Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
Inhalt
Wie du bist, so lieb’ ich dich
Sommernachtsball bei Fürst von Trakstein
Es war ein Spiel und wurde bitterer Ernst
Rudolf Hermann hat noch nie einen Chauffeur benötigt. Auch jetzt steuert er den schweren Wagen durch die Toreinfahrt, hält vor dem langgestreckten Gebäude, in dem seine Geschäftsräume untergebracht sind, und ehe er aussteigt, verharrt er eine Weile regungslos hinter dem Lenkrad.
Der Mann, der immer in Bewegung ist, von dem man nur rastloses Schaffen gewohnt ist, sitzt zusammengeduckt hinter der Windschutzscheibe und starrt aus brennenden, todernsten Augen ins Leere. Eine grenzenlose Gleichgültigkeit ist über ihn gekommen, und nur der eine Wunsch beherrscht ihn, einmal die Augen zu schließen, nichts denken zu müssen und ruhen – ruhen.
Aber da sind Gedanken wie tausend Ameisen, die sein Gehirn durchwühlen. Immer wieder laufen sie auf das eine zu: Ich bin erledigt! Ich bin restlos fertig! Alles Schaffen, das aufreibende Schuften war umsonst. Es ist zu Ende mit mir.
Er schließt die Augen. Jetzt müßte ein Mensch neben ihm stehen, der ihm sanft über die heiße Stirn streift. Kühle, wohltuende Hände müßten da sein. Ein weicher Mund müßte gute, sanfte Worte zu ihm sagen und ihm bestätigen, daß er nichts versäumt hat, daß er schuldlos ist an diesem geschäftlichen Zusammenbruch.
Ja – und dieser Mensch mußte Stefanie, seine Frau, sein, die er doch als blutjunger, unerfahrener Mensch geheiratet hat, weil er sie sinnlos liebte.
Nur für sie und für die rasch aufeinander folgenden Kinder hat er geschuftet. Ihnen hat er ein sorgloses Leben bieten wollen. Alles, was er einst als Sohn eines Maurerpoliers entbehren mußte, hat er seiner Frau und den Kindern geschaffen. Er hat schweigend zugesehen, wie sie das Geld sinnlos zum Fenster hinauswarfen, weil er spürte, daß sie nur dann glücklich waren. Und er hat in dieser seltsamen Ehe das Lachen immer mehr verlernt.
Langsam steigt er die Stufen zum Eingang empor, geht den langen Korridor und an den Glastüren vorüber. Schemenhaft sieht er helle und dunkle Köpfe über Schreibmaschinen und Schreibtisch gebeugt. Sonst hat er freundlich hier und da gegrüßt. Heute geht er mit zusammengepreßten Lippen und todernsten Augen vorüber, die nichts sehen. Die nichts sehen wollen.
Grußlos durchquert er das Zimmer seiner Sekretärin und verschwindet in seinem Zimmer. Stöhnend, noch im leichten Sommermantel, läßt er sich am Schreibtisch nieder. Seine Hand zuckt vorwärts und bleibt zögernd in der Luft hängen.
Sekunden vergehen, dann drückt er einen der Knöpfe, und wenig später klopft es an seine Tür.
Emil Weber, sein Prokurist und Freund, tritt ein. Er ist zehn Jahre älter als Hermann. Sie waren als junge Menschen zusammen bei einer Firma. Hermann als Maurer und Weber als junger Angestellter. Als er dann von Stefanies Geld das Bauunternehmen gründete, holte er ihn in sein junges Unternehmen und hat es nie zu bereuen brauchen.
»Nun?« Lautlos tritt Emil Weber näher. Er trägt ein Bündel Akten unter dem Arm und betrachtet das mutlose Gesicht seines Chefs und Freundes besorgt. »Hat es geklappt?«
Hermann macht eine leichte Handbewegung, dann birgt er stöhnend das Gesicht in den Händen. Emil Weber weiß alles. Ihm ist ganz elend zumute. Er spürt einen Schmerz in sich wie damals, als ihn die gute, geliebte Frau für immer verließ. Ganz schnell, aus einem stillen, aber großen Glück hat der Tod sie herausgerissen. Seither hat er sich dem Unternehmen mit Haut und Haaren verschrieben.
»Es ist aus«, reißt Hermanns rauhe Stimme ihn aus seinen schmerzlichen Gedanken. »Alles vorbei. Wir müssen das Objekt weitergeben und werden alles Geld bis auf einen winzigen Rest verlieren.«
Weber tritt näher an den Schreibtisch heran. Seine Hand ruht auf der Schulter Hermanns. Wenn sie unter sich sind, sagen sie »du« zueinander.
»Wir werden mit dem Rest, und sei er noch so klein, von vorn beginnen«, tröstet er begütigend.
Hermann fährt herum. Er starrt den Freund und Vertrauten an. Dann lacht er bitter auf.
»Auf den Rest wartet bereits meine Frau. Sie braucht das Geld. Sie kann und will nicht verzichten, wie sie sagt.« Er stöhnt abermals auf. »Ich bin ein entsetzlicher Feigling. Ich kann es ihr nicht sagen, daß sie mir damit die letzte, die allerletzte Chance nimmt, das Unternehmen zu retten.«
»Dann werde ich es ihr sagen!« Durch die hagere Gestalt Webers geht es wie ein Ruck. »Du warst bisher viel zu gutmütig deiner Familie gegenüber.«
»Ich weiß es ja, Emil«, unterbricht Hermann ihn verzweifelt. »Ich brachte es niemals übers Herz, ihnen nur einen Wunsch abzuschlagen. Ich bin ja an allem schuld.«
»Natürlich bist du schuld«, sagt Weber bitter. »Du hast gearbeitet wie ein Pferd, du hast nur an das Wohl und Wehe deiner Frau, deiner Kinder gedacht. Du hast nicht einmal Dankbarkeit gefordert. Es war eine Selbstverständlichkeit für dich, bescheiden zu leben, während die anderen, ach…« Er macht eine ziellose Bewegung mit der Hand durch die Luft. »Und nun quälst du dich noch mit den Gedanken herum, alles verschuldet zu haben. Sprich noch einmal mit deiner Frau. Sie wird es einsehen und dir helfen. Menschenskind, man kann doch eine Firma, die nahezu fünfundzwanzig Jahre besteht, nicht einfach vor die Hunde gehen lassen, Rudolf! So viel Vernunft muß doch wohl deine Frau haben.«
Hermann wirft einen schmerzlichen Blick zu Weber auf. Lieber, guter Freund, sinnt er hinter dessen Worten her. Was weißt du von meiner Frau? Etwas wohl – aber nicht alles. Was weißt du von dem aufreibenden Leben, das ich an Stefanies Seite geführt habe. Du hast sie erkannt, aber nur zu einem kleinen Teil. Du kennst nicht ihre Habgier und den Götzen Geld, dem allein sie huldigt.
Langsam erhebt er sich, löst den Gürtel seines Mantels und wirft ihn über den nächsten Sessel.
»Es ist sinnlos, mit Stefanie zu reden«, sagt er kurz und entschlossen. »Laß uns noch einmal rechnen. Vielleicht langt es nicht einmal, um Stefanie das zurückzugeben, was sie mit in die Ehe gebracht hat.«
Hermann geht zum Fenster hinüber. Er schweigt, und Weber wagt ihn nicht in seinen Gedanken zu stören.
»Rudolf«, sagt er mit aller Wärme, »was auch kommen mag, auf mich kannst du jederzeit rechnen. Ich bin dein Freund. Wir werden das Kommende gemeinsam tragen.«
Hermann schluckt, dann dreht er sich um. Er blickt dem Freund stumm in die Augen.
»Danke«, würgt er hervor, und sich fangend setzt er hinzu: »Laß uns noch einmal die Bücher durchgehen.«
*
Die Räume der Angestellten liegen in Dunkelheit. Nur in Rudolf Hermanns Zimmer brennt bis tief in die Nacht hinein das Licht. Sie sind beide todmüde und haben Schatten