In der Mondnacht: Märchen. Hans Wachenhusen
ich unstreitig etwas Höheres! Die arme Stahlfeder, die sich mit mir auf eine Stufe stellen wollte, sie thut mir wirklich leid!...
So vergingen vier Wochen.
Inzwischen war der Federball einem Knaben zum Geburtstag geschenkt worden, und jedesmal wenn dieser ihn hoch in die Luft schnellte, rief die Feder sich zu: »jetzt bin ich etwas Höheres!«
Der Zahnstocher war mit seinem Schicksal schon weniger zufrieden. Er war allerdings an eine vornehme Tafel gekommen, aber unbenutzt liegen geblieben. Als der Diener die Tafel abtrug, bemerkte er den Zahnstocher, nahm ihn in den Mund und ging aus, um die Geschäfte seines Herrn zu besorgen. Er ärgerte sich aber darüber, daß er für seine Herrschaft so viel laufen müsse und da er unterwegs zum Zeitvertreib den Zahnstocher im Munde trug, so ließ er an diesem seinen Aerger aus und zerbiß und zerkaute ihn so, daß der arme Zahnstocher hätte Ach und Weh schreien mögen. Als der Diener zurückkehrte, warf er ihn auf der Straße auf einen Kehrichthaufen, gerade vor der Thür des Dichters.
Der Letztere war ebenfalls von seiner Reise wieder heimgekehrt. Er sah die zerbrochene Stahlfeder, zog sie aus dem Halter und warf sie zum Fenster hinaus. Seufzend fiel sie auf denselben Kehrichthaufen.
– Die Menschen sind doch entsetzlich undankbar! klagte die arme Stahlfeder. Ich habe doch meinem Herrn sein berühmtes Gedicht »an den Mond« geschrieben, und nun wirft er mich hier auf den Kehricht; und gerade bei diesem erschrecklichen Regenwetter! Ich werde mich sehr vorsehen müssen, damit ich nicht verroste!
Der Zahnstocher hörte die Stahlfeder neben sich seufzen.
– Was hilft mir nun all mein Dichten! sagte er zu sich selbst. Da liege ich jetzt in dem abscheulichen Platzregen! Und zerkaut hat mich dieser Lakai bis auf die kleinste Faser!... Die Menschen sind doch recht undankbar!
Inzwischen kam noch ein Dritter zu der Gesellschaft. Der Knabe hatte trotz dem Regenwetter auf dem Platze mit seinem Federball gespielt; er warf ihn hoch in die Luft, und als er wieder herabkam, waren alle die schönen Farben der Feder in einander gelaufen. Die Feder sah jetzt recht häßlich aus.
Unwillig riß der Knabe sie aus dem Ball und warf sie auf den Kehricht.
– Da liege Du, wenn Du nicht Farbe halten kannst!
– Gott, wie sind doch die Menschen undankbar! seufzte die Feder, sich vornehm auf dem Kehrichthaufen umschauend. Aber ich habe doch die Beruhigung, etwas Höheres gewesen zu sein. Wenn nur das garstige Regenwetter erst vorüber ist, so schwinge ich mich schon wieder auf, denn meine Federkraft fühle ich noch immer in mir!
– Entschuldigen Sie, daß ich so frei bin zu fragen, redete die Stahlfeder sie an, wir müssen uns kennen: waren wir nicht bei dem Dichter zusammen in Condition?
Die Gänsefeder aber blähete sich auf und warf der Stahlfeder einen verächtlichen Blick zu, obgleich sie dieselbe wohl erkannte.
– Mit wem habe ich die Ehre? fragte sie vornehm.
Da aber kam ein kleiner Lumpensammler, der wühlte in dem Kehricht und fand sie Alle, den Zahnstocher, die Stahlfeder und die vornehme Gänsefeder; er nahm sie und steckte sie in seinen Sack.
– Jetzt werde ich wieder etwas Höheres, sagte die Gänsefeder, als sie nun zu einem Federreißer kam... Der aber riß ihr die schöne Fahne ab, steckte sie in ein Kopfkissen und warf den kahlen Stiel hinter den Zaun zu vielen andern.
– Das schadet mir doch nicht, sagte der Stiel zu sich selbst; ich bin dennoch mehr als alle die übrigen hier; ich bin doch immer etwas Höheres, denn ich habe das berühmte Gedicht über »die Unsterblichkeit der Seele« geschrieben.
Die unglücklichen Heuschrecken.
In einem Kornfelde wohnten zwei Heuschreckenfamilien, die waren sehr anständig und ehrbar und lebten glücklich; aber die eine Familie war grau und die andere grün.
Die eine von ihnen hatte nun einen Sohn, das war die graue, und die andere hatte eine Tochter, das war die grüne. Beide Kinder liebten sich und wollten sich gern heirathen.
Aber der Vater des jungen Fräuleins hatte einen Widerwillen gegen den jungen Heuschreck, weil er nicht grün war wie seine ganze Familie seit verschiedenen Geschlechtern, sondern grau und nur ganz wenig grün gesprenkelt. »Das gehe nicht an«, meinte der Vater, »Art müsse immer bei Art bleiben und nie werde er zugeben, daß in seiner Familie eine Mißheirath vorfalle.«
Das war nun recht schlimm für die beiden Kinder. Die Mutter hätte es freilich gern gesehen, wenn aus ihnen ein Paar geworden wäre, aber da der eine Vater es nicht zugeben wollte, so mochte der andere auch nichts davon hören, daß sich sein edel graues Geschlecht mit dem hoffärtigen Grün vereine.
Die beiden Kinder waren äußerst betrübt, denn eine unglückliche Liebe geht noch weit über Zahnschmerzen und Ohrenreißen, das kann Euch Jeder erzählen, der sie erfahren hat.
Eines Abends kam nun der Vater des jungen Fräuleins sehr ermüdet nach Hause, denn er hatte viel im Felde zu thun gehabt. Er wollte ausruhen, setzte sich hin und zirpte.
Da sprach seine Frau zu ihm:
– Lieber Mann, unser Kind ist so unglücklich, daß es uns sterben wird, wenn wir nicht nachgeben. Ich wasche meine Hände in Unschuld, denn Gott weiß, daß ich dem Glück unserer Tochter nicht im Wege stehe!
– Kann nichts daraus werden! sagte der alte Heuschreck. Er ist einer von den Grauen und gehört also zu den unteren Classen; meine Tochter soll sich nicht unter ihrem Stande vermählen.
Als er das gesagt hatte, zirpte er gemüthlich weiter.
Aber seine Frau wußte ihm doch das Herz weich zu machen, so daß er endlich nachgab.
Da nun der alte Heuschreck ein sehr abergläubischer Mann war, ließ er die beiden Kinder holen und sagte zu ihnen:
– Ich weiß, daß Ihr Euch Beide lieb habt; aber Ihr wißt auch, daß ich als Vater immer gegen Eure Verbindung gewesen bin. Deine Mutter jedoch, mein Kind, sagte er zu seiner Tochter, hat mein Herz zu dringend bestürmt, und darum will ich denn allenfalls in Eure Heirath willigen, aber nur unter einer Bedingung, die sich auch in meiner Ehe bewährt hat. Es besteht nämlich in unserer Familie folgende Sitte. Wenn sich zwei junge Personen lieb haben, so gehen sie am Johannisabend ins Feld und suchen drei neben einander stehende, junge und gleich große Grashalme. Um den einen derselben binden sie einen rothen, um den andern einen grünen und um den dritten einen schwarzen seidenen Faden. Wächst nun in der Johannisnacht der Halm, an welchem der rothe Faden sitzt, so werden sie glücklich, wächst der grüne, so bekommen sie viele Kinder, wächst aber der schwarze, so werden sie sehr unglücklich in der Ehe und es wäre eine Sünde, wenn sie sich dennoch heirathen wollten. Da wir nun heute Johannisabend haben, so geht hin und thut nach der Vorschrift. Prophezeit Euch der Grashalm eine glückliche Ehe, so sollt Ihr Euch haben; wo nicht, so bleibt Ihr von einander.
Und die beiden Kinder gingen hin und fanden am Grabenrand neben einander drei gleiche, junge Grashalme. Um den einen banden sie einen rothen, um den andern einen grünen und um den dritten einen schwarzen seidenen Faden; und dann gingen sie nach Hause und konnten die ganze Nacht hindurch vor Angst und banger Erwartung nicht schlafen.
Am andern Morgen ganz früh aber hüpften die Eltern und die Kinder und alle Verwandte in feierlicher Procession nach dem Grabenrand, um die Grashalme zu besehen.
Und siehe da: der Halm, an welchem der schwarze Faden saß, war wohl um einen Zoll über die beiden andern in die Höhe geschossen!
– Ich hab' es ja immer gesagt; jetzt seht Ihr, daß ich Recht hatte! sprach der alte Heuschreck, und dann gingen sie wieder nach Hause.
Am selbigen Abend saß das Heuschreckfräulein unter einem wilden Rosenstrauch, wo sie immer mit dem jungen Heuschreck zu plaudern pflegte, und weinte. Bald darauf kam der