Chefarzt Dr. Norden 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
ergoss wie ein Eimer mit schwarzem, klebrigen Pech. »Haben Sie nicht selbst gesagt, dass Sie mir einen gebrochenen Hals wünschen? Glauben Sie ja nicht, dass ich das vergessen hätte.«
Fee ballte die Hände zu Fäusten. Sie öffnete den Mund. Doch alles, was sie sagen konnte, hätte die Sache nur schlimmer gemacht. So schloss die die Lippen wieder, machte auf dem Absatz kehrt und hastete aus dem Zimmer. Klackend fiel die Tür ins Schloss und verschluckte das Quietschen ihrer Gummisohlen.
»Na bravo, das haben Sie ja mal wieder großartig hinbekommen.« Daniel applaudierte.
»Ich bin eben nicht nur ein begnadeter Kinderchirurg, sondern verfüge darüber hinaus über weitere herausragende Fähigkeiten«, erwiderte Lammers todernst.
»Macht es eigentlich Spaß, sich wie ein Scheusal zu benehmen?«
»Ich? Ein Scheusal? Nur, weil ich die Wahrheit beim Namen nenne, statt vor dem Königspaar zu kuschen wie jeder andere hier?« Er schnalzte mit der Zunge. »Sie haben wirklich ein verschobenes Weltbild. Und jetzt schicken Sie mir die Schwester. Ich habe Hunger.«
Daniel überlegte nicht lange. Er beugte sich vor, nahm das Bedienelement aus der Halterung und drückte es Volker Lammers in die Hand.
»Diese Aufgabe ist eines Königs nicht würdig«, klärte er den Kinderchirurgen auf. »Genial, wie Sie sind, finden Sie bestimmt den richtigen Knopf, um selbst nach der Schwester zu klingeln.«
Dr. Norden nickte Lammers zu und folgte seiner Frau nach draußen.
*
Elena öffnete die viereckige Schachtel. Eine Wolke Dampf entfloh nach oben und schwängerte die Luft mit einem Hauch Kokos und Erdnuss. Elena wedelte sich den Duft ins Gesicht. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen.
»Chinesische Nudeln mit Gemüse. Lecker!«
»Ein Burger wäre mir lieber gewesen.« Missmutig starrte Valentin in seine Box.
»Du solltest dem Schicksal dankbar sein dafür, dass es dir eine gesunde Mahlzeit beschert und dich vor Herzinfarkt und Schlaganfall bewahrt«, dozierte Elena mit hoch erhobener Gabel, als ein schrilles Kreischen das Ende von Valentins Mittagspause einläutete.
»Ich spende mein gesundes Mittagessen an eine bedürftige Seele.« Er sprang auf die Beine und machte sich auf den Weg in die Notaufnahme.
Schulterzuckend machte sich Elena über ihre Portion her.
»Mahlzeit.«
Sophie Petzold war ins Zimmer gekommen. Sie schlurfte hinüber zur Küchenzeile, füllte ein Glas mit Wasser und ließ sich auf den Stuhl neben Elena fallen.
»Danke!«, nuschelte Elena mit Hamsterbacken. »Willst du auch was? Valentin hat seine Portion gezwungenermaßen zur Verfügung gestellt.«
Sophie warf einen Blick in Elenas Box und schlug die Hand vor den Mund.
»Lieber nicht.«
»Gehörst du etwa auch zu den Fleischliebhabern?«
»Nein. Mir ist nur nicht so gut gerade«, gestand Sophie und wandte sich rasch ab.
Eine Weile waren nur Kratz- und Kaugeräusche zu hören.
»Du kommst gerade aus dem OP, oder?«, fragte Elena endlich.
Sophie nickte. Den Blick starr geradeaus gerichtet, hob sie das Glas an die Lippen und nippte daran.
»Schlecht gelaufen?«
»Alles gut. Dr. Weigand ist es gelungen, die innere Blutung zu stoppen.« Sie trank einen weiteren, kleinen Schluck. »Blöd nur, dass wir nicht wissen, woher das so plötzlich kam. Hätten wir Frau Berger nach Hause geschickt, wäre sie verblutet.«
Schwester Elena legte die Gabel neben die Schachtel. Sie wischte sich den Mund an der Serviette ab und sah Sophie aus schmalen Augen an.
»Gab es vorher keine Anzeichen?«
»Es ist wie aus heiterem Himmel passiert. Das ist ja das Blöde. Solange wir den Auslöser nicht kennen, kann es jederzeit wieder passieren.«
»Habt ihr einen Verdacht?«
»Nichts. Leider.« Sophie Petzold leerte das Glas und stand auf. Ihre Pause war vorbei. »Ich mach dann mal weiter.« Sie stellte das Glas in die Spülemaschine, winkte Elena und tappte aus dem Zimmer. Sie wirkte so dynamisch wie ein Faultier.
Auch für die Pflegedienstleitung wurde es allmählich Zeit, wieder an die Arbeit zurückzukehren. Trotzdem blieb sie noch einen Augenblick sitzen und dachte über Sophie Petzold nach. Was stimmte nicht mit der jungen Assistenzärztin?
*
Dr. Matthias Weigand saß am Schreibtisch. Sein Laptop verschwand fast unter der Papierflut. Das war – zumindest im Augenblick – nicht weiter schlimm, denn der Internist und Notarzt diktierte Befunde. Die Tür stand halb offen. Ein feiner Duft wehte herein. Matthias drückte die Stopptaste des kleinen Aufnahmegeräts. Wie ein Wolf hob er witternd die Nase. Diesen Duft hatte er heute schon einmal gerochen. Er hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt. Dieser Geruch war der Inbegriff von Reichtum. Ein Mann, der sich so verschwenderisch mit »Millenio« einnebeln konnte, stand auf der sonnigen Seite des Lebens. Es überraschte Matthias Weigand nicht, dass Christian Berger an die Tür klopfte.
»Kommen Sie nur. Ich habe auf Sie gewartet.«
»Hallo, Herr Doktor.« Der Berger-Enkel kam näher. Er nahm Matthias‘ Angebot an und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Sie wollten mich sprechen?«
»Ganz recht. Es geht um Ihre Großmutter.« Matthias suchte zwischen den Akten. »Wo steckt denn nur …« Er schob die Unterlagen hin und her, zog eine heraus, studierte den Namen auf dem Schildchen, um sie wieder wegzulegen und nach der nächsten zu greifen. »Ah, hier ist sie ja …« Er schlug die Mappe auf und lehnte sich zurück.
»Wie geht es Oma?« Christian saß auf der äußersten Stuhlkante.
Matthias sah ihm in die Augen. Seine Pupillen waren klein.
»Das Problem war schnell gefunden. Die Überraschung folgte danach. Plötzlich ist Blut aus der Milz geschossen wie im Frühling das Wasser aus einer Felswand.« Die Erinnerung daran trieb ihm noch immer den Schweiß auf die Stirn. »Aus irgendeinem Grund funktioniert die Blutgerinnung nicht so, wie sie soll. Wir haben gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Jetzt geht es ihr den Umständen entsprechend gut.«
Christian biss sich auf die Unterlippe.
»Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich vorhin erschrocken bin. Als Sie sie aus dem Zimmer herausgefahren haben … Oma sah aus wie tot.«
»Das tut mir leid. Aber das Wohl unserer Patienten steht an erster Stelle. Es musste alles sehr schnell gehen. Deshalb blieb keine Zeit für lange Erklärungen.«
»Warum mussten Sie überhaupt operieren?«
»Durch den Sturz vom Stuhl hat sich Frau Berger einen feinen Riss in der Milz zugezogen.«
Christian runzelte die Stirn.
»Wieso haben Sie das nicht gleich erkannt?«
Dr. Weigands Nackenhärchen sträubten sich.
»Wenn es sich nur um einen kleinen Riss handelt, kann es vorkommen, dass sich die Blutung erst schleichend bemerkbar macht.«
In diesem Moment war es mit Christians Selbstbeherrschung vorbei. Er sprang vom Stuhl auf und begann, wie ein Tiger im Käfig vor dem Schreibtisch auf und ab zu laufen.
»Sie haben keine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe. Ich musste mit ansehen, wie meine Großmutter weggebracht wurde. Wusste nicht, ob ich sie lebend wiedersehe. Und kein Mensch sagt mir Bescheid.«
Matthias atmete tief durch.
»Ich sagte doch schon: Unsere Patienten stehen an erster Stelle. Hätten wir anders gehandelt, hätte Ihre Großmutter verbluten können. Es war ein dummer Zufall, dass Sie diese kritische Szene überhaupt