Visionen: Skizzen und Erzählungen. Oskar Panizza
trat einen Schritt weg, stellte sich in Positur und fuhr dann fort: "Ich bin aus Pululi...."—"Von mir aus von wo der Pfeffer wächst!"—entgegnete ich mißmuthig, und stand vom Stuhl auf.—"Nein!—nicht von Pfeffer-Küste!"—replicirte der Schwarze mit einer heftigen Gesticulation, ohne meine Wendung verstanden zu haben,—"Pfeffer-Küste ist weiter gegen Sonnen-Untergang;"—"Weiter, weiter, weiter!—Damit wir zu ihrer Krankheit kommen."—"Ich uar der beste dancer in mein Dorf; wir tanzen auf Holzschuhen und singen sehr schöne Lieder dazu—so!"—in diesem Moment machte der Neger einen Luftsprung, während dessen er mit dem rechten Fuß die Decke meines ziemlich hohen Zimmers berührte, von da ein kleines Stückchen Speis mit herabnehmend; dabei stieß er einen offenbar Freude andeutenden, lange-gurgelnden, scheußlichen Laut aus, und fiel zuletzt mit dem herabkommenden Fuß mit solcher Wucht auf den Boden, daß mehrere Gläser auf meinem Schreibtisch umstürzten, und er selbst wie in eine Staubwolke eingehüllt schien. Im Neben-Zimmer fing ein Kind heftig zu schreien an.—"Ja, Docter, ich uar beste dancer in Nikowikdwanga! Aber zu maine große Unglück. Ich habe nie in Wasser gesehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Völker, sich in Wasser zu sehen; und Spiegel haben wir nicht. Ich habe nie in Wasser gesehen. Ich habe nicht gewußt, daß ich schwarz bin. Und das dancing hat mich in Unglück gestürzt!..."—"Was soll aber ich mit dem Allen?" ich,—"Kommen Sie zu Ihrer Krankheit!"—"Aine schöne Tag kommt ain Mann zu mir, und fragt mich, ob ich will gehen zu mächtige Volk von Engländer, die am ganze Körper Kleider tragen, und dancing und singen in ein Haus voll mit ein Meer von Licht;—und er zeigt mir Hand mit schmutzig Gold,—so!"—und dabei griff mein schwarzer Besucher wieder in die rechte Hosentasche und hielt mir einen Haufen stinkenden Geldes in dem schwarzen Kübel seiner Hand dicht vor die Nase. Und ich traute mich nicht zurückzuweichen, aus Furcht, der Neger möchte mir noch näher auf den Leib rücken. Ich sagte nur: "Und dann?"—"Ich bin gegangen mit diesem Mann, weil ich glaubte, daß Geld rein ist und nicht schmutzig. Und hab' bestiegen eine große englische Schiff, und wir sind gefahren ßuai Monate auf dem Meer, und während ßuai Monate ich hab' nicht gesehen in Wasser, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk, sich im Wasser zu sehen. Und ich hab' nicht gewußt, daß ich war schwarz. Und dann, wir kamen nach Liverpool."—"Weiter, weiter, weiter!" drängte ich.—"In Liverpool, Docter! sah ich kolossal viel blinzelnde Menschen zwischen große Häuser spazieren mit Gesicht wie Mehl und Kreide,—scheußlich!—scheußlich!"—"Weiter, weiter!—Haben Sie das Klima nicht vertragen?"—"Klima?—Was ist Klima?—Luft war gut; Essen war gut; Wohnung sehr hart; aber diese Menschen! mit das grinsende Gesicht! und alle dicht hintereinander spazierend, und mich anstarrend mit dem Kalk-Gesicht!"—"Daran gewöhnt man sich doch!?"—"Oh yes, Docter!—daran gewöhnt man sich; ich habe mich auch daran gewöhnt; ich habe sogar englisch gelernt;—aber aine Tag, als ich in Lancaster-Street spazieren gehe, schaue ich durch ein Block Wasser...."—"Ein Block Wasser,—was soll das heißen?"—"Ich schaue durch ein Block Wasser, welches in einem Haus ist, und hinter dem die Leute hin- und hergehen und schöne Sachen zum Verkauf aufstellen."—"Es wird ein Schaufenster gewesen sein?"—-"Well, es uar ein Block festes Wasser."—"Es war eine Glasscheibe!"—"Well, Glas ist festes Wasser!" —"Wenn Sie wollen, in Gottes Namen!—Was weiter?"—"Well, Docter, ich schau in den Block; es uar ein Versehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk in festes Wasser zu sehen; aber ich schaue hinein, und Docter, was sehe ich?"—"Nun, vielleicht war es gutes Spiegelglas; Sie werden sich selbst gesehen haben?"—"Ein schwarzes Scheusal!—Ein fletschender Gorilla!—Ich glaubte zuerst ein Thier stehe im Laden und schaut heraus; aber die uaißen Menschen, die vorüber gingen, haben sich auch in dem Block Wasser gesehen; und jetzt sah ich, daß ich uar das scheußliche Thier; jetzt ich wußte, daß ich uar schwarz; und daß Abends die Engländer applaudiren, wenn ich thu singing und dancing, weil ich uar schwarzes Neger-Thier; und daß sie spritzen aus hundert Röhren künstliches Licht, damit sie mich besser sehen können!"—"Mein Gott, Sie fassen die Sache höchst sonderbar auf; auf diese Unterschiede in der Hautfarbe konnten Sie doch schon früher kommen!"—"Ja, und jetzt hab' ich gefunden Kalk-Gesichter von uaiße Engländer und noch mehr von Engländerinnen sehr pretty,—ja, sehr schön;-und dann hab' ich geflucht dem großen Neger-Geist, der Sudan-Volk hat schwarz angestrichen; und ich habe beschlossen, daß ich muß werden uaiß...."—"Sie haben beschlossen weiß zu werden?—Ja, das wird Sie wenig helfen!"—"Was? Docter, wissen Sie nicht, daß wir haben was in unser Kopf, das Alles kann ändern?!"—"Was haben wir in unserem Kopfe?"—"Wir haben Etwas, das Alles kann machen, wie es will!"—"Das versteh' ich nicht; was soll das heißen?"—"Well, wenn schwarze, häßliche Sudan-Volk hat so Etwas in sein Hirn, dann muß Engländer und Deutsche auch haben?" "Ja, wir haben doch keinen Farbtopf, der Alles anstreicht, wie wir wollen?!"—"Nix Farbtopf!—oder Farbtopf im Kopfe;—nix falsche Farb,—echte Farb!"—"Ja, und was war das Resultat Ihrer Anstrengungen?"—"Well, Docter, nachdem ich ßuai Monate bin jeden Tag gegangen zu dem Wasser-Block und hab' hineingeschaut, und hab' mir gesagt: Poppy, du mußt uaiß werden, und hab' fast nichts mehr gegessen, und nicht mehr geschlafen, und bin so schwach geworden, daß ich konnt' nicht mehr dancing und singing, und Mister hat mich weggeschickt, und bin ganze Nächte herumgelaufen, um zu suchen ein Wasser-Block, zum Hineinschauen, weil Nachts alle sind verschlossen, und bin dann zum Fluß gelaufen, und habe hineingeschaut ein Stunden, ßuai Stunden, ganze Nacht,—endlich, Docter, nach ßuai Monate,—nachdem ich uar wie ein Hund,—konnt' nicht mehr reden, nicht schlucken, aber immer noch in mein Kopf das helle Bild von mein Gesicht, das wunderschöne uaiße Negerbild...."—"Nun?" frag ich voller Erwartung.—"Well, Docter, nach ßuai Monat, eines Tags, plötzlich,—it was a wonderfall sight!—ich bin geworden uaiß...."—"Weise oder weiß?"—"Well,—eine Morgen, in Lancaster-Street, wie ich schaue in Wasser-Block,—ich bin gehabt,—oh, ich habe gehabt uaiße Farb,—wunderschöne uaiße Gesicht,-oh, I tell you Docter, ich uar schönste Mann in Liverpool; und alle Leute haben mich angeschaut; und ich bin gegangen zu main Master, und hab' gesagt, ich kann wieder dancing und singing. Aber der hat mich auf Schiff geschickt nach Hamburg...."
In diesem Moment fuhr draußen vor meiner Wohnung ein Wagen vor, und ich hörte zwei Männer eilfertig vom Bock springen. Ich war von der Rede meines Besuchers fast starr geworden. Das Geräusch des Wagens hatte, wie es schien, auch ihn stutzig gemacht. Noch zitternd und glühend von der Aufregung seiner Erzählung stand der Neger erwartungsvoll vor mir; das Blut-Roth seines Gesichtes hatte seiner schwarzen Farbe die Mischung von Bronce geliehen. Die weißen Augen waren gespannt und erwartungsvoll auf mich gerichtet. Aber gleichzeitig zeigte mir sein beschleunigter Athem und die furchtsamen Kopfwendungen nach der Thür, daß er irgend welche Gefahr wittere, mir unbekannt woher. Inzwischen hörte ich draußen an dem Gesumme und Gemurmel an der Hausthür, daß etwas Außergewöhnliches vorgegangen sein müsse. Auch das Sprechzimmer nebenan kam in Unruhe. Vielleicht hatte man einen plötzlich Verunglückten gebracht.—"Ja, und womit kann ich Ihnen nun dienen?"—frug ich jetzt mit der größten Ruhe mein Vis-à-vis.—"Well, Docter, ich bitte Sie um ain Zeugniß, daß ich bin uaiß,—die schwarzen Teufel, die mich...." Ich konnte den Rest seiner Rede nicht hören, denn ich unterbrach ihn mit den Worten: "Ja, mein lieber Freund, Sie sind aber schwarz; Sie sind schwarz wie ein Sudan...." In diesem Moment fühlte ich mir die Kehle zugeschnürt, hörte einen Schrei ausstoßen, wie ihn vielleicht die Hyäne hervorbringt, und vor meinen Augen tauchte das lechzende blutrünstige Gesicht des Negers mit vorgetriebenen, weißen Augäpfeln und heißem Athem auf.... Ich hätte wohl bald die Besinnung verloren, aber gleichzeitig waren zwei Männer, beide im gleichen gestreiften Drilch-Anzug in's Zimmer gestürzt, von denen der Eine zum Andern sagte: "Da ist er!"—Bei ihrem Anblick ließ der Neger, der mir wie ein Panther an die Kehle gesprungen war und mich zu drosseln angefangen, mich los, und stürzte sich mit den Worten "Da sind sie, die schwarzen Teufel!" auf sie. Es entstand ein fürchterlicher Kampf zwischen den zwei uniformirten Leuten, in denen ich Irrenhaus-Wärter erkannte, und dem herkulisch gebauten Sudanesen. Die Gold- und Silber-Stücke des Negers fielen, da er oftmals verkehrt in der Luft schwebte, zerstreut da und dort auf den Boden. Er schrie immer und immer wieder: "Docter, helfen Sie mich gegen die schwarzen Teufel!"; dabei waren seine Augen derart aus ihren Höhlen getreten, daß sie das ganze, mundschäumende Gesicht wie mit einem weißen Schimmer überzogen. Im Wartezimmer nebenan hatten die Kinder fürchterlich zu schreien angefangen, und bleich und entsetzt stand an der weitoffenen Zimmerthür mein Aufwarte-Mädchen.—Endlich