Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-Eschenbach

Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte - Marie von  Ebner-Eschenbach


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sich der Doktor auf, in dem größeren, nächst der Tür, hatten die Patienten, die ihn besuchten, zu warten, bis er zu ihnen trat durch einen schmalen Raum, der zwischen der Wand und dem Büchergestell frei geblieben war. Auf dessen oberstem Brette lagen oder standen allerlei Dinge, mit deren gruselnder Betrachtung die Leute sich die Zeit des Wartens vertrieben. Sonderbare Instrumente, Messer und Zangen und fest verschlossene Gläser, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, in der der galizische Instinkt sofort Weingeist witterte. Nur war leider das gute Getränk verdorben durch höchst unappetitliche Gebilde, die darin schwammen.

      Über all diese Sachen hinweg rief Rosenzweig jetzt dem eintretenden Joseph zu:

      „Sag einmal, was hast du mit der kleinen Lubienka des Pächters?“

      Wie gewöhnlich, wenn sein Wohltäter ihn scharf anredete, wurde der Bursche feuerrot, fand auch nicht gleich eine Antwort. Erst nachdem Rosenzweig seine Frage wiederholt hatte, nahm Joseph sich zusammen und entgegnete halblaut, aber bestimmt:

      „Ich hab sie lieb.“

      „Und – sie?“

      „– Sie hat mich auch lieb.“

      Der Doktor lachte bitter und höhnisch:

      „Das bildest du dir ein?“

      „Das weiß ich, gnädiger Herr –“

      „Wohin soll dieses Liebhaben führen?“

      Nun meinte Joseph, der Doktor habe ihn zum besten, wolle ihn nur ein wenig aufziehen, und erwiderte ganz munter:

      „Zu einer Heirat, Herr.“

      „Einer Heirat! Du denkst ans Heiraten?“

      „Ja, Herr! und Lubienka denkt auch daran.“

      „Sie auch!... Was sagt denn ihr Vater dazu?“

      „Dem ist es recht, Panie Kochanku!“[4] rief Joseph mit einem Ausbruch überwallender Empfindung und machte Miene, auf dem jedem andern als dem Doktor verbotenen Weg in das Bereich seines Wohltäters zu stürzen ...

      Der aber erhob sich gebieterisch von seinem Stuhle und bannte den Jüngling mit einem strengen:

      „Bleib, wo du bist!“ an seinen Platz.

      In grausamen Worten hielt er ihm seine Armut und seine Aussichtslosigkeit vor. Ihn empörte der Gedanke, daß dieser Mensch vielleicht auf ihn gerechnet habe, respektive auf seinen Geldbeutel, und er faßte den Entschluß, dem interessierten Schlingel nach beendeter Erntearbeit die Tür zu weisen. Vorläufig wies er ihn aus dem Zimmer und legte sich mit dem Vorsatz zu Bett, den Pächter am folgenden Tage ernstlich zu ermahnen, der Löffelei zwischen seiner Tochter und Joseph ein Ende zu machen.

      Gerade an diesem Tage jedoch ereignete sich etwas, das ihn von jedem unwesentlichen und nebensächlichen Gegenstand ein für allemal abzog.

      Er wurde am frühen Morgen zu dem plötzlich erkrankten Sohn einer benachbarten Gutsfrau berufen, konnte die besorgte Mutter über den Zustand des Patienten beruhigen und wäre am liebsten sogleich wieder nach Hause gefahren. Das gestattete jedoch die landesübliche Gastfreundschaft nicht. Gern oder ungern hieß es an einem reichlichen Frühstück teilnehmen, das im Salon aufgetragen war. Dort hatte sich eine große Anzahl Schloßgäste versammelt, eine Gesellschaft, dem Doktor wohlbekannt und so widerwärtig, als ob sie aus lauter Kurpfuschern bestanden hätte. Anhänger und Anhängerinnen „König“ Adam Czartoryskis, Konspiranten gegen die bestehende gute Ordnung, Schwärmer für die Wiedereinführung der alten polnischen Wirtschaft. Die Frau des Hauses, noch jung, schön, enthusiastisch, seit dem Tode ihres Mannes unumschränkte Herrin der großen Güter, die sie ihm zugebracht hatte, war die Seele der ganzen Partei und ihre mächtige Stütze. Sie unterhielt eine lebhafte Korrespondenz mit der Nationalregierung in Paris, empfing und beherbergte deren Emissäre und verwendete jährlich große Summen für Revolutionszwecke.

      Dieses fanatische Treiben mißfiel dem Doktor und entstellte ihm das Bild der in jeder andern Hinsicht, als gute Mutter, als kluge Verwalterin ihres Vermögens und als humane Herrin ihrer Untertanen verehrungswürdigen Frau.

      Mit verdrießlicher Miene nahm er am Teetische Platz, aß und trank und sprach kein Wort, indes Herren und Damen eifrig politisierten. Ihm war, als sei er von Kindern umgeben, die, statt Soldaten zu spielen, zur Abwechselung einmal Verschwörer spielten.

      Da legte eine weiße Hand sich plötzlich auf die Lehne seines Sessels.

      „Warum so verstimmt, angesichts des schönsten Wunders, mein lieber Doktor?“ sprach Gräfin Aniela W. zu ihrem Lebensretter.

      Rosenzweig erhob und verneigte sich:

      „Welches Wunder meinen Euer Hochgeboren?“

      „Das der Wiedererweckung des polnischen Reiches!“ versetzte die reizende Frau, und aus ihren Taubenaugen schoß ein Adlerblick, und ihre zierliche Gestalt richtete sich heroisch auf.

      Der Doktor verbiß ein Lächeln, und sogleich riefen mehrere Patriotinnen in schmerzlicher Enttäuschung:

      „Sie zweifeln? O Doktor, – ist das möglich? Ein so gescheiter Mann!“

      „Ich zweifle nicht, meine Damen! Wer sagt, daß ich zweifle?“

      „Ihr Lächeln sagt es, das ganz unmotiviert ist, da wir Ernst machen,“ sprach die Gräfin und kreuzte die Arme wie Napoleon.

      „Der Augenblick, das fremde Joch abzuschütteln, ist gekommen ... Sie dürfen es erfahren, weil Sie ein guter Pole und unser Vertrauter sind! Das Zeichen zum Ausbruch der Revolution wird in Lemberg auf dem ersten Balle des Erzherzogs gegeben werden!“

      Allgemeines Schweigen folgte dieser freimütigen Erklärung. Die Verschworenen waren betroffen über die Eigenmächtigkeit, mit der Aniela über das gemeinsame Eigentum – den Plan der Partei – verfügte.

      Doch war sie viel zu liebenswürdig und sah auch viel zu reizend aus, als daß man ihr hätte zürnen können. Sie trug ein Pariser Häubchen mit einer Kaskade aus gesinnungstüchtigen rot und weißen Bändern. Den köstlichen Stoff des Morgenkleides hatte ihr Gemahl von seiner letzten Missionsreise nach Rußland, aus Nishnij Nowgorod mitgebracht, – unter welchen Gefahren!

      Ach, es war eine ganze Geschichte ... Heute wurde sie aber nicht erzählt, am wenigsten in diesem Augenblick, in dem es vor allem galt, den üblen Eindruck zu verwischen, den die Politikerin auf ihre Umgebung hervorgebracht hatte.

      „Ihr Kleingläubigen!“ rief sie, „zweifelt ihr an der Treue und Zuverlässigkeit eines Mannes, der dem Vaterlande mein Leben erhalten hat?“

      Einige junge Herren beeilten sich zu protestieren, und ein alter Schlachziz mit langem, herabhängendem Schnurrbart erhob sein Madeiragläschen, leerte es auf einen Zug und sprach:

      „Vivat, Doktor Rosenzweig!“

      Die Frau vom Hause wiederholte:

      „Vivat, Doktor Rosenzweig, dem so viele von uns ihre eigene Gesundheit und die ihrer Kinder verdanken!“

      Sie stürzte nach diesem Toast den Rest ihrer sechsten Tasse Tee hinunter, und statt sich erkenntlich zu zeigen, brummte der Arzt:

      „Wie oft habe ich Euer Hochgeboren ersucht, nicht so viel Tee zu trinken. Sie ruinieren Ihre Nerven!“

      Die schöne Festgeberin lächelte überlegen:

      „Guter Gott, meine Nerven! An die werden bald ganz andre Zumutungen gestellt werden!“

      „Ich verstehe – auf jenem Revolutionsballe!“

      „Ja, Doktor! Ja!“ rief Gräfin Aniela dazwischen, – „dem Ball, auf dem wir ein welthistorisches Ereignis inaugurieren!“

      „Bei der Mazurka oder bei der Française?“

      „Beim Kotillon. Die Damen wählen zugleich alle anwesenden


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