Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
ist sie, mit ihrem früheren Lehrer nach Peru«, gibt er monoton Auskunft. Sie starrt ihn an, als sähe sie ein Gespenst.
»Nach Peru?« Dann schlägt sie die Hände zusammen. »Aber das hätten Sie wirklich nicht zulassen sollen, Herr Professor. Was soll das Kind in Peru im Urwald.«
»Peru ist nicht die Wildnis«, verbessert er sie und reicht ihr seinen Koffer. »Es war ihr Wille. Ich konnte sie nicht zurückhalten.«
Babette mißt ihn mit einem verächtlichen Blick. »Das kann ich mir denken. Sie haben das Kind sowieso nicht leiden können. Sie ist vor Ihnen geflohen, vor Ihrer Kälte –«
»Sei still!« herrscht er sie an. Kann er ihr sagen, daß sie vor ihrer Liebe zu ihm geflohen ist? Nein! Das würde sie doch nicht glauben.
»Ich möchte etwas trinken, Babette, dann fahre ich sofort ins Krankenhaus«, lenkt er von Amelie ab.
»Etwas trinken? Natürlich, sofort«, stammelt sie und rennt davon, den Koffer in der Hand. Auf einmal macht sie kehrt.
»Da ist ein komischer dicker Brief an Sie gekommen, Herr Professor. Er liegt auf ihrem Schreibtisch. Und Doktor Lenz hat auch schon ein paarmal angerufen«, berichtet sie aufgeregt. Sie kann es wirklich nicht fassen, daß er ohne Amelie heimgekommen ist.
Mit großen Schritten geht er an ihr vorbei. Er sieht erbarmungswürdig aus. Ob der Kongreß so anstrengend war?
Dann erinnert er sich, daß sie dem Professor etwas Trinkbares bringen soll. Sie stellt den Koffer ab und eilt in die Küche.
Indessen hat Martens sein Arbeitszimmer erreicht, und der Brief fällt ihm sofort ins Auge.
Er dreht ihn zwischen den Fingern. Er kommt aus Peru. Seine Hände zittern, als er ihn öffnet.
Ein kleiner, verschlossener Umschlag fällt ihm entgegen und ein Schreiben von Dr. Allison.
Sehr geehrter Herr Professor!
In meiner Eigenschaft als Vermögensverwalter und persönlicher Freund Ihrer Schwester, Frau Irmgard Baxter, sende ich Ihnen beiliegenden Brief. Gleichzeitig schicke ich Ihnen die Abrechnung über den Verkauf von Amelies Erbe. Das Geld, es ist ein Millionenbetrag, wird von hier aus auf die Deutsche Bank zu Amelie Baxters Verfügung überwiesen.
Ich hoffe, alles im Sinne der Verstorbenen erledigt zu haben und grüße Sie verbindlichst Rechtsanwalt und Notar Dr. Allison.
Martens muß sich schnell hinsetzen. Hören denn die Überraschungen gar nicht auf?
Zögernd nimmt er den Brief seiner Schwester in die Hand, und zögernd öffnet er ihn.
Lieber Bruder Matthias!
Wenn Du diesen Brief in Händen hältst, bin ich endlich von meinen Leiden erlöst. Ich weiß dann auch Amelie bei Dir in guter Hut. Ich wollte es, daß sie unser Elternhaus kennenlernt und bei Dir bleibt.
Mein Herz war nur teilweise hier in Peru, die andere Halfte blieb in der Heimat, die ich nie vergessen konnte. Manchmal hat mir das Heimweh fast das Herz zerrissen. Aber ich will Dir der Reihe nach alles erzählen. Heute, wo Du ein reifer Mensch mit eigenen Erfahrungen bist, wirst Du mich vielleicht besser verstehen.
Unsere Eltern, die ich genauso sehr liebte wie Du, wollten den Mann, den ich liebte, nicht anerkennen. Er war Rennfahrer. Sie versuchten, mir das Leben an seiner Seite in den schwärzesten Farben auszumalen. Ich blieb standhaft. Ich kämpfte für meine Liebe, aber ich mußte mein Elternhaus dafür opfern. Ich ging mit ihm nach Übersee. Noch ehe wir getraut wurden, mußte er an einem Rennen teilnehmen und verunglückte tödlich. Ich war krank vor Schmerz. Meinen Geliebten hatte ich verloren – und mein Elternhaus geopfert. Es war eine harte Strafe für mich, wenn man es so nennen will.
Zuerst war ich krank, dann erholte ich mich langsam und versuchte, mich in dem mir fremden Land durchzusetzen. Durch eine seriöse Vermittlung erhielt ich ein Angebot nach Lima bei einem Industriellen, um sein Haus zu führen. Ich nahm die Stelle an und lernte in Ben Baxter einen gütigen, verständnisvollen Mann kennen, der mich heiratete. Wir waren sehr glücklich, wenn auch nur kurze Zeit. Dann passierte das schreckliche Unglück. Unser Wagen geriet ins Schleudern. Mein Mann hatte ein langes Krankenlager durchzumachen. Ich war schwer verletzt, und die Ärzte erklärten mir, daß ich nie Kinder haben würde. Wir haben uns gegenseitig getröstet und kamen auf den Gedanken, ein Kind zu adoptieren. Es ist Amelie, die den Namen meines Mannes trägt. Amelie weiß bis auf den heutigen Tag nicht, daß ich nicht ihre leibliche Mutter bin. Ich überlasse es ganz Dir, es ihr zu sagen – oder zu verschweigen. Das liegt in Deinem Ermessen.
Lieber Matthias! Denkst Du noch an unsere wunderbare Kindheit? Trotz der zehn Jahre, die ich älter war, verstanden wir uns ausgezeichnet. Meine Gedanken sind so oft über das weite Meer gewandert und haben Dich gesucht.
Bitte, sei gut zu Amelie, hab’ sie ein wenig lieb. Sie ist ein prachtvoller Mensch und hat mir das Leben mit ihrer Liebe und Anhänglichkeit sehr verschönt. Dafür segne sie Gott!
Sie ist nicht wie andere Mädchen aus reichem Hause. Sie war immer fürs Lernen, und sie hat unter Professor Kelly als seine Assistentin gearbeitet. Sie wird auch Dir eine Hilfe sein. Ich weiß alles über Dich, denn ich habe nie die Fäden, die zur Heimat führten, abreißen lassen.
Wenn Du diesen Brief erhältst, ist Amelie schon lange bei Dir. Ich wollte es so. Deshalb sollte Dr. Allisan auch eine gewisse Zeit mit dem Verkauf von Amelies Besitz warten. Es hätte ja sein können daß es ihr bei Dir nicht gefallen würde. Aber wie ich Dich kenne wirst Du sie in Liebe aufgenommen haben.
Ich bin müde, Matthias, unsagbar müde. Ich sehne mich nach der großen Ruhe.
Ich wünsche Dir und Amelie alles Glück der Erde.
Deine Schwester Irmgard
Lange sitzt Martens über den Brief geneigt. Er ist erschüttert. Er hat Amelie als Eindringling betrachtet, und später hat er seine Meinung ändern müssen.
Und nun liebt er Amelie! Auf einmal wird ihm klar, was der Brief für eine Freudenbotschaft für ihn enthält.
Amelie ist nicht seine Nichte! Seine Liebe zu Amelie ist nicht hoffnungslos!
Amelie! Amelie! – ruft sein Herz. Und er hat sie gehenlassen, zurück in die alte Heimat?
Bei diesen Gedanken kommt Leben in ihn.
Was will er hier? Er muß Amelie zurückholen. Sie muß es wissen.
Daß sie nun eine sehr reiche Frau ist, kümmert ihn nicht. Was bedeutet ihm schon Geld? Er hat selber genug.
»Babette! Babette!« schreit er los, sie kommt atemlos angelaufen.
»Ich komme schon, Herr Professor. Einen Augenblick noch, dann ist der Kaffee fertig.«
Er winkt ab. »Laß, Babette, ich will keinen Kaffee. Paß auf, was ich dir sage. Du nimmst die Wäsche aus dem Koffer und packst den größeren. Ich fahre nach Peru und hole Amelie zurück.«
Babette ist wie erschlagen. »Ja – warum haben Sie sie denn dann fahren lassen?«
Er schiebt sie zur Tür. »Später, Babette, jetzt habe ich keine Minute Zeit. Später wirst du alles erfahren.«
Er verschließt die Unterlagen über Amelies Vermögen. Nur den Brief seiner Schwester steckt er zu sich.
Er jagt die Treppe hinunter und hätte Babette beinahe umgerissen. »Schnell, Babette, laß meinen Wagen vorfahren. Ich muß erst noch ins Krankenhaus.«
Babette schüttelt nur den Kopf. Wie ein Junger ist er die Treppen herabgesprungen. Es würde sie nicht gewundert haben, wenn er über das Geländer gerutscht wäre, wie er es als Kind getan hat.
Keine fünf Minuten sind vergangen, als der Chauffeur vorfährt.
»Ins Krankenhaus«, sagt Martens kurz. Auch der Chauffeur wundert sich. So strahlend hat er den Professor noch nicht gesehen immer nur unnahbar und von kühler Zurückhaltung.
Während der Fahrt fällt Martens Dr. Berthold