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runzelte die Stirn. „Im Archivum? Da müsst Ihr tagsüber kommen und mit Meister Heberer sprechen.“

      „Sieh, genau das geht nicht“, antwortete der andere gepresst. „Du wirst ins Archiv gehen und nach dem suchen, was ich benötige.“

      „Ich? Ich darf das Archivum nicht einmal betreten! Nur der Registrator und der Protonotar dürfen das.“

      Der Fremde nickte, als sage Philipp ihm damit nichts Neues. Er legte die Hand auf den Schwertknauf. „Du holst das Lehenbuch Friedrichs des Dritten.“ Mit Verachtung rotzte er ihm den Namen des ehemaligen Fürsten hin.

      Philipp wusste im selben Augenblick, dass sein Gefühl ihn nicht trog: Hier stimmte etwas ganz und gar nicht, der Mann war unlauter.

      „Mein Herr“, sagte er und schluckte die aufkommende Angst hinunter, „dies ist gänzlich unmöglich. Könnt Ihr nicht morgen wiederkommen und Euer Anliegen mit dem Registrator besprechen?“

      Blitzschnell packte der Fremde ihn beim Umhang und zog ihn an sich. „Ich sage nicht alles zweimal. Du gehst und bringst mir das Buch“, zischte er.

      „Ich darf das nicht!“ Sofort hasste sich Philipp für den weichlichen Tonfall.

      Wieder nickte der Mann, als wisse er dies hinlänglich. Er ließ ihn los.

      „Euer Gebaren …“, setzte Philipp an, doch mit einer Geste brachte der andere ihn zum Schweigen.

      „Du gehst zurück, suchst das Buch. Ich werde zur Stelle sein, wenn du herauskommst. Du übergibst mir das Buch. Dann entscheide ich – hör auf, den Kopf zu schütteln, hör zu! –, ob du noch etwas anderes, sagen wir: entleihen musst.“

      „Bei meiner Seele, das werde ich nicht tun!“, fauchte Philipp. „Ihr seid toll, dass Ihr so etwas annehmt!“ So gefiel er sich schon besser. Er war wütend, trotz seiner Beklommenheit, und die Wut war seinem Ton anzuhören. Er würde doch nicht wider die Gebote seines Amtes handeln! Er schickte sich an, den Grobian einfach stehen zu lassen und auf die Gasse zu treten. Der andere versperrte ihm den Weg, indem er seine rechte Hand nah an Philipps linker Schulter gegen die Mauer stützte. Lederhandschuhe. Geruch nach Leder und Rauch.

      Philipps Herz schlug schneller. Er fragte sich, ob er rufen sollte – und wenn, ob die Kollegen oben im Zwerchhaus ihn hören würden. Seine rechte Hand glitt zur Hüfte hinab, vermaledeit, das Kurzschwert am Gürtel nützte nichts unter dem Mantel.

      „Denk nicht mal dran!“, drohte der andere leise. „Es gibt da nämlich ein gutes Argument für deine Hilfe.“

      „Kein Argument der Welt kann mich zu einem Handeln bewegen, das gegen die Vorschriften ist!“

      „Ich denke, du irrst.“ Seine Stimme war schneidend. „Braunes Haar, liebliches Wesen. Ein saftiges Weib.“

      „Mein Weib?!“

      „Nicht so laut, sollen deine Kollegen aufmerksam werden?“

      „Was habt Ihr mit Hedwig …?“

      „Sie ist, sagen wir, in Gewahrsam.“

      „Gewahrsam?“, schrie Philipp. „Ge…“

      Der Faustschlag traf sein Kinn. Sein Kopf schlug nach hinten an die Steinwand. Ein harter Schmerz zischte durch sein Hirn, Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen.

      „Ich sagte dir bereits, ich sage nicht alles zweimal.“ Er hielt Philipp an der Kehle fest.

      Philipp schmeckte Blut im Mund. Das hier konnte doch nicht wahr sein! Er spuckte das Blut aus, als der Mann ihn losließ, sah aus den Augenwinkeln, wie der Fremde an einer Innentasche seines Umhangs nestelte. „Siehst du, ich weiß, dass du nicht tun darfst, worum ich dich ersuche. Deshalb geht es deinem Weib auch nur so lange gut, wie du bereit bist, deine Bedenken zu überwinden und zu tun, was ich verlange.“ Bei den letzten Worten hielt er Philipp einen Ring vor die Nase.

      Hedwigs Ehering! Philipp griff hastig danach.

      Der Mann zog die Hand zurück. „Nicht so hurtig, junger Freund!“ Er schien zu lachen, es klang wie ein Keuchen.

      „Was wollt Ihr? Was habt Ihr vor?“, presste Philipp wütend hervor, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Er hatte Hedwig. Er hatte … Oh Herr, was war mit Juli?

      „Meine Tochter?“ Mehr Krächzen als Worte.

      „Noch wohlbehalten bei der Mutter.“

      Philipp atmete schwer. Sein Verstand weigerte sich zu verstehen, was er da hörte. Das konnte nicht sein. Er sah zu dem durch die Kapuze verhüllten Gesicht. Seine Augen fragten: Warum? Aber er würde keine Antwort erhalten. Natürlich nicht.

      „Das Lehenbuch Friedrichs. Oder du bekommst den Finger zum Ring.“

      Philipp hörte die Drohung. Er musste seine Beine zwingen, standhaft zu bleiben und nicht unter ihm nachzugeben. In seinem Kopf nur Durcheinander. Konnte er den Kerl niederschlagen, ihn überwältigen, ihn prügeln, bis er ihm sagte, wo Hedwig und Juli waren? Ohnmächtige Wut, sie schmeckte bitter in seinem Mund.

      „Überredet?“

      Philipp schwankte. Jemand hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

       Fünf

      Hedwig. Juli.

      Mehr Wörter passten nicht in seinen Kopf. Mit zitternden Händen schlug Philipp den Feuerstein, um eine Laterne zu entzünden. Er saß auf dem Boden in der Schreibstube, die kurz zuvor noch so etwas wie sein Zuhause gewesen war.

      Hedwig. Juli.

      Wo waren sie? Ging es ihnen gut? Was, wenn nicht? Der Gedanke brachte ihn schier um den Verstand. Er sah Hedwigs Gesicht vor sich, ihre Augen, blau wie Kornblumen, das braune Haar, das im Talglicht einen Glanz wie von polierten Kastanien hatte. Ihre Oberlippe mit dem kleinen Knubbel in der Mitte. Wenn sie zornig war, machte sie immer eine Schnute, und der Knubbel wölbte sich über die untere Lippe. Manchmal konnte er nicht anders, er küsste sie einfach auf dieses Schnutenmäulchen. Dann musste sie lachen. Dann lachten sie beide. Er hätte aufheulen mögen wie ein verletzter Wolf. Sie hatten so sehr darauf gepocht, dass man auch aus Liebe heiraten und ein Bündnis gründen konnte, das Bestand hatte, ja, dass ihre Liebe Bestand haben würde! Und nun wollte man ihm dieses Glück fortnehmen? Irgendwo dort draußen lauerte ein Hundsfott, der ihm sein Weib und seine Tochter genommen hatte und darauf wartete, dass er etwas täte, was er nicht tun durfte und nicht tun wollte. Von einem Augenblick zum nächsten war seine Welt aus den Fugen geraten.

      Hart schlug er den Feuerstein, Funken stoben in den Zunder. Er entzündete den Kerzendocht, schloss das Glastürchen der Laterne. Er neigte den Kopf, hielt ihn gesenkt, krallte die Finger hart ins Haar. Am Hinterkopf bildete sich eine Beule, sie tat weh. Auch sein Kinn schmerzte von dem Faustschlag, und im Mund hatte er den Geschmack von Eisen.

      Grundgütiger Vater im Himmel! Was soll ich tun? Hilf mir!

      Sämtlichen Schreibern und Sekretären war es verboten, aus Kanzlei, Rechenstube und den anderen Behörden ohne Erlaubnis Schriftstücke herauszugeben. Niemand durfte etwas für sich selbst kopieren, behalten oder gar mit nach Hause nehmen. Er selbst am allerwenigsten. Als Kanzleiknecht durfte er zwar die Schreibstube betreten, etwas, das außer ihm nur Großhofmeister, Kanzler, Marschall und die Schreiber durften, aber in das Archivum durfte er nicht. Die Geheimhaltung der kurpfälzischen Akten wurde ernst genommen. Er durfte ja nicht einmal die Boten hineinlassen, sie mussten in dem ihnen zugewiesenen Raum warten. All dies hatte er mit Eid vor Großhofmeister, Kanzler und Oberrat bei seiner Bestallung geschworen.

      Und nun sollte er genau dies tun? Er sollte einen Diebstahl begehen. Er würde alles verlieren, was er sich erarbeitet hatte. Gab es eine Möglichkeit, dem auszuweichen? Fieberhaft überlegte er. Er könnte sagen, dass er den Schlüssel für das Archivum nicht gefunden habe. Aber er hatte oft genug gesehen, wie Registrator Heberer ihn abends in der Lade verwahrte. Und er war sich mit einem Mal sicher, dass der Hundsfott dort draußen


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