Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha
deiner Mutter gemeint hat. Oder willst du, daß Martin, der allerlei auf demm Kerbholz hat, unmöglich wird?«
»Was ist mit Martin los?«
»Nichts, ein kleiner Unfall. Du kannst dich unbesorgt auf Reisen begeben. Deine Liebe zu Martin war ohnehin nicht sehr groß. Ich glaube, du liebst dich selbst am meisten. Und nun guten Tag und gute Erholung.«
»Onkel Becker!« murmelt sie, aber da hat der Professor schon das Zimmer verlassen. Wenig später hört sie einen Wagen wegfahren.
*
Die Monate gingen dahin. Der Herbst hat seinen Einzug gehalten mit Regenschauern und Stürmen.
Martin Freytag sitzt in Decken gehüllt in seinem Zimmer. Anita hantiert hinter ihm. Er kann es noch nicht fassen: Onkel Becker weiß alles, er hat ihm verziehen. Er hat sich erboten, ihn zu einer Entziehungskur zu schicken, und Anita darf ihn begleiten.
»Anita!« Im Nu ist sie an seiner Seite und legt ihre Hand auf seine Schulter. Er fängt diese Hand ein und bedeckt sie mit Küssen. »Ich habe dir so unendlich viel zu danken. Darf ich dich heute noch einmal fragen, ob du meine Frau werden willst, wenn ich wieder richtig gesund werde?«
Sein schmalgewordenes Gesicht mit den noch getrübten Augen blickt voll Bangnis zu ihr auf.
Sie rettet sich vor Rührung hinter ihre Burschikosität. »Natürlich will ich deine Frau werden. Denkst du, ich habe das alles für umsonst getan? Wir Frauen sind nun einmal so berechnend.«
Er lacht hell auf. »Ach, Anita, du bist herzerfrischend, wenn du dich so angriffslustig gibst. Dabei behaupte ich, du hast das weichste Herz auf der Welt.«
»So?« sagt sie, bückt sich schnell und küßt ihn auf den Mund. »Und ich behaupte, daß du viel zu lange auf den Beinen bist. Ins Bett mit dir«, kommandiert sie. »Über Liebe reden wir später.«
Gehorsam läßt er sich aus dem Sessel helfen. Als er in den Kissen ruht, zieht er sie zu sich herab und küßt sie lange und innig.
»Mein Gott, Anita«, stöhnt er leise auf, »daß man so unvernünftig glücklich sein kann!«
»Kann man«, erwidert sie kurz angebunden. »Jetzt schlaf aber. Wenn der Professor kommt, mußt du frisch und ausgeruht sein. Ich glaube, dann wirst du die Kopfwäsche besser überstehen.«
Er legt sich mit geschlossenen Augen zurück.
»Doktor Romberg und Sybilla Sanders muß ich noch besonders danken, Anita. Du darfst sie auf keinen Fall fortschicken, wenn sie mich besuchen kommen.«
»Ganz bestimmt nicht«, versichert sie ihm, zupft noch ein bißchen an dem Kopfkissen herum, wartet bis er eingeschlafen ist und setzt sich mit einem glücklichen Seufzer neben sein Bett.
*
Ein Jahr ist vergangen.
Im Robert-Koch-Krankenhaus gibt es keine geflüsterten Gerüchte mehr, keine unsauberen Machenschaften.
Doktor Müller ist Oberarzt geworden und äußerst tüchtig. Er hat Magda geheiratet, und sie besitzen ein nettes eigenes Haus.
Doktor Freytag ist wieder gesund. Er steht an Doktor Müllers Seite, wieder der lernbegierige, aufgeschlossene und übermütige junge Arzt, der die Patienten bezaubert.
Am glücklichsten aber sind Wolf-ram und Sybilla Romberg. Sie ha-
ben die Praxis des alten Doktor Sanders übernommen. Der alte Medizinalrat ist zufrieden mit dem, was er
erreicht hat. Glückliche Kinder sind um ihn. Bald wird ein Enkelchen da-zukommen. Kinderlachen wird
durch das Haus schallen, und die alte Martha hat wieder etwas zu be-
treuen.
Wenn Doktor Romberg und seine tüchtige Frau auf die vergange-
nen Ereignisse zu sprechen kommen, dann leuchtet es in Rombergs Au-
gen auf, und er beteuert aus glücklichem Herzen: »Wie schön, daß du da bist!«
Dr. Hartmut, Rechtsanwalt und Notar, ließ eine Pause eintreten, als wolle er das, was er soeben verkündet hatte, wirken lassen.
Sein kühler Blick glitt über die Brillengläser hinweg reihum. Kein Laut war zu hören.
Leontine Eckhardt, die Frau des verstorbenen Fabrikherrn, lehnte stolz und unnahbar in ihrem Sessel. Ihr Gesicht war dicht verschleiert. Also konnte der Notar nicht erkennen, welche Wirkung seine Erklärungen erzielt hatten.
Er räusperte sich und neigte sich wieder über das Testament Eugen Eckhardts: »Ich komme nun zur Verlesung des eigentlichen Testaments:
Zum Erben meiner Werke setze ich meinen ältesten Sohn, Jost Eckhardt, ein, mit der Bestimmung, daß er seinem Bruder Nikolaus weiterhin dieselben Rechte einräumt, die er bis zur Stunde innehatte. Sollte Nikolaus sich der Herrschaft seines Bruders nicht fügen wollen, kann er sich mit ihm in Güte einigen. Dann kann er sich sein Erbe, das genau die Hälfte aller Werke beträgt, in bar auszahlen lassen.
Der Generaldirektor der Werke ist aber Jost Eckhardt. Falls er nicht mehr am Leben sein sollte, treten seine Hinterbliebenen an seine Stelle: seine Frau, seine Kinder – sofern nachgewiesen werden kann, daß sie einen makellosen Ruf genießen und wert sind, eine solche Erbschaft anzutreten.
Mein Sohn Nikolaus wird mich voll und ganz verstehen, denn gerade über diesen Punkt waren wir uns stets einig.
Meine Schwester Beate, die mir jederzeit ein guter Kamerad war, gehört das Rosenzimmer. Ihren Lebensabend habe ich bereits durch eine Rente sichergestellt.
Meiner Frau Leontine erhält monatlich eine Summe, die ihr Notar Hartmut nennen wird. Sollte sie über diesen Betrag hinaus Wünsche haben, muß sie sich vorher mit meinem Sohn Jost besprechen. Von ihm allein hängt die Genehmigung ab. Er wird jederzeit das Rechte treffen und niemals vergessen, was er seiner Mutter schuldig ist.
Nun bitte ich meinen Sohn Jost noch vielmals um Verzeihung für meine große Härte, an der allein unser schönes Verhältnis zerbrach. Wäre ich früher sehend geworden, hätte ich schon bei Lebzeiten alles wiedergutgemacht. Nun will ich es hiermit nachholen.
Ich lege meinem Sohn oder dessen Erbe dringend ans Herz, mein Lebenswerk in meinem Sinne weiterzuführen und jederzeit Gerechtigkeit walten zu lassen.
Eugen Eckhardt.
Totenstille herrschte in dem großen Konferenzsaal des Notars Hartmut.
Nikolaus Eckhardt schob den Stuhl zurück, stand auf und trat ans Fenster.
Ganz der Vater, dachte Dr. Hartmut. Er erhob sich leise und stellte sich neben ihn.
»Nikolaus!«
Der junge Mann fuhr zusammen. Auch der Notar drehte sich um und sah auf Leontine, die hochaufgerichtet in ihrem Sessel saß. Kalt fiel ihr Blick auf den Sohn.
»Was sagst du zu dem Testament?«
Nikolaus Eckhardt zuckte mit den Achseln. »Das Testament geht in Ordnung«, sagte er bestimmt.
»Niemals!« rief Leontine entsetzt. »Du hast dich jahrelang, seit Vaters Krankheit, um die Leitung der Werke bemüht. Du mußt das Testament anfechten!«
Ein kleines Lächeln huschte um Nikolaus’ Mund.
»Nein! Vater hat aus dem Grabe heraus zu uns gesprochen. Sein letzter Wille und, wie er selber sagt, sein heiligster Wunsch müssen erfüllt werden!«
Leontine Eckhardt stand auf. Groß und hager lehnte sie sekundenlang, nach Fassung ringend, am Tisch. Dann sagte sie kalt: »Ich… ich erkenne das Testament nicht an. Niemals!« Sie nickte kurz und rauschte aus dem Zimmer.
*
»Hilfe