Chefarzt Dr. Norden 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
kippte den Kopf auf die andere Seite und starrte den Heizkörper an.
»Ich verstehe die Aufregung um so ein paar Pillen nicht. Mein alter Hausarzt weiß schon, was er tut.« Sie blies die Backen auf wie ein trotziges Kind. »Man hat ja gesehen, was passiert, wenn ich sie nicht nehme. Dann falle ich ohnmächtig vom Stuhl und breche mir sämtliche Knochen im Leib.«
»Ich dachte, Sie sind bei Dr. Norden junior in Behandlung«, wunderte sich Matthias.
Die Haut über Rosas Oberlippe runzelte sich.
»Setzen Sie beim Wettrennen auch immer nur auf ein Pferd?«
»Ich meide jede Art von Glücksspiel.«
»Das ist ein Fehler, junger Mann. Ein bisschen Aufregung im Leben schadet nicht …«
»Frau Berger, Ihnen ist offensichtlich nicht klar, welche Folgen die unkontrollierte Einnahme eines Herzmedikaments haben kann.« Fehlte nur der Rohrstock, mit dem der Lehrer Weigand seiner Schülerin auf die Finger klopfen konnte.
Seine Gardinenpredigt blieb nicht ohne Wirkung.
»Woher wissen Sie das?«, keuchte Rosa wie eine Dampflok. »Ich dachte, Christian hat nicht gepetzt. Er hat mir sein Wort gegeben.«
»Hat er auch nicht. Ich habe in meine Glaskugel geschaut.« Dr. Weigand deutete auf das Tablet in seinem Schoß.
Rosa Berger hörte ihm nicht zu.
»Und wieso überhaupt unkontrolliert? Jeden Tag zwei Pillen. Eine morgens nach dem Frühstück und eine abends vor dem Schlafengehen.« Ihre Stimme wurde leiser. Von ihren Augen waren nur noch schmale Schlitze übrig. »Wissen Sie, wie schrecklich das ist, wenn das Herz aus dem Takt kommt?«
Und ob!, wollte er rufen, Sophies Bild vor Augen. Doch gegen diese Krankheit half kein Medikament der Welt.
»Ihre Tabletten helfen vielleicht gegen die Rhythmusstörungen, hat aber – in den Mengen, in denen Sie es einnehmen – eine ungünstige Wirkung auf die Blutgerinnung. Das erklärt die Einblutungen im Rippenbereich, das Hämatom am Hals, die schwere Blutung während der OP. Sie haben sich in Lebensgefahr und uns in große Schwierigkeiten gebracht.« Seine Worte schwangen im Raum nach, bis sie langsam verhallten.
Rosa war am Ende ihrer Kräfte angelangt. Sie dachte nur noch an Flucht.
»Es … es tut mir leid«, murmelte sie noch, ehe sie sich ins Reich der Träume rettete.
Eine Weile saß Matthias Weigand am Bett und beobachtete, wie sich ihre Brust hob und senkte. Schließlich stand er auf und rollte den Hocker an seinen Platz zurück. Bevor er ging, blieb er noch einmal kurz am Bett stehen und blickte auf das Häuflein Mensch hinab. Kopfschüttelnd verließ er das Intensivzimmer.
*
Wie er entspannt im Stuhl lehnte und sogar über einen von Sophies Scherzen lachte, wirkte Christian Berger wie ein anderer Mensch. Aus der Ferne hätte Matthias Weigand ihn nicht erkannt. Es waren die Schlangenlederschuhe, die ihn verrieten.
Langsam versickerte Christians Lachen, wurde zu einem Lächeln, ehe es ganz verschwand. Er beugte sich vor und betrachtete eine Weile seine Schuhspitzen. Sophie saß vor einem Berg aus Butterkekskrümeln und einer leeren Tasse und wartete.
»Ich hatte Oma versprochen, sie nicht zu verraten«, fuhr er endlich fort. »Aber ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich dieses Paket nicht mehr allein mit mir herumtragen muss. Es war ganz schön schwer.« Er sah die Assistenzärztin von unten herauf an.
Sophie erwiderte seinen Blick. Sollte sie ihm von Matthias‘ Verdacht erzählen?
»Das war ein lebensgefährliches Versprechen.«
»Es war ein Geschäft. Ich verrate sie nicht, dafür gibt sie mir die Tabletten und geht zu Dr. Norden, um sich untersuchen zu lassen.« Er fuhr sich mit den Händen über die Augen. »Oma hat ihr Wort gebrochen.«
»Was macht Sie so sicher?«
Christian lehnte sich wieder zurück.
»Ich habe mit Danny Norden gesprochen. Sie hat kein Wort über die Tabletten, geschweige denn ihre Herzprobleme verloren.«
Es war alles gesagt. Sophie Petzold wusste es. Sie wischte die Krümel in ihre leere Teetasse, steckte die restliche Packung Butterkekse in die Kitteltasche und stand auf. Christian Berger hob den Kopf. Seine Augen fielen über ihre Schulter auf den Mann, der mit wehendem Kittel auf ihren Tisch zukam. Sophie stand mit dem Rücken zu ihm.
»Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich jetzt zu Dr. Weigand und erzähle ihm von unserem Gespräch. Oder wollen Sie selbst …«
»Die Frage hat sich gerade erübrigt.« Christian lächelte Sophies Schulter an. »Hallo, Herr Dr. Weigand.«
Die Assistenzärztin fuhr herum.
»Müssen Sie sich immer anschleichen wie eine Katze? Nur gefährliche Menschen tun so etwas. Oder solche, die etwas zu verbergen haben.«
»Vielleicht trifft beides auf mich zu«, sagte Matthias mit Eiswürfellächeln.
Christian Berger sah von einem zum anderen.
»Ich habe Ihrer reizenden Assistenzärztin gerade die Wahrheit gesagt.«
»Und ich komme gerade von Ihrer Großmutter«, sagte Matthias zu dem Mann mit dem ausgefallenen Geschmack und dem erlesenen Parfum. Vielleicht sollte er sich auch einmal etwas gönnen und sich eine kleine Flasche ›Millenio‹ zulegen. »Sie hat mir alles gestanden.«
Die Haut um Christians Augen kräuselte sich.
»Dann muss ich wenigstens kein schlechtes Gewissen mehr haben, mein Wort gebrochen zu haben.«
Matthias Weigand schüttelte den Kopf. Er steckte die Hände in die Kitteltaschen und zog sie gleich wieder heraus, um im nächsten Augenblick die Finger ineinander zu verschränken.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
Christian Berger legte den Kopf schief.
»Wie kommen Sie denn auf so einen Unsinn? Sie haben meiner Oma das Leben gerettet. Sie ist meine Familie, mein Ein und Alles. Wenn ich sie verloren hätte …« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde Ihnen auf ewig dankbar sein.«
Matthias Weigand bemerkte Sophies Blick und sah schnell wieder weg. Er kratzte sich an der Wange. Jetzt oder nie!
»Ich hatte den Verdacht, Sie könnten etwas mit den Verletzungen Ihrer Großmutter oder den Medikamentengaben oder beidem zu tun haben. Dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen.«
Christian zog den Kopf ein und die Augenbrauen hoch.
»Warum sollte ich so etwas tun?«
Matthias hielt nach einem Loch im Boden Ausschau, in das er verschwinden konnte. Warum hatte er nicht den Mund gehalten?
»Aus … aus Geldgründen vielleicht«, murmelte er.
Sophie sah, wie Christian die Fäuste ballte. Ihr Körper wurde zum Sportbogen. Jede Faser war gespannt, bereit, sich zwischen die beiden Männer zu werfen, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Doch dann geschah etwas Unerwartetes.
Christian Berger warf den Kopf in den Nacken und lachte los. Sophie und Matthias tauschten überraschte Blicke. Patienten und Besucher sahen sich nach dem Grund des Heiterkeitsausbruchs um. Einige ließen sich anstecken. Andere gingen kopfschüttelnd weiter.
»Tut mir leid«, ächzte Christian, als er endlich wieder Luft bekam. »Sie können es nicht wissen, aber das ist der Witz des Jahrhunderts. Was glauben Sie, woher diese Schuhe stammen?« Er streckte einen Fuß vor. »Fressen Sie mich nicht gleich auf«, bat er Sophie. »Das ist kein echtes Schlangenleder, nur eine gut gemachte Imitation. Italien, teuer.« Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. Sofort beschloss Sophie, sie nie wieder dort wegzunehmen. »Kaschmir. Mongolei. Sehr, sehr teuer.« Christian zog den Ärmel zurück. Die goldene Uhr glänzte im Sonnenlicht. »Frankreich. Unbezahlbar.« Er ließ