Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha
streift ihre Hände von sich, hart umspannt er ihre Handgelenke. »Du bist wahnsinnig, Christiana. Du hast den Kopf verloren.« Ihm ist zumute, als habe er einen Schlag über den Kopf empfangen.
»Ich bin nicht wahnsinnig«, begehrt sie leidenschaftlich auf. »Ganz klar ist es in meinem Kopf, Wolf.« Ihre Stimme klingt süß und unendlich traurig zugleich. »Hilf mir doch, ich bitte dich –«
»Ich bin Arzt.« Seine Augen verengen sich. Jetzt hat er endlich ganz begriffen. Er schiebt sie mit einer verächtlichen Bewegung von sich. »Du weißt nicht, was du sprichst.«
Er tritt weit von ihr zurück, verschränkt die Arme über der Brust.
»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
Ihre Augen glitzern. Noch hängen Tränentropfen an den dunklen, gebogenen Wimpern. Sie ist schön und lokkend wie die Sünde – durchzuckt es ihn – und damit scheint auch jedes warme Gefühl für sie in ihm erstorben.
»Wolf.« Sie hebt die Hände zu ihm auf. »Es liegt in deiner Hand, daß Hubert nicht wieder erwacht. Ich bin dann reich, sehr reich und nicht mehr an dieses Ungeheuer gebunden. Wir könnten glücklich werden, so, wie wir es uns früher gewünscht haben.«
Lange, eindringlich ruhen seine hellen Augen auf ihrem leidenschaftlich bewegten Gesicht. Sie ist schlecht! Seltsam, ich habe gemeint, diese Frau unsagbar zu lieben, und Martin, ihren Bruder, habe ich von der ersten Minute an nicht gemocht.
Hatte die Liebe mich so blind gemacht? Ihm graut vor sich und noch mehr vor dieser Frau, die meint, eine Wandlung zu ihren Gunsten festgestellt zu haben.
»Nicht wahr, Wolf«, bittet sie mit allem ihr zu Gebote stehenden Charme, »du hilfst mir?«
»Natürlich helfe ich dir«, hört er sich mit tonloser Stimme sagen, »aber anders, als du meinst. Ich werde alles, hörst du, alles tun, um das Leben deines Mannes zu erhalten. Das soll meine vornehmste Pflicht sein.«
»Das ist nicht möglich«, keucht sie.
Romberg beachtet sie nicht mehr. Er geht zur Tür, drückt auf den Knopf, und als Schwester Monika erscheint, bittet er: »Begleiten Sie Frau Stücker zum Ausgang.« Und mit einer knappen Verbeugung gegen Christiana setzt er hinzu: »Ihnen wünsche ich eine geruhsame Nacht, gnädige Frau. Sie scheinen Schlaf bitter nötig zu haben.«
Langsam weichen ihre weit geöffneten Augen von dem harten Gesicht des Arztes. Nervös kramt sie in ihrer Tasche, bringt eine goldene Puderdose hervor und pudert mit zitternder Hand über Nase und Wangen.
Wortlos, von Schwester Monika begleitet, verläßt sie das Zimmer. Unbeweglich steht Dr. Romberg und sieht lange und nachdenklich auf die geschlossene Tür. Dann fährt er sich mit einer raschen Bewegung über Stirn und Augen. Er ist ausgepumpt, körperlich und seelisch auf dem Nullpunkt angekommen.
Mit einem Male sehnt er sich nach Doktor Sybilla Sanders’ klaren Augen, nach der reinen Luft, die sie umgibt und die er atmen möchte.
Er läuft förmlich den Weg zurück. Doktor Sanders hat einen reizenden Tisch gedeckt. Nur die Stehlampe wirft ihr warmes, gelbliches Licht in den Raum, dem Sybilla Wärme und Behaglichkeit gegeben hat.
Aufatmend steht er in der Tür. Mit einem Blick übersieht er diesen Raum, dem alle Nüchternheit genommen, und Doktor Sanders, wie sie ihm scheu entgegenlächelt.
»Wie schön, daß Sie da sind«, sagt er mit einer fremden, unsicheren Stimme. Dann sinkt er erschöpft auf den Sessel am Tisch und vergräbt das Gesicht in seinen Händen.
Schwester Monika aber macht sich dumme Gedanken. Wie förmlich der Oberarzt sich von der schönen Frau verabschiedet hat, und sie möchte schwören, daß sie sich geduzt haben. Sie hat nicht gelauscht. Sie hat nur aus Hilfsbereitschaft vor der Tür gewartet, da sie wußte, sie würde die Besucherin zum Ausgang geleiten müssen.
Merkwürdig – sehr merkwürdig – überlegt sie und sieht hinter der schönen Erscheinung her, wie sie die Auffahrt hinabeilt und in einen dunklen Mercedes steigt.
*
Das Haus Hubert Stückers liegt tief in einem großen Garten versteckt an der Bismarckallee.
Die Scheinwerfer des leise brummenden Mercedes bohren sich durch das Dunkel, huschen über hohe Baumgruppen und dichtes Gebüsch. Sekundenlang gleiten sie über das weiß aufleuchtende, flachgestreckte Haus modernster Bauart, mit seinen Terrassen und Blumenfenstern.
Der Wagen hält vor dem Portal. Einige Augenblicke lang bleibt Christiana Stücker reglos hinter dem Steuer sitzen. Sie fürchtet sich, in das große Haus zu gehen, und sie weiß nicht, ob es Furcht vor der Leere ist – oder Furcht vor ihren bohrenden Gedanken. Oder ist es die Gewißheit, eine grenzenlose Niederlage erlitten zu haben? Erlitten von dem Mann, mit dem sie glaubte so leicht fertig werden zu können, weil sie mit seiner blinden Liebe von einst gerechnet hat. Nun ist aus dieser bitteren Enttäuschung Angst geworden.
»Ich muß tatsächlich wahnsinnig geworden sein«, murmelt sie vor sich hin. »Wie konnte ich mich so sehr in seine Hand geben?«
Und dann beginnt sie zu weinen. Es sind Tränen der Wut, der Furcht und der Hilflosigkeit. Es schüttelt sie wie ein Krampf. Sie fängt die Tränen mit ihren Lippen auf, dann läßt sie sie ungehindert laufen.
Und weiter hetzen die Gedanken. Immer im Kreise herum. Bis es in den Schläfen hämmert und der Kopf schmerzt. Zuletzt schält sich die Gewißheit aus dem Knäuel allen Denkens: Wolf wird niemals von seinem Wissen Gebrauch machen und es gegen sie in irgendeiner Form verwenden. Er ist Arzt und wird ihre verwirrten Äußerungen an Folge ihres Schocks beurteilen.
Diese Erkenntnis läßt sie ruhiger werden. Sie schreckt zusammen, als sie Schritte auf dem Kies vernimmt. Im Licht der Scheinwerfer taucht eine vertraute Gestalt auf, in der sie Anton, ihres Mannes Chauffeur, erkennt.
»Sie sind noch wach, Anton?« fragt sie und läßt sich aus dem Wagen helfen.
»Ich habe auf Sie gewartet. Soll ich den Wagen in die Garage fahren, gnädige Frau? Der BMW ist inzwischen auch gekommen. Wollen Sie ihn sich ansehen?« Er druckst und schluckt. »Und – und wie geht es dem Herrn?«
Verstört blickt sie den Sprechenden an, dann hat sie begriffen. »Man kann noch nichts sagen, Anton. Und jetzt bin ich müde, sehr müde. Gute Nacht!«
Anton wartet, bis sie die Stufen bis zur Eingangstür hinangestiegen ist. Er hört schließen. Dann erst schwingt er sich hinter das Steuer und fährt den Wagen hinüber in die Garage.
Im Hintergrund der Halle brennt eine einzige Lampe. Christiana zuckt zusammen, als sich aus einem der tiefen Sessel eine Männergestalt erhebt.
»Martin – du?« Sie preßt die Hand gegen das Herz, das heftig klopft, so sehr ist sie erschrocken.
Sie geht ihm ein paar Schritte entgegen. Im Schein der Lampe erkennt sie sein wirres Haar, die weitaufgerissenen Augen, das Pflaster über der Nase und das verschrammte Kinn. Er kann sich kaum auf den Beinen halten, und Christiana weiß, daß es keine Übermüdung ist, sondern daß er sich sinnlos betrunken hat. Ihre Augen gleiten weiter. Er hat sich die Hausbar neben den Sessel gerollt.
»Ich – ich habe ihn umgebracht.«
Sie starrt ihn an. Sie ist wie gelähmt. Mein Gott! Gibt es Gedankenübertragung? Hat er ihr am Vormittag nicht gesagt, daß er Nachtdienst hat? Nachtdienst im gleichen Krankenhaus, in dem Hubert liegt?
»Wen?« fragt sie leise, flüsternd.
»Hubert – deinen Mann!«
Da lacht sie auf, grell, hysterisch. Sie kann sich gar nicht wieder fangen, und Martin weicht zurück, läßt sich in einen Sessel fallen.
»Hahaha! Du hast Hubert umgebracht? Er lebt, und Doktor Romberg hat ihn zusammengeflickt. Soeben komme ich aus dem Krankenhaus.« Mit zitternden Händen greift sie zu einer Zigarette und entzündet sie an dem schweren, silbernen Feuerzeug. »Du bist sinnlos betrunken, Martin, sonst würdest du keinen Unsinn reden.«
Doktor