Asien in Verbindung gesetzt, ganz wie in der paradiesischen Terrassen-Theorie des großen Linné und in den Atlantis-Träumen des achtzehnten Jahrhunderts: »Quodsi omnes quondam terrae submersae profundo fuerunt, profecto editissimam quamque partem decurrentibus aquis primum detectam; humillimo autem solo eandem aquam diutissime immoratam, et quanto prior quaeque pars terrarum siccata sit, tanto prius animalia generare coepisse. Porro Scythiam adeo editiorem omnibus terris esse, ut cuncta flumina ibi nata in Maeotim, tum deinde in Ponticum et Aegyptium mare decurrant.« Justinus lib. II cap. 1. Die irrige Meinung, daß das Land der Scythen eine Hochebene bilde, ist so uralt, daß wir sie schon recht deutlich im Hippocrates (de Aëre et Aquis cap. 6 § 96 Coray) ausgedrückt finden. »Scythien«, sagt er, »bildet hohe und nackte Ebenen, die, ohne von Bergen gekrönt zu sein, gegen Norden immer höher und höher ansteigen.« (generatio spontanea) in ernste Betrachtung zu nehmen: um so mehr als Ehrenberg, wie schon oben bemerkt, entdeckt hat, daß der nebelartig die Luft trübende Staubregen, welchem Seefahrer häufig in der Nähe der capverdischen Inseln und bis in 380 Seemeilen Entfernung von der afrikanischen Küste ausgesetzt sind, Reste von 18 Arten kieselschaliger polygastrischer Thierchen enthält.
Die Fülle der Organismen, deren räumliche Vertheilung die Geographie der Pflanzen und Thiere verfolgt, wird entweder nach der Verschiedenheit und relativen Zahl der Bildungstypen, also nach der Gestaltung der vorhandenen Gattungen und Arten; oder nach der Zahl der Individuen betrachtet, welche auf einem gegebenen Flächenraume einer jeden Art zukommt. Bei den Pflanzen wie bei den Thieren ist es ein wichtiger Unterschied ihrer Lebensweise, ob sie isolirt (vereinzelt) oder gesellig lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich gesellige Pflanzen Humboldt, Aphorismi ex Physiologia chemica plantarum in der Flora Fribergensis subterranea 1793 p. 178. genannt habe, bedecken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang-Arten des Meeres, Cladonien und Moose in den öden Flachländern des nördlichen Asiens, Gräser und orgelartig aufstrebende Cacteen, Avicennia und Manglesträucher in der Tropenwelt, Wälder von Coniferen und Birken in den baltischen und sibirischen Ebnen. Diese Art der geographischen Vertheilung bestimmt: neben der individuellen Form der Pflanzengestalt, neben ihrer Größe, Blatt-und Blüthenform, hauptsächlich den physiognomischen Charakter Ueber die Physiognomik der Gewächse in Humboldt, Ansichten der Natur Bd. II. S. 1–125. einer Gegend. Das bewegliche Bild des Thierlebens: so mannigfaltig und reizend, so mehr angeeignet es unseren Gefühlen der Zuneigung oder des Abscheues ist; bleibt fast demselben fremd, wirkt wenigstens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künstlich die Herrschaft geselliger Pflanzen, und so an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten sie den Untergang wildwachsenden Pflanzen und siedeln andere, die dem Menschen auf fernen Wanderungen folgen, absichtslos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widersteht kräftiger diesen gewaltsamen Umwandlungen der Schöpfung.
Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war. Dieselben Zonen (Regionen) der Gewächse, welche als Jüngling der Cardinal Bembo Aetna Dialogus. Opuscula Basil. 1556 p. 53–54. Eine schöne Pflanzen-Geographie des Aetna hat in neuerer Zeit Philippi gegeben. S. Linnäa 1832 S. 733. am Abhange des Aetna im sechzehnten Jahrhundert beschrieb, fand Tournefort am Ararat wieder. Er verglich scharfsinnig die Alpenflor mit der Flor der Ebenen unter verschiednen Breiten; er bemerkte zuerst, daß die Erhöhung des Bodens über dem Meeresspiegel auf die Vertheilung der Gewächse wirke, wie die Entfernung vom Pole im Flachlande. Menzel in einer unedirten Flora von Japan sprach zufällig den Namen der Geographie der Pflanzen aus. Dieser Name findet sich wieder in den phantastischen, aber anmuthigen Studien der Natur von Bernardin de St. Pierre. Eine wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes hat erst angefangen, als man die Geographie der Pflanzen mit der Lehre von der Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper in innige Verbindung brachte; als man die Gewächse nach natürlichen Familien ordnen: und so numerisch unterscheiden konnte, welche Formen vom Aequator gegen die Pole ab-oder zunehmen, in welchem Zahlenverhältniß in verschiedenen Erdstrichen jede Familie zu der ganzen daselbst wachsenden Masse der Phanerogamen stehe. Es ist ein glücklicher Umstand meines Lebens gewesen, daß zu der Zeit, in welcher ich mich fast ausschließend mit Botanik beschäftigte, meine Studien, durch den Anblick einer großartigen, klimatisch contrastirten Natur begünstigt, sich auf die eben genannten Gegenstände der Untersuchung richten konnten.
Die geographische Verbreitung der Thierformen, über welche Buffon zuerst allgemeine und großentheils sehr richtige Ansichten aufgestellt, hat in neueren Zeiten aus den Fortschritten der Pflanzen-Geographie mannigfaltigen Nutzen gezogen. Die Krümmungen der Isothermen, besonders die der isochimenen, offenbaren sich in den Grenzen, welche gewisse Pflanzen-und nicht weit wandernde Thierarten gegen die Pole zu, wie gegen den Gipfel schneebedeckter Gebirge, selten übersteigen. Das Elennthier z. B. lebt auf der scandinavischen Halbinsel fast zehn Grad nördlicher als im Innern von Sibirien, wo die Linie gleicher Winterwärme so auffallend concav wird. Pflanzen wandern im Ei. Der Saamen vieler ist mit eigenen Organen zur weiten Luftreise versehen. Einmal angewurzelt, sind sie abhängiger vom Boden und von der Temperatur der Luftschicht, welche sie umgiebt. Thiere erweitern nach Willkühr ihren Verbreitungsbezirk von dem Aequator gegen die Pole hin: da vorzüglich, wo die Isotheren sich wölben und heiße Sommer auf eine strenge Winterkälte folgen. Der Königstiger, von dem ostindischen gar nicht verschieden, streift jeden Sommer im nördlichen Asien bis in die Breite von Berlin und Hamburg, wie Ehrenberg und ich an einem anderen Orte entwickelt haben. Ehrenberg in den Annales des Sciences Naturelles T. XXI. p. 387–412; Humboldt, Asie centrale T. I. p. 339–342, T. III. p. 95–101.
Die Gruppirung oder Association der Gewächsarten, welche wir Floren (Vegetations-Gebiete) zu nennen gewohnt sind, scheint mir, nach dem, was ich von der Erde gesehen, keinesweges das Vorherrschen einzelner Familien so zu offenbaren, daß man berechtigt sein könnte Reiche der Umbellaten, Solidago-Arten, Labiaten oder Scitamineen geographisch aufzustellen. Meine individuelle Ansicht bleibt in diesem Punkte abweichend von der Ansicht mehrerer der ausgezeichnetsten und mir befreundeten Botaniker Deutschlands. Der Charakter der Floren in den Hochländern von Mexico, Neu-Granada und Quito, vom europäischen Rußland und von Nord-Asien liegt, wie ich glaube, nicht in der relativ größeren Zahl der Arten, welche eine oder zwei natürliche Familien bilden; er liegt in den viel complicirteren Verhältnissen des Zusammenlebens vieler Familien und der relativen Zahlenwerthe ihrer Arten. In einem Wiesen-und Steppenlande herrschen allerdings die Gramineen und Cyperaceen, in unsern nördlichen Wäldern die Zapfenbäume, Cupuliferen und Betulineen vor; aber dieses Vorherrschen der Formen ist nur scheinbar, und täuschend wegen des Anblickes, den gesellige Pflanzen gewähren. Der Norden von Europa, und Sibirien in der Zone nördlich vom Altai verdienen wohl nicht mehr den Namen eines Reichs der Gramineen oder der Coniferen als die endlosen Llanos zwischen dem Orinoco und der Bergkette von Caracas oder als die Fichtenwaldungen von Mexico. In dem Zusammenleben der Formen, die sich theilweise ersetzen, in ihrer relativen Menge und Gruppirung liegt der Gesammteindruck von Fülle und Mannigfaltigkeit oder von Armuth und Einförmigkeit der vegetabilischen Natur.
Ich bin in dieser fragmentaren Betrachtung der Erscheinungen