Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
kleinen Reiches, sondern Luise, Was diese wollte, geschah, was diese nicht wollte, geschah nicht. Sie gebot und wir waren gewöhnlich sehr glücklich und dankbar, wenn es unserer gestrengen Dienerin beliebte, guter Laune zu sein, oder einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
Mit mir trieb sie eine Art von Götzendienst. Ich war für sie nämlich ein so schönes, so kluges, so wunderbares Kind, daß mein Dasein sie geradezu fassungslos machte. Offnen Mundes staunte sie das Wunder meiner Existenz an, mit unerschütterlichem Glauben prophezeiend (die gute Seele hatte von ihren Märchen profitiert!), daß sicher noch einmal etwas »Großes« aus mir werden würde; zum Beispiel eine Prinzessin. Ihrer durchaus maßgeblichen Meinung nach brauchte ich nur zu wollen, um mich eines schönen Tages per goldener Kutsche auf irgendeinen gerade vakanten Königsthron befördern zu lassen. Kurz diese »böse- gute, liebe-schlechte« Luise verwöhnte mich gründlichst.
Ihr schönen, glücklichen Zeiten! Ihr verklungenen Klänge, noch einmal klingt in mir nach!
Kindheit! Kindheit! Ist es denn möglich, daß die Sonne so hell scheinen, eine Blume so duften kann?! Kindheit! Kindheit! Du schönstes Märchen, du wundersamstes Gedicht, bist du auch mir jemals erklungen? Noch immer mit braunem Haar, kann ich kaum noch begreifen, wie der gramvolle Mensch je ein fröhliches Kind gewesen sein soll, das junge Herz so voll Sonnenscheins, daß ihm die trüben Tage nicht dunkler deuchten als die heiteren. Kindheit! Kindheit! Ich erlebe dich wieder und mir wird so wohl, mir wird so weh! Ich schließe die Augen, um einzuschlafen und noch einmal so selig zu träumen. Ein Meer von Strahlen steigt wirbelnd aus dem Dunkel auf. Töne umbrausen, Melodien umrauschen mich. Still, weckt mich nicht!
Drittes Kapitel
Junge Talente, junge Freuden und Leiden
Luise mochte mit ihrem staunenden Ausruf, was ich für ein wunderbares Kind sei! nicht Unrecht haben. Wenigstens war ich sicher ein sehr eigentümliches Kind, wohl eines der seltsamsten kleinen Geschöpfe, die jemals Sand und bunte Steine für große Herrlichkeiten hielten und sich mit ihren Puppen herumschleppten, als seien das winzige Menschen.
Dabei war ich ein so zärtliches, liebebedürftiges und liebesehnsüchtiges kleines Wesen, daß mich die Heftigkeit meiner Empfindungen oft krank machte. Bei solcher Anlage war es denn nicht verwunderlich, wenn ich mich nicht damit begnügte, mein Mütterchen »gräßlich« und Luise »schrecklich« lieb zu haben; sondern auch einen großen Teil meines Liebesreichtums auf Dinge warf, die entweder Ideen oder leblose Gegenstände waren. Zu der ersten Gattung dieser heiß Geliebten gehörten meine sämtlichen Märchengestalten, zur zweiten natürlich meine Puppen. Meine Einbildungskraft beschenkte sie sowohl wie mich selbst mit allen denkbaren irdischen und unirdischen Herrlichkeiten. Mittels meiner Phantasie konnte ich Wunder vollbringen. Freilich wurden mir diese schimmernden Gebilde durch einen andern skeptischen und auflösenden Zug meines Wesens gewöhnlich wieder auf das Grausamste zerstört. Dann war ich eine Zeitlang ganz elend, bis ich mir eine neue Phantasmagorie hergestellt hatte.
Im Idealisieren maßlos, geriet ich nur zu leicht auch in der entgegengesetzten Empfindung völlig ins Extrem. Dieses Doppelwesen meiner Natur wurde in dem Verhältnis zu meinen Puppen am schärfsten ins Licht gesetzt. Hier idealisierte ich, was ich nur konnte. Alles an diesem kümmerlichen Spielzeug sah ich glänzend und prachtvoll. Ich beseelte es mir und ließ dann daraus mein eigenes phantastisches Ich in einer mir selbst unverständlichen Sprache reden und predigen. Durch dieses Vermenschlichen von etwas Leblosem versetzte ich mich in eine geradezu krankhafte Aufregung, bis zuletzt auch hier nach dem Rausch die unbarmherzige Entnüchterung eintrat. Plötzlich sah ich meine herrlichen Gestalten als aus Holz, Leinwand und Pappe verfertigt, mit schlechtem Flitter behangen. Die Engelsmienen waren bemaltes Wachs, die strahlenden Augen Glas, die »goldenen« Locken Seide und Flachs. Einmal bis zu dieser Erkenntnis gelangt, scheute ich mich nicht, meinem schmerzenden Herzen auch den letzten Wahn zu benehmen: die Leiber meiner Puppen zerfielen unter meinen zerrenden Fingern, häßliches Gefüllsel streute sich aus – nun hatte ich Wirklichkeit.
Eine Menge ähnlicher Züge beweisen Ähnliches. Ich war eben eine sehr gemischte Natur. Bald übermäßig froh, bald übermäßig traurig; jetzt in ausgelassenen Jubel ausbrechend, dann über die Lust selbst in Schwermut verfallend.
In ernsthafteren Dingen zeigte ich mich übrigens einheitlicher. Ich besaß eine große Wahrheitsliebe und früh bemerkte meine Mutter einen leidenschaftlichen Hang zur Grübelei in mir. Mit trotziger Liebeskraft strebte ich allem zu, was mir zu eigen zu machen ich mir vorgenommen. Erkannte ich jedoch die Unmöglichkeit des Besitzes, so war ich gleich bereit, Wunsch und Hoffnung aufzugeben. Es kam oft vor, daß irgendein bescheidenes Vergnügen, worüber ich lange vorher stürmische Freude empfunden, vereitelt wurde oder beim Beginn abgebrochen werden mußte. Wenn ich dann so ruhig, fast gleichmütig entsagte, freute sich meine Mutter über ihr »vernünftiges« Kind. Ich besaß eben ein großes Talent zum Entsagen. Nun, dafür bin ich Frau.
Schreiben und Lesen hatte mich die Mutter gelehrt. Später wurde ich Schülerin derselben Anstalt, an der mein Vater sich so viele Jahre lang abgequält. Wohl mochte es meiner Mutter tief wehmütig sein, ihr Kind denselben Weg gehen zu lassen, den täglich der Unvergeßliche zurückgelegt und sich ihre Tochter in denselben Räumen denken zu müssen, welche die Gegenwart des Verstorbenen geweiht. Weil ich wirklich fleißig war, leicht faßte und mit voller Lust arbeitete, ward ich bald von den Lehrern bemerkt und bevorzugt. Doch war das gewiß nicht der Grund, daß ich unter meinen Mitschülerinnen keine Freundin, kaum eine Kameradin fand. Und das ist so geblieben – bis heute! Ich habe niemals eine Freundin gehabt. Forsche ich nach der Ursache dieser befremdenden und traurigen Erscheinung, so muß ich sie wohl oder übel in mir selber finden. Ich fürchte, daß mein Geschlecht mich nicht für liebenswürdig hielt und das wahrscheinlich mit vollem Recht. Ohne mir einfallen zu lassen, mich besser als sie zu dünken, fühlte ich, daß ich anders war. Dieses dumpfe Bewußtsein machte mich trotz meines heißen Bedürfnisses, Zärtlichkeit zu empfangen und zu geben (ich rede von meiner Kinderzeit), scheu und verschlossen. Wie gern hätte ich mich damals mitgeteilt, wie gern meine junge, stürmische Empfindung in ein anderes, ebenso junges, ebenso bewegtes Herz ausströmen lassen! Schüchterne Versuche, die ich machte, mißlangen vollständig. Obgleich ich in meiner natürlichen Sprache zu ihnen redete (wie hätte ich anders können!), war dieselbe ihnen doch eine völlig fremde. Sie verstanden mich nicht und ließen mich allein. Wie darf ich mich darüber beklagen?
Später wurde ich dann sehr bald eine zu entschiedene Individualität, um mir damit Freundinnen erwerben zu können.
Wir »duldenden« Frauen sind so unduldsam, was Frauen anbetrifft! Wir, für die alles Ungewöhnliche beim Manne einen so gefährlichen Reiz besitzt, fordern von unserem Geschlecht, daß es typisch sein solle. Können wir es doch kaum einer Frau verzeihen, wenn sie sich anders kleidet als andere. Von der Coiffüre bis zur Schleppe soll sich bei uns alles gleichen. Dabei sind wir jedoch sehr bereit, selbst durch einen überraschenden Schnitt aufzufallen, wie wir es denn gewiß weit lieber haben, nachgeahmt zu werden, als nachzuahmen. Dulden wir also selbst nicht bei der Toilette Individualitäten, wie sollten wir uns dann einander Abweichungen und Ausschreitungen in unseren Persönlichkeiten gestatten und vergeben?
Mein ganzes Leben lang ohne Freundinnen, möchte ich mir doch jetzt die eine oder die andere zur Freundin erwerben. Ich, die ich nie so glücklich gewesen, einer Frau mein Herz ausschütten zu dürfen, tue das nun in diesen Blättern. Kann doch schließlich nur die Frau die Frau verstehen! So schreibe ich denn diese Aufzeichnungen – diese Bekenntnisse! – für euch, meine Schwestern, nieder. An eure Herzen wende ich mich, zu euren Herzen rede ich. Möchtet ihr mich in meinem Unglück liebenswürdiger finden, als eure Gefährtinnen das taten, da sie mich für glücklich hielten, für überschwenglich, für beneidenswert glücklich! Ich habe mich immer nach euch gesehnt, nach euch, meinen Leidensgenossinnen. Denn das seid ihr! Alle habt ihr ja gelitten! Freilich – ihr werdet meine Liebe Verirrung nennen, mein Leiden die gerechte Buße für eine schwere Schuld. Aber, wenn ich euch mein Herz offen darlege und vor euren Augen seine tiefen, blutigen Wunden rinnen lasse, werdet ihr vielleicht milder denken