Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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haben, schrie es in Weras Seele. Ganz laut sagte sie hinzu: »Diese Nacht noch.«

      Jetzt hatte sie das Haus umschritten, jetzt konnte sie sich hinein stehlen, hinauf schleichen – gerade wie Sascha, wie der liebe Sascha, der arme Sascha.

      Und wieder murmelte sie vor sich hin: »Ach, Sascha, Sascha!«

      Eben wollte sie ihr Vorhaben ausführen, als auf der Treppe ein Diener ihr entgegenkam: »Da sind Sie ja! Man sucht Sie im ganzen Hause. Das erste Bild hat bereits angefangen und Sie stehen im dritten. So kommen Sie doch!«

      Ja so; die Bilder! Die Bilder hatte sie ganz vergessen. Und Boris Alexeiwitsch hatte doch eigens die Bilder arrangiert, um sie zu bekommen – diese Nacht noch! Schade, daß sie ihm den Spaß verderben würde. Gott im Himmel, sie ging immer noch als heilige Jungfrau gekleidet! Welche Gotteslästerung! Und sie mußte hinein, sie mußte den Kelch leeren; der Diener wich nicht von ihrer Seite. Allerdings hätte sie Boris Alexeiwitsch sagen lassen können, sie wäre plötzlich erkrankt. Es wäre aber gelogen gewesen, denn sie fühlte sich wohl, durchaus wohl, und sie wollte um dieses Menschen willen nicht lügen. In Gottes Namen denn! Dem Diener folgend, dachte sie: Nun, das wird schnell vorübergehen. Nur das Leben nicht, das dauert lange, so lange.

      Sie wandte sich, um sich in den Saal zu begeben, Boris kam ihr entgegen; eilig, aufgeregt.

      »Wo bist du? Was soll das heißen? In welche Verwirrung bringst du uns! Sollen wir deinetwegen die ganze Gesellschaft warten lassen? Schnell hinein! Du mußt den Mantel höher fassen. Hier sind die Lilien. Jetzt brauchst du die Blumen noch nicht anzusehen.«

      Sie schlug die Augen auf.

      »Mein Gott, was ist dir?«

      »Mir ist wohl.«

      Sie hatte erwartet, daß sie nicht würde reden können, daß ihr die Stimme versagen würde. Nun konnte sie nicht nur reden und das ganz ruhig, ganz gelassen; ihre Stimme klang sogar wie gewöhnlich. Seltsam!

      Sie sah ihn an. Er war in seinem Kostüm herrlich. Zum erstenmal fiel ihr auf, daß er ein schöner Mann sei. Daran hatte sie noch niemals gedacht; sie mußte es diesen Augenblick denken, sich wundernd, daß sie es denken konnte.

      Boris ging mit ihr dem Saale zu. Sie kamen durch das Gewächshaus, das matt erleuchtet und ganz einsam war. Er riß sie an sich.

      »Küsse mich!«

      Und sie küßte ihn zum erstenmal.

      »Wera! Wera!«

      Aber sie löste sich von ihm, ging von ihm fort und trat in den Saal, wo sich in einem abgeschlossenen Raum die Mitwirkenden versammelten. Wera sah nicht auf. Auch jetzt flüsterte man, als sie hereinkam.

      Es war erstickend heiß, die Kerzen flimmerten, ein Summen gedämpfter Stimmen drang herüber; dann begann die Musik, dann ging vor dem zweiten Bilde der Vorhang auf.

      Rauschender Applaus.

      Das Bild, darin Wera stand, war von Boris, weil man sie nirgends finden konnte, verschoben worden; es sollte das letzte sein. So hatte sie denn Zeit.

      Boris befand sich auf der Bühne, aber andere Herren näherten sich ihr und machten ihr Komplimente über ihre Schönheit. Wera hörte alles mit an, ohne eine Miene zu verziehen. Dann und wann erwiderte sie etwas, irgendein gleichgültiges Wort.

      Auf einmal sah sie sich mit Anna Pawlowna allein. Diese trat auf sie zu, blickte ihr starr in die Augen und murmelte: »Du liebst ihn?«

      Wera schwieg.

      »Antworte!«

      »Ich liebe ihn.«

      »Aber er liebt dich nicht.«

      »Das weiß ich.«

      Die Prinzessin starrte sie an, als ob sie eine Wahnsinnige vor sich hätte.

      »Woher weißt du das?«

      »Ich weiß es.«

      »Und das sagst du so ruhig?«

      »Warum nicht? Übrigens, was geht es Sie an?«

      »Was es mich angeht?«

      »Da Sie doch die Geliebte Saschas sind – –«

      Anna Pawlowna wurde totenblaß, ihr schönes Gesicht verzerrte sich, sie ballte ihre Hand und erhob sie.

      »Schlagen Sie nur zu,« sagte Wera kalt, ohne zurückzutreten.

      Mit einem Laut, wie das Zischen einer Schlange, ließ Anna Pawlowna den Arm sinken.

      »Wera Iwanowna, Ihr Bild kommt an die Reihe, Gehen Sie, bitte, auf die Bühne.«

      Wera ging auf die Bühne, stellte sich hin, neigte den Kopf und sah auf den Lilienstengel.

      »Wera Iwanowna, Sie müssen lächeln,« rief Boris ihr zu. »Lächeln Sie.«

      Und Wera lächelte.

      Dann fühlte sie, daß er an ihrer Seite niederkniete und zu ihr emporsah; mit einem Ausdruck, einem Blick voller Anbetung, Verzückung, Seligkeit – –

      Jemand rief: »Bewegt euch nicht, es fängt an!«

      Die Musik begann, der Vorhang ging in die Höhe.

      Wera regte sich nicht und lächelte. – – Der Vorhang schlug rauschend zusammen und ging dann wieder auf, vier-, fünfmal. Das Publikum konnte sich nicht satt sehen.

      Die Gestalten lösten sich; Wera fühlte sich festgehalten, hörte flüstern: »Meine Heilige!«

      Sie zuckte zusammen wie von einer Natter gestochen.

      Boris trat von ihr weg, zu Anna Pawlowna, der er die Hand küßte.

      »Sie waren wunderbar.«

      Sechzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wera ging auf ihr Zimmer und machte Licht. Sie stand dem Spiegel gegenüber und sah ihr blasses, wunderschönes Gesicht. Voller Erstaunen blickte sie es an, als sähe sie es zum erstenmal; um dieses Gesichtes willen so viel Trug und Lug, so viel Herzleid und Jammer! Alles nur, weil sie schön war! Wäre sie häßlich gewesen, so würde nichts von allem geschehen sein.

      Nur um ihres schönen Gesichtes willen hatte er seine ruchlosen Hände nach ihr ausgestreckt; denn von ihrer Seele hatte er nichts gewußt, wo sie doch nur seine Seele geliebt hatte, diese unlautere, unheilige, häßliche Seele.

      Wie Strähne gesponnenen Goldes glänzte ihr im Glase ihr Haar entgegen und plötzlich schämte sie sich, auf ihrem armen Haupte solchen Reichtum zu tragen. Wenigstens das konnte sie sich abreißen! Sie nahm eine Schere und schnitt die prachtvollen Flechten ab, daß nichts davon übrigblieb.

      Gern wäre sie mit allem so verfahren, was er an ihr schön gefunden und geliebt hatte; aber sie wagte nicht, Hand an ihre gottgeschaffene Gestalt zu legen.

      Dann entkleidete sie sich und zog ihr altes Bauerngewand an.

      Jedes Stück des fremden Schmuckes ordnete sie sorgsam auf dem Tische; ihr Haar ließ sie am Boden liegen.

      Er wurde gewiß bald kommen, um sie zu nehmen, um sich für alle seine Mühe den Lohn zu holen endlich!

      Sie raffte sich auf, löschte das Licht, entriegelte die Tür und schlich hinaus.

      Einen Augenblick blieb sie auf der Schwelle stehen. Hier hatte sie die glückseligsten Stunden ihres armseligen Lebens verträumt. – – Was war das? Wer seufzte so kläglich?

      Sie war es selbst.

      Sie machte die Tür hinter sich zu und verließ das Haus. Der Saal, in welchem sich noch immer die Gesellschaft befand, lag im Erdgeschoß; sie mußte daran vorüber. An einem der Fenster stand ein Mann und spähte in den Saal hinein. Natürlich war es Sascha.

      Seine


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