Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
saß und das Haupt sinnend in die Hand gestützt hatte.
»Sollte es wirklich keinen Ausweg mehr geben?« rief er endlich, indem er aufstand und das Zimmer durchschritt, — »sollte die schöne Position, welche wir hatten, nicht wiederzugewinnen sein?«
Er blickte nachdenkend zum Fenster hinaus in die warme, sternenklare Sommernacht.
»Die Konzentration der Armee ist gut,« sagte er, — »das zeigt unseren ernsten Willen, uns nicht unbedingt zu unterwerfen, — daß der König abreist, ist auch gut, — das erleichtert die Unterhandlungen. — Nun, ich glaube,« rief er mit leichterem Ton, »man wird sich besinnen in Berlin, nachdem man diesen Schreckschuß abgefeuert hat, und wird zufrieden sein, wenn wir die Neutralität annehmen. — Jetzt sind wir ja auch gezwungen, — man kann uns in Wien nichts vorwerfen — und wenn Oesterreich siegt!« — Ein freudiges Lächeln flog über seine Züge und vor seinem Geiste schienen sich weite und lachende Bilder der Zukunft zu entrollen. —
Die Uhr auf seinem Schreibtisch schlug mit hellem Ton zwölf Schläge.
»Prinz Ysenburg!« meldete der eintretende Kammerdiener.
»Jetzt, um diese Stunde?« rief Graf Platen zusammenfahrend.
Und schnell aufstehend trat er dem preußischen Gesandten entgegen, welcher langsam und ernst in der geöffneten Thür erschien.
»Was bringen Sie Gutes zu später Stunde, lieber Prinz?« fragte er.
»Ob ich Gutes bringen kann, weiß ich nicht!« antwortete der Prinz, ein kleiner, schmächtiger Mann von zweiundfünfzig Jahren, mit feinem, zierlich geschnittenen Gesicht und kleinem schwarzen Schnurrbart — indem er seine schwarzen Augen mit traurigem und fragendem Ausdruck auf den Grafen Platen richtete. — »Zunächst,« fuhr er fort, »muß ich mir Ihre Antwort auf meine heute Vormittag übergebene Note erbitten, die ich angewiesen bin, bis zum Abend des heutigen Tages mitzutheilen. — Sie sehen,« sagte er, seine Uhr hervorziehend, »daß ich meiner Instruktion die weitest mögliche Ausdehnung gebe, — es ist zwölf Uhr, der Tag ist zu Ende.«
»Mein lieber Prinz,« sagte Graf Platen, »ich habe die Note sogleich dem Könige mitgetheilt und die Antwort ist in diesem Augenblick bei Seiner Majestät; ich erwarte sie jeden Augenblick zurück und zweifle nicht, daß wir uns leicht verständigen werden.«
Der Prinz schüttelte leicht den Kopf.
»Wenn die Antwort noch bei Seiner Majestät ist, so müssen Sie dieselbe doch kennen und ich muß« — er betonte dieß Wort — »Sie dringend bitten, mir den Inhalt mitzutheilen. — Ist die Proposition angenommen, sind Sie beauftragt, das vorgeschlagene Bündniß abzuschließen?«
»Sie werden einräumen,« sagte Graf Platen, »daß tiefgreifende Vorschläge, wie die Reformbedingungen des Bundes, eine Diskussion verlangen, zu welcher die Zeit —«
»Ich bitte Sie dringend, Graf Platen,« sagte der Prinz, — »geben Sie mir nur auf den einen Punkt eine bestimmte Antwort, — auf Erörterungen mich einzulassen, habe ich keine Befugniß — hat der König das Bündniß angenommen oder nicht?«
»Nein —« sagte Graf Platen etwas zögernd, — »aber —«
»Dann erkläre ich Ihnen den Krieg!« sagte Prinz Ysenburg mit feierlichem Ernst.
Graf Platen blickte ihm starr in's Gesicht.
»Aber mein lieber Prinz —« rief er.
»Sie werden begreifen,« sagte Prinz Ysenburg, »daß mir nach der eben abgegebenen Erklärung einzig und allein nur übrig bleibt, mein tiefes persönliches Bedauern auszusprechen, daß unsere langjährigen Beziehungen, an welche ich stets mit Freude zurückdenken werde, ein so trauriges Ende haben nehmen müssen. — Leben Sie wohl und bewahren Sie mir, wie ich Ihnen, ein freundliches Andenken!«
Und er reichte dem Grafen Platen die Hand, die dieser mechanisch ergriff, und ehe der Minister sich noch von seinem Erstaunen erholt, hatte der Gesandte bereits das Zimmer verlassen.
Kurze Zeit darauf trat der Regierungsrath Meding bei ihm ein und fand ihn noch unter dem Eindruck dieser Szene. Er brachte dem Minister den Befehl des Königs zum Aufbruch nach Göttingen und dieser theilte ihm die Kriegserklärung mit.
»Haben Sie noch immer daran gezweifelt?« fragte der Regierungsrath.
»Ich hielt es für unmöglich!« sagte Graf Platen, »doch hoffe ich, daß sich in Göttingen noch etwas thun lassen wird.«
»Es wird sich nichts thun lassen, als so schnell als möglich nach Süddeutschland zu marschiren!« sagte der Regierungsrath, überließ den Minister seinen Reisevorbereitungen und entfernte sich schnell, um den General Brandis aufzusuchen.
Mit dem berliner Kurierzug war Herr Beckmann in Hannover angekommen und erfuhr zu seinem großen Mißvergnügen, daß er die durch Truppentransporte schon sehr verzögerte Reise erst fortsetzen könne, nachdem verschiedene Militärzüge, welche auf dem Bahnhofe formirt wurden, abgelassen sein würden.
Es war zwei Uhr Morgens.
Mißmuthig schlenderte er auf dem Perron hin und her, wickelte sich fröstelnd in seinen weiten Reisemantel, rauchte seine Cigarre und blickte auf das geschäftige Treiben der Bahnhofsbeamten.
Da fuhr ein rangirter Zug mit pfeifender Lokomotive dicht am Perron vor, von wenigen Wagen gebildet, in der Mitte der große, in reicher Vergoldung glänzende königliche Salonwagen, von der Krone überragt.
»Was ist das?« fragte Herr Beckmann einen der geschäftig hin und her eilenden Schaffner.
»Der König geht nach Göttingen,« antwortete dieser und eilte weiter.
Herr Beckmann trat an den Salonwagen und betrachtete denselben.
»Also richtig,« sagte er, »der König geht wirklich fort, — aber,« fuhr er fort, »wie eine Flucht sieht das noch nicht aus, — die Soldaten wenigstens scheinen gar keine Lust zum Fliehen zu haben.«
Der Perron füllte sich trotz der frühen Morgenstunde mehr und mehr mit Menschen, welche still und ruhig daher kamen und erwartungsvoll auf den königlichen Zug blickten.
Da öffneten sich die großen Thüren der königlichen Wartezimmer und man konnte in denselben die Minister, eine Anzahl von Generalen, die Hofchargen, den Geheimen Kabinetsrath und den Regierungsrath Meding erblicken.
Alles verhielt sich schweigend und ernst.
Man hörte das Heranrollen mehrerer Wagen.
Eine Bewegung entstand unter den Herren in den Wartesälen und das Publikum auf dem Perron drängte sich zu den offenen Thüren.
Man sah den König eintreten in der Generalsuniform, gestützt auf den Arm des Kronprinzen, in der Uniform der Gardehusaren. Ihm folgten die Flügeladjutanten Oberstlieutenants von Heimbruch und von Kohlrausch, und der Rittmeister Graf Wedel.
Der König begrüßte ernst die zum Abschiede Versammelten, unterhielt sich mit den einzelnen Herren und reichte ihnen die Hand.
Der Generaldirektor der Eisenbahn trat ein und meldete, daß der Zug bereit stehe.
Der König und der Kronprinz traten auf den Perron und schritten zu dem geöffneten Wagen.
Alle Häupter entblößten sich und ein dumpfes Murmeln ging durch die versammelte Menge.
Dem Könige folgten die Herren seiner Begleitung. Die Menge drängte dicht an den Wagen heran.
Da erschien Georg V. am mittelsten Fenster, beugte sich heraus und sprach mit seiner lauten, klaren Stimme:
»Ich sage den Bürgern meiner Residenz Lebewohl, indem ich zu meiner Armee mich begebe, um einen ungerechten Angriff zurückzuweisen. Meine Königin und die Prinzessinnen vertraue ich eurem Schutze an, sie werden euer Schicksal theilen. Gott sei mit euch und unserer gerechten Sache!«
»Hoch lebe der König!« rief es aus der Menge, »auf Wiedersehen, auf Wiedersehen! Gott segne Eure Majestät!« — Tücher