Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul


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Proteinzufuhr. Sodann: Heutige Medizinstudenten des zweiten Semesters, die beim Sezieren in der Pathologie auch nur das allergeringste Witzchen über daliegende Leichen sich erlauben, fliegen wegen Pietätlosigkeit sofort aus dem Studium raus und dürfen nimmermehr Arzt werden, obwohl: Wo sollen sie denn alle hin, die galgenhumorigen Ärztewitze und Medizinzynismen, wenn nicht hinein in die Internistenpraxen, Kreiskankenhäuser und OP-Säle, wo Herren und Damen über Leben und Tod auch Milliardäre nicht retten können und dann recht schnell selber drankommen; auch Ärzte müssen mal zum Arzt. Jean Paul schrieb sich Menschenliebe aufs Panier, entwarf von sich das Bild eines unendlich menschenfreundlichen, hundenärrischen, tierlieben, kinderlieben Dauereuphorikers und Philantrophen, der sogar übelwollende Rezensenten manierlich behandelt, hatte also trotz satirischer und satyrischer Tendenzen und immensen Wortkeulen und Sprachknüppeln eigentlich wenig bis keine Neigung zu beißendem Spott oder ewig unversöhnlichem Sarkasmus -- wieso aber vermag dann das humane Unschuldslamm im ‚Dr. Katzenberger‘ einen waschecht geborenen Zyniker so plausibel und von innen heraus zu schildern? Und später im ‚Luftschiffer Giannozzo‘ sah er auch nicht just äußerst gnädig und konziliant aufs ameisenhaft verkleinerte Menschengewimmel herab. Wohnte etwa auch in diesem ewigen Sonnyboy und Jasager ein heimlicher Misantroph? Sowohl Jean Paul wie Arthur Schopenhauer bevorzugten die altertümliche Form „etwan“ statt „etwa“.

      By the way: Daß Schopenhauer in seinem Paralipomenon ‚Über Lerm und Geräusch‘ jene Fledermäuse erwähnt, die ihre Ohren mit einer Hautklappe schließen können, wird wohl, falls das damals nicht sowieso alle zoologischen Spatzen von den Dächern pfiffen, eine Reminiszenz an seine Katzenberger-Lektüre gewesen sein?! Apropos Lärmempfindlichkeit: Richard Wagner, der in Bayreuth als Platzhirsch gern Jean Paul in die Ecke drückt, schüttete Glasscherben vor seinem Fenster aus, damit Kinder ihn dort nicht beim Komponieren stören, was Jean Paul ihm nie verziehen hätte, der vor Hauslärm und Stadtlärm in die stille Rollwenzelei flüchtete, und siehe, bei seinen elf Ratgebertipps, wie man besser durchschlafen und einschlafen könne, nennt er einen zarten bescheidenen Lärm, der in kaum industrialisierten Zeiten aber doch sehr auffallen konnte und der dadurch entsteht, dass Hunde, die auf wackligen Stühlen schlummern, sich kratzen und den Stuhl damit zu rhythmischem Klappern bringen.

      Jean Pauls pausenloser Faible für Absonderlichkeiten wie den doppelten Hasen findet sich auch in anderen Nebenwerken wie des ‚Geburtshelfers Vierneissels Fötusidealen‘, wo es sehr katzenbergerisch heißt: „Ein solcher Doppelhase (mehr wollt‘ ich oben nicht sagen ohne Bild) ist nun der gute Jetzo-Mensch von Bildung: immer kehrt er vier Läufe und zwei Löffel nach oben, um seinen Wandel im Himmel zu führen, indes er mit den entgegenstehenden auf der Erde umhersetzt und satt wird.“ Goethe hat das etwas unkurioser ausgedrückt: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen, die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen, die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den den Gefilden hoher Ahnen.“

      Peter Handkes aktuellen Meditationen über den stillen Ort (Jean Paul koppelt auch gern mal „Ort“ und „Örtchen“) kommen eigentlich bereits im ‚Katzenberger‘ vor, wo darüber nachgedacht wird, was für Gefühle man beim Sitzen auf einer Klobrille gebären würde, bei der Vergegenwärtigung, daß eine VIP, alias: „ein großer Mann“ wie die Dichter Kotzebue, Schiller oder Theudobach auf diesem Lokus gesessen hätte.

      Arno Schmidts Terminus „Halbtrauer“ steht bereits im ‚Katzenberger‘.

      Auch im ‚Katzenberger‘ weicht Jean Paul wie immer sehr ab von dem Bild, das man sich später und jederzeit von ihm machte. Seit Heinrich Heine und vorher besteht die Übereinkunft, daß Jean Paul über Gebühr prüde sei, und wenn man bedenkt, was frühere und spätere Schriftsteller von Marquis de Sade bis Henry Miller so alles über Feuchtgebiete und Schoßgebete losließen, können die Klassiker tatsächlich vergleichsweise als etwas betreten und verklemmt erscheinen, sodaß man dann selber der Ansicht zuneigt, daß Jean Paul an verfrühtem Puritanismus gelitten habe. Wieso aber mokiert er sich dann in der Vorrede zum ‚Katzenberger‘ über die „keuschen Deutschen“ und verwendet auch mehrmals das Wort „Geschlecht“, zu welchem dazumal noch keiner „Sex“ sagte? Da England und Frankreich etwas freizügiger mit solcher schönen Materie umgingen, fordert er das frivole Welschland förmlich dazu auf, die keuschen Deutschen etwas aufzulockern in diesen Dingen: „Man bessre uns.“

      Jean Paul konnte sich so ungeheuer in Frauenseelen hineinversetzen, daß er sich bemüßigt fühlte, aus angeblich weiblicher Sicht einen ziemlich göttlichen Gedankengang hervorzugebären, den eine Frau vielleicht dann doch nicht so formuliert hätte: „Ich wollt‘, es gäbe gar keine Männer, sondern die göttlichsten Sachen würden bloß von Weibern geschrieben; warum müssen gerade jene einfältigen Geschöpfe so viel Genie haben, und wir nichts?“

      Geschwürhaft eingekapselt in den ‚Katzenberger‘ liegt dann noch das unübersehbare, tiefgreifende Intermezzo ‚Die Vernichtung‘, wie ein unverdaulicher Albtraum mitten in einer kuriosen Erzählung. Die ganze Vernichtungsmaschinerie der Natur kommt vollrohr zum Zug, Leichenberge, Verwesungsschauder, Lazarettpoesie, eingesargte Säuglinge, aus denen sich eine Wesenheit hervorhebt, die dies alles verursacht und also Gott sein muß, ehe dann die Schleier auffliegen und ein angehängtes Quasi-Paradies für Pseudo-Aufhellung sorgt.

      Zur Rezeptionsgeschichte: ‚Katzenberger‘ und ‚Rheingold‘ wurden öfter und lieber gesendet, nachgedruckt, eingespielt als ‚Götterdämmerung‘ und ‚Der Titan‘, weil sie besser auf eine CD oder in ein kleines Buch passen.

       Ulrich Holbein

      im Januar 2013

      ERSTES BÄNDCHEN

      VORREDE

       zum ersten und zweiten Bändchen der ersten Auflage

      Mit den Taschenkalendern und Zeitschriften müssen die kleinen vermischten Werkchen so zunehmen – weil die Schriftsteller jene mit den besten Beiträgen zu unterstützen haben –, dass man am Ende kaum ein großes mehr schreibt. Selber der Verfasser dieses Werks (obwohl noch manches großen) ist in acht Zeitschriften und fünf Kalendern ansässig mit kleinen Niederlassungen und liegenden Gründen.

      Dies frischte im Jahre 1804 in Jena die Voigtische Buchhandlung an, »kleine Schriften von Jean Paul Friedrich Richter«, ohne mich und ihr Gewissen zu fragen, in den zweiten Druck zu geben.

      Sie frischt wieder mich an, ihre kleinen Schriften von J. P., gleichfalls ohne zu fragen, hier ans Licht zu stellen. Gelassen lass‘ ich hier die Handlung über Nachdruck des Nachdrucks, über Nachverlag des Nachverlags schreien und mache mit diesem Sünden-Bekenntnis gern das Publikum zum heiligen Stroppinus, welcher der Beichtvater Christi ist.1 Denn will Voigt klagen, dass ich ihm seinen Verlagartikel unbrauchbar gemacht und verdorben hätte durch völlige Verbesserung und Umarbeitung desselben: so versetz‘ ich, dass nur ein Sechstel dieses Buchs aus jenem genommen ist. Das zweite Sechstel sammelte ich aus Zeitschriften, woraus er noch nichts von mir gesammelt.

      Das zweite und das dritte Drittel dieses Buchs sind ganz neu, nämlich Dr. Katzenbergers Badreise und Geschichte, so wie die Schluss-Polymeter; aber hierüber sei ein Beichtwort an den Leser vergönnt, würd‘ es ihm auch schwerer, zum zweiten Male der heilige Stroppinus zu sein. Und doch sind über das Folgende leichter vergebende Beichtväter zu haben als Beichtmütter. Es betrifft den Zynismus des Doktors Katzenberger.

      Es gibt aber viererlei Zynismen. Der erste ist der rohe in Betreff des Geschlechts, wie ihn Aristophanes, Rabelais, Fischart, überhaupt die alten, obwohl keuschen Deutschen und die Ärzte haben. Dieser ist nicht sowohl gegen Sittlichkeit als gegen Geschmack und Zeit.

      Der zweite Zynismus, den die Vernunftlehre annimmt, ist der subtile der Franzosen, der, ähnlich dem subtilen Totschlag und Diebstahl der alten Gottesgelehrten, einen zarten subtilen Ehebruch abgibt; dieser glatte nattergiftige Zynismus, der schwarze Laster zu glänzenden Sünden ausmalt und welcher, die Sünde verdeckend und erweckend, nicht als Satiriker die spanischen Fliegen etwan zu Ableitschmerzen auflegt, sondern


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