Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha
den fahrbaren Servierwagen.
»Danke.« Zaghaft greift Magda zu der dargebotenen Zigarette und meint dann: »Sicher wundern Sie sich, mich hier zu sehen. Ich gebe zu, daß es etwas außergewöhnlich ist .«
»Aber keineswegs«, lacht Christiana entwaffnend. Es macht ihr Spaß, die nicht sehr gewandte Frau in die Enge zu treiben. »Wir kümmern uns wenig umeinander. Jeder kann tun und lassen, was er will. Wenn Sie hier auf Martin warten, wird es wohl seinen Grund haben. Stimmt es?«
»Er – er hat mich zu sich bestellt«, erklärt Magda unsicher. Sie weiß nicht, inwieweit sie dieser Frau vertrauen kann.
»Sind Sie oft – außerberuflich mit meinem Bruder zusammen?« fährt Christiana mit ihrem Verhör fort.
»In letzter Zeit – ja!« Magda stößt es nunmehr trotzig hervor.
»Soso«, macht Christiana, drückt langsam ihre Zigarette aus und erhebt sich. »Ich will Sie nicht länger belästigen. Sie werden bestimmt warten wollen. Aber eine Erfrischung lasse ich Ihnen doch bringen.«
Sie reicht Magda die Hand. »Ich hoffe, wir sehen uns einmal in Gesellschaft meines Bruders wieder.«
»Wenn Mar – wenn Ihr Bruder es will«, stammelt Magda verwirrter denn je und sieht der hochgewachsenen, schönen Frau nach.
Ein paar Minuten später erscheint ein Hausmädchen, freundlich und adrett gekleidet.
Sie deckt vor Magda einen Tisch mit Mokka, einer silbernen Schale Gebäck, einer Flasche Likör und einem feingeschliffenen Glas.
»Danke«, sagt Magda und ist froh, als sie wieder allein ist.
Sie hat das unangenehme Gefühl, daß sie lange warten muß. Hat Martin ihre Verabredung vergessen? Ist er im Krankenhaus aufgehalten worden? Oder will er ihr absichtlich aus dem Wege gehen nach der heftigen Auseinandersetzung?
Die Stunden fließen dahin. Sie weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, seitdem sie diesen Raum betreten hat. Sie fährt aus einem kurzen Dämmerschlaf auf, als die Tür aufgerissen wird und Doktor Freytag auf der Schwelle steht.
Als er sie im Schein der Stehlampe entdeckt, verzieht sich sein eben noch heiteres Gesicht. Finster kommt er näher. Vor diesem Mann fürchtet Magda sich plötzlich.
Hinter Doktor Freytag taucht ein Frauenantlitz auf, fröhlich, strahlend, von wirren, schwarzlockigen Haaren umgeben.
Ein greller, spitzer Schrei löst sich von Magdas Lippen.
Während sie in banger Erwartung hier gesessen hat, amüsierte sich Martin mit der jungen Schwester Anita?
»Martin«, murmelt sie, dann sinkt ihr Kopf zur Seite. Barmherzige Stille ist um sie, und das Dunkel, in das sie versunken ist, löscht alle quälenden Gedanken aus.
Anita drängt sich in den Vordergrund, erkennt die Oberschwester und preßt die Hand an den Mund. Jetzt ist sie ganz nüchtern.
»Martin«, schreit sie auf und kniet neben der ohnmächtigen Frau. »Hilf mir doch, ich bitte dich.« Anitas Herz schlägt voll Angst und Mitleid wie ein Hammer in der Brust.
Aber Martin rührt sich nicht. Er hat es sich so nett ausgemalt, mit der temperamentvollen Anita allein zu sein, und nun macht Magda ihm einen Strich durch die Rechnung.
Wie kommt sie überhaupt hierher? Ach, richtig! Er hat sie ja zu sich bestellt. Ein Gefühl wie ein Warnruf regt sich in ihm. Wie soll er sich verhalten?
Ehe er sich noch schlüssig geworden ist, kehrt Magdas Bewußtsein zurück. Sie blickt aus verstörten Augen um sich, erkennt Anita und Martin, der stumm und steif abseits steht.
Unerbittlich kehrt ihr ins Gedächtnis zurück, wie grausam sie die letzten Stunden bei ihren düsteren Gedanken gemartert haben.
Von Anita unterstützt, kommt sie auf die Beine. Sie zittert und hätte am liebsten die ihr helfenden Arme von sich gestoßen. Aber sie ist schwach und weich in den Knien.
»Setzen Sie sich, Oberschwester Magda.« Anitas Stimme ist besorgt und flehend. »Ist Ihnen nicht wohl? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
Stumm schüttelt Magda den Kopf. Sie nimmt auch nicht Platz. Sie streicht sich das Haar aus der Stirn und schiebt dann Anita von sich.
»Hat er Sie endlich auch ’rumgekriegt?« Ihre Stimme ist tonlos, aber scharf und mit Hohn getränkt. »Der feine Herr Doktor sieht wohl, wie ihm langsam die Felle bei mir wegschwimmen, und so sucht er nach einem anderen Halt? Werden Sie in Zukunft dafür sorgen, daß ihm der Stoff nicht ausgeht? Ich beglückwünsche Sie zu der Stellung als barmherzige Schwester. Er wird Sie genauso ruinieren wie mich. Sie werden eines Tages genausowenig aus noch ein wissen wie ich. Ich warne Sie, Schwester Anita. Er ist ein Teufel, leider habe ich es zu spät erkannt.«
»Bist du wahnsinnig?« Mit einem Schritt steht Doktor Freytag vor der sich immer mehr in Erregung sprechenden Frau. »Sofort verläßt du das Haus. Hörst du, sofort!«
Aus geweiteten Augen sieht Magda ihn an. Sie sieht sein verzerrtes Gesicht, hört seine zischende Stimme. Ist das derselbe Mann, der sie einst betört hat?
Er zerrt sie zur Tür, öffnet sie weit. »Geh, wir sprechen uns morgen im Krankenhaus.«
Magda blickt ihn aus glanzlosen Augen an, unentwegt, so daß seine Hand langsam hinabsinkt. Mit einem Aufschrei hetzt Magda davon.
Anita hört eine Tür ins Schloß fallen, und dann herrscht Stille, eine unheimliche, bedrückende Stille.
»Ich gehe auch«, sagt Anita leise, aber bestimmt, bückt sich nach ihrem Mantel, den sie achtlos auf den Boden hat fallen lassen und geht wie eine Traumwandlerin hinaus.
Sein Ruf erreicht sie nicht mehr, auch nicht seine häßlichen Worte: »Verrückte Weiber!«
*
Wie ein Mensch, der sehr viel Zeit hat und dem auf dieser Welt nichts mehr wichtig ist, geht Oberschwester Magda den langen Flur im Krankenhaus hinunter. Ihre Füße schleppt sie über den Fußboden, als hätte sie Bleigewichte daran.
Sie hört nur immer ein einziges Wort: »Geh!«, und es dröhnt förmlich in ihren Ohren. Sie sucht das Zimmer auf, in dem sich für gewöhnlich die Nachtschwester häuslich einrichtet, findet es leer und atmet tief auf.
Langsam geht sie auf den Schrank zu. Alles verschwimmt vor ihren Augen. Sie weiß nur mit aller Eindringlichkeit, daß sie keine Lust mehr hat zu leben.
Ihre Hand zittert, als sie den Schlüssel in das Schloß zu dem Schrank steckt, der den Totenkopf trägt.
Auch die Flasche klirrt leicht auf dem Glasuntersatz, als sie sie zu sich heranzieht. Endlich umklammern ihre Finger das Glas – und sie fühlt im gleichen Augenblick einen Schlag auf dem Arm.
Die Flasche fällt zu Boden und zerschlägt in viele kleine Scherben.
Kraftlos sinkt sie Doktor Müller in die Arme, der ihr wie ein Schatten gefolgt ist und der, Unheil ahnend, ihr das Gift aus der Hand schlug.
Er hebt die reglose Gestalt auf und bettet sie auf die weißbezogene Liege.
Liebevoll und besorgt ist der Ausdruck seines Gesichtes, als er vor sich hinmurmelt: »Armes, gehetztes Menschenkind!«
*
Was Anita eigentlich aus Martin Freytags Zimmer zurück ins Krankenhaus treibt, da sie erst um sechs Uhr morgens Dienst tun muß, weiß sie selbst nicht. Sie fühlt sich nach den Ereignissen der Nacht am ganzen Körper wie zerschlagen. Sie bereut nicht, daß sie kopflos davongelaufen ist. Immer sieht sie Oberschwester Magdas todblasses Gesicht mit den erloschenen Augen vor sich.
Auf leisen Sohlen geht sie, wie kurz zuvor Magda, den Flur entlang. Die Tür zum Zimmer der Oberschwester steht offen. Ihr Fuß stockt. Sie lauscht. Unheimliche Stille umgibt sie und läßt ihr Herz schneller schlagen.
Rein mechanisch setzt sie die Füße vorwärts, will an der Tür vorbei, und ihre Blicke werden förmlich angezogen.
Sie