Der Moloch. Jakob Wassermann

Der Moloch - Jakob Wassermann


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Ansorge. Der Jude kam jeden Monat zwei- bis dreimal, um Stoffe und Wolle, auch sonstige Gegenstände für den Haushalt zu verkaufen.

      Elasser begrüßte Arnold knixend, während er Stirn und Glatze, die trotz des kühlen Morgens schon schweißbedeckt waren, mit einem blauen Tuch trocknete. Sein langhängender brauner Bart verhüllte fast den Ausdruck eines ziemlich gutmütigen Gesichts. Er steckte das Geld, das er empfing, mit liebevoller Sorgfalt in einen schmutzigen alten Lederbeutel, huckte seinen ansehnlichen Pack auf den Rücken, grüßte ehrerbietig und ging.

      Arnold trank seinen Topf Milch und sagte: »Ich geh’ jetzt ins Dorf.«

      Der Weg wurde leicht in der windstillen und würzigen Luft. Die Welt atmete Frieden. Indem Arnold rege vorwärts schritt, fühlte er sich gelaunt, tagelang zu wandern. Er hob einen dicken Ast auf, der am Wege lag, brach ihn entzwei wie ein Rohr und warf die Stücke in den Fluß, dessen mühselig hinfließendes Wasser nichts von der Reinheit des Himmels wiedergab.

      Podolin streckte sich lang hin. Die Häuser, arm und schmutzig, entfernten sich nur an einer Stelle von der Straße und bildeten, den Hügelrücken hinan, einen weiten Platz, an welchem die Kirche, das Pfarrhaus, die Schule, die Post und das Gerichtsgebäude standen. Uravar wohnte am Eck hoch oben. Als Arnold in den Laden trat, erblickte er den jüdischen Hausierer, hektisch rot im Gesicht, mit leidenschaftlichen Geberden auf den Metzger einsprechend. Uravar hockte nachlässig, die Hände in den Taschen, auf der Kante des langen Tisches, der mit Blut und Fleisch bedeckt war, knirschte mit den Zähnen und lachte. Sein bartloses Gesicht war rot und glänzend wie das rohe Fleisch; am Kinn hatte er eine Warze mit fünf langen Haaren, welche aussah, als ob beständig eine Kreuzspinne auf seine Lippen zukröche.

      »Wenn Sie mir nicht geben wollen mein Geld,« sagte der Hausierer, »werd’ ich Ihnen verklagen bei Gericht.«

      Uravar schlug sich auf die Schenkel und zeigte die blendend weißen Zähne. »Judd, geh furt, sonst holl ich Hund,« sagte er und warf einen beifallhaschenden Blick auf Arnold, der still auf der Schwelle stand.

      Elasser wurde erregt. »Ich fürcht’ mich nicht vor Ihrem Hund,« antwortete er. »Ich fürcht’ mich nicht einmal vor Ihnen, wie soll ich mich vor Ihrem Hund fürchten. Geben Sie mir mein Geld und die Sach’ hat sich gehoben.« Sein Gesicht sah fahl aus, und die Augen fielen kummervoll und ermüdet in ihre Höhlen. Rettungsuchend blickte er an Arnold vorbei auf den öden Platz, als Uravar sich von seinem Sitz herabschnellte und mit ausholenden Schritten auf ihn zuging. Er packte Elasser mit beiden Armen um den Leib, hob ihn empor und schleppte ihn gegen die Türe. Aber zwei Hände klammerten sich mit solcher Kraft um seine dicken Schultern, daß die Schlüsselbeinknochen krachten und zurückgedreht wurden. Mit einem Wutgebrumm ließ Uravar den Juden zur Erde gleiten, drehte sich schwerfällig um, den Kopf geduckt und blickte Arnold, der ihn nun losgelassen hatte, tückisch an. Arnold erwiderte den Blick mit solcher Ruhe, daß der brutale Mensch fast demütig den Kopf duckte und das Kinn herabzog, wodurch die Kreuzspinne mutlos zusammenschrumpfte.

      Elasser huckte keuchend seinen Pack auf. »Der Herr wird dafür zu büßen haben,« sagte er, auf Uravar deutend. »Einem Besoffenen und einem Heuwagen muß man ausweichen, heißt es. Aber gegen Gewalttätigkeiten sind da die Gerichte.« Er nickte Arnold zu und verließ den Laden.

      Angewidert und nicht imstande mit dem Fleischer zu reden, trat Arnold auf den Platz hinaus und sah gedankenvoll hinunter, die Augen gegen die blendende Sonne mit der Hand beschirmend. Trotzdem kam es ihm vor, als sei der Sonnenschein trüber geworden.

      Hinter den Kindern, die jetzt dem gegenüberliegenden Schulhaus entströmten, wurde Maxim Specht sichtbar. Er schritt ohne weiters auf Arnold zu und sagte mit anerkennendem Ausdruck: »Sehr schön, sehr gut. Ich habe vom Fenster aus zugesehen. Endlich einmal hat dieser Kerl eine Lektion erhalten.« Er lachte meckernd, wobei seine Augen ganz klein wurden und freundschaftlich glänzten. Dann lud er Arnold ein, ihn ein Stück Wegs zu begleiten; oft schon hätte er sich eine nähere Bekanntschaft gewünscht, sagte er. Obwohl sein Anzug ärmlich war, sah er darin adrett aus; im Gespräch war er ungezwungen und zugleich zurückhaltend. Er war sehr neugierig in bezug auf alles, was Arnold betraf.

      »Wie können Sie denn das aushalten hier, das eintönige Leben?« fragte er. »Was tun Sie denn den ganzen Tag über?«

      Arnold gab, so gut er konnte, Auskunft.

      »Sie sind also eine Art Verwalter auf dem Gut Ihrer Frau Mutter?« meinte Specht. »Und wird Ihnen das nicht langweilig?«

      »Langweilig? Nein; langweilig ist es nicht!«

      »Waren Sie nie in der Stadt?«

      »Nein.«

      »Überhaupt noch nicht? Wie merkwürdig! Dem Äußern nach sind Sie doch ein Städter. Ihre Sprache, Ihr Gesicht, Ihr Benehmen, alles ist wie bei einem Städter. Sehr merkwürdig!«

      »Ist denn das so etwas Besonderes, ein Städter?« erkundigte sich Arnold.

      »Na, etwas Besonderes ... das will ich nicht gerade sagen. Aber wenn Sie die Stadt noch nicht kennen, da steht Ihnen ein großer Genuß bevor. Haben Sie noch nie Sehnsucht danach gehabt? Nein! Wie merkwürdig! Ich sage Ihnen, es ist etwas Herrliches um so eine große Stadt. Theater, Konzerte, reiche Leute, schöne Damen, Paläste, Kirchen, kolossale Straßen und abends ein Lichtermeer! Das können Sie sich nicht vorstellen. Es ist wie ein Traum. Hier versumpft man ja, glauben Sie mir.«

      Verwundert schüttelte Arnold den Kopf. Da es ihm zu heiß wurde, zog er seine Lodenjacke aus, wobei er stehen blieb und den Lehrer durchdringend und verständnislos anschaute.

      Sie waren gegen die Nordseite vors Dorf gekommen. An der Straße lag eine Art Meierhof: ein schmuckes Wohnhaus, Stall, Scheune, alles sauber und neu umzäunt. Wie eine appetitliche Speise auf dem Teller lag das kleine Gut in der Ebene. Unter dem Haus stand ein junges Mädchen, auf den Lippen ein Kinderlächeln. Als Specht sich von Arnold verabschiedet hatte, schlug sie den gelben Schal fester um Brust und Schultern und ging dem Lehrer entgegen.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war Nachmittag; Arnold saß am Fluß und schaute ruhig nach der Angelschnur, die sich in weitem Bogen zum Wasser senkte. Er hatte das Hemd über der Brust geöffnet; es war ungewöhnlich schwül geworden. Nicht das kleinste Fischlein wollte sich verbeißen; den schwarzen Fluß kräuselte keine Welle. Der Himmel hatte sich umzogen; über den schlesischen Wäldern lag ein Wetter.

      Salscha, vom Dorf herkommend, blieb neben Arnold stehen und fragte ihn, was er mit dem Fleischer Uravar gehabt habe, der schimpfe wie ein Teufel auf ihn.

      Arnold brummte etwas vor sich hin.

      Weshalb er sich da hineinmische, fuhr das Mädchen fort, dem Juden werde er ja doch nicht zu seinem Recht verhelfen können.

      »So? warum denn nicht?« fuhr Arnold auf.

      Na, die Juden seien eben keine rechten Menschen, sie behexten das Vieh und zu Ostern schlachten sie Christenkinder.

      »Dumme Gans,« murmelte Arnold verächtlich. »Der Jud ist arm, hat neun Kinder zu Haus und wenn er zu Gericht geht, wird er auch sein Recht bekommen.«

      »Natürlich, als ob das Recht bei den Gerichten so billig wäre!« höhnte Salscha.

      Arnold zuckte die Achseln und schwieg.

      Salscha setzte sich auf einen Stein neben Arnold, die Knie unter den Röcken weit voneinander, die Augen nicht von ihm wendend. Weit und breit war kein Mensch zu sehen; eine Viertelstunde der Liebe schien erwünscht. Aber endlich merkte sie die Kälte Arnolds. Mit bösem Blick schielte sie nach der Angel, stand auf und ging. Lange noch hörte Arnold ihr gleichmäßiges und erzürntes Trällern über die Wiesen klingen.

      Arnold schnellte die Angel aus dem Wasser und machte sich auf den Heimweg, da der Regen nahte. Über Podolin wetterleuchtete es. Er schulterte die Rute und schritt fest über


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