Ini: Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Julius von Voss
bereicherten. Daneben fertigten sie eine liebliche Art Flöten und begleiteten den Gesang froher Mädchen, deren Hand zugleich ungemein wohltönende Citharen rührte. Wie weit auch diese Musik der Zephirharmonika nachstand, mit welcher Ini ihn bezaubert hatte, fühlte Guido dennoch die Rührung einfacher und tief empfundener Melodien. Natur und harmlose Lebenssitte hatten auch diese Menschen so poetisch gemacht, daß auf Verlangen oder aus eignem Drang, Hirten und Hirtinnen Lied und Harmonien auf der Stelle erfanden und vortrugen, was die Hörer in die Zeiten der Amphion und Homer versetzte. Guido entwarf davon eine anziehende Schilderung und sandte sie Ini.
Das Verlangen Athen bald zu sehen, regte sich nun lebhafter, denn zu viel hatte ihm Gelino davon gesagt. Es wurde auch in kurzem gestillt, man erblickte das alte Vorland Sunium, die Berggipfel Parnes und Brilessus, und lag bald darauf im Hafen Piräus vor Anker.
Gelino unterrichtete ihn im Voraus über die Erscheinungen, welche ihn auf diesem merkwürdigen Erdfleck belehren sollten.
Im achtzehnten Jahrhundert, hub er an, ereignete sich in der Provinz Frankreich jene bekannte Staatsveränderung, welche das Schicksal bestimmt hatte, nach und nach allen Reichen am Erdboden eine neue Gestalt zu geben. Nach langen blutigen Kriegen, die bis tief ins neunzehnte Jahrhundert geführt wurden, kam der größte Theil von Europa unter eine Obergewalt, welche aber die Unterregierung mehrerer Könige feststellte. Man nannte dies Reich, das erneute römisch-abendländische und Rom wurde, wie es jetzt noch ist, der Wohnsitz des Kaisers. Der schwerste Kampf war gegen die Albionen, damals in Schiffahrt und Seekrieg berühmt, welche ungeheure, wenn gleich meistens eingebildete, Reichthümer gehäuft und den gigantischen Entwurf gemacht hatten, die Handlung des ganzen Erdballs an sich zu bringen. Doch nach einer gelungenen Landung flohen die Vornehmen mit ihren klingenden Schätzen nach dem Indien am Ganges, und Calcutta ward die Hauptstadt ihres neuen Reichs. Das Volk blieb verarmt zurück und mußte unter fremder Regierung seinem Kunstfleiß eine andere Richtung geben.
Doch bildete sich neben dem abendländischen Kaiserthume auch ein neues morgenländisches. Einen Cäsar an der Spitze, der sich den griechischen nannte, drangen die Völker des Nordens hervor, mit eisernen Armen, in alt scithischer wilder Kraft und dennoch mit den Künsten der vorhandenen Kultur vertraut. Den Boden des ehemaligen Griechenlands hatten damals die Ottomannen inne, ein kräftig Volk, voll Religion und warmer Phantasie, doch weit zurückgeblieben in den Wissenschaften. Sie mußten bald aus Europa weichen, wo ihr Sultan, durch mehrere Jahrhunderte, auf Constantins Thron gesessen hatte. Allein ihr reizend Gebiet in Europa ward der Zankapfel zwischen den beiden Großmonarchien. Neu-Griechen und Neu-Römer machten ihre Ansprüche darauf mit dem Schwerdte gültig. Eine verheerende Fehde folgte der andern, die Menschheit blutete. Man sah in den lachenden Gegenden nur Ruinen, entvölkerte Wohnplätze, verwüstete Auen. Umsonst mahnte Philosophie der blutenden Menschheit zu schonen. Zu gewaltig fühlten sich die Streitkräfte, zu entflammt waren die ehrgeizigen Gemüther, stolzer gemacht durch bedeutende Erfolge und immer weiter strebend in ungemessenen Entwürfen.
Zuletzt veranstalteten beide Kaiser eine Unterredung zu Constantinopel. Mein muß Europa gehören, sagte der Occidentale, die Natur seiner Gränzen weist mich darauf an, ich ende den Kampf darum nicht und sollte das lebende Geschlecht darin untergehn. Doch nimm dir vom alten Morgenland Roms, das herrliche Klein-Asien, Sirien, dringe zum Euphrat vor, ja bemächtige dich aller Lande, denen einst Cirus gebot. Ich will dir in deinen Eroberungen treulich beistehn. Schon ist dein Asien dem Umfange nach, größer als mein Gebiet, wie viel reichere fruchtbarere Provinzen kannst du ihm noch zugesellen.
Die Kühnheit des Plans gefiel dem Monarchen aus dem Hause Romanow. Da kamen von den Strömen Obi, Lena, Jenisei, von den Seen Aral, Telegul, Baikal, von den Altanischen und Sajanischen Gebirgen streitbare Krieger. Turalinzen, Kirgisen, Teleuten, Abinzen, Tschulimische und Werchotomekische Tatarn strömten über den Kaukasus, Hülfsvölker aus den stolzen Spaniern, den ehrgeizigen Franken, den markigten Germanen, den feurigen Polen, den schlauen Italiern und andern Nationen zusammen gebracht, drangen über die Meerenge von Constantinopel vor oder landeten an den Küsten von Sirien.
Tapfer vertheidigten sich die Anhänger der Religion Muhameds. Doch Uneinigkeit theilte ihre Kraft, sie waren der überlegenen Kunst nicht gewachsen. Zwar kostete es Jahre, mühevoller Anstrengung und das Leben von Hunderttausenden, endlich aber wurden bis zu Mesopotamien hin alle alt-türkischen Besitzungen überschwemmt. Der Schach von Persien kam den Glaubensverwandten zu Hülfe, ward so in die Kriege verflochten und erlag am Ende des neunzehnten Jahrhunderts auch.
Nun ward Ispahan des neuen ungeheuren Staates Mittelpunkt. Man bemühte sich mit Weisheit die Völker zu gewinnen, indem ihnen nach und nach die Wohlthaten der Kultur einleuchtend gemacht, und die verschiedenen Religionen in einen, von Wahn gereinigten, und durch allgemeine Moral veredelten, Kultus vereint wurden.
Bald aber sahe man sich genöthigt neue Kriege im Ost zu beginnen. Die Albionen in Indien waren mächtig geworden. Sie trieben nicht nur in allen Gewässern zwischen Madagaskar und Japan ihr altes Spiel, sondern hatten auch zu Lande ihre Herrschaft bis über Tibet hinaus verbreitet, befehdeten den Khan von Sina, und gaben den Neu-Persern (so nannten sich jetzt die vormaligen Moskowier) zu vielen Klagen Anlaß. Die Waffen mußten entscheiden, ein hartnäckiger Kampf durch mehrere Jahrzehende folgte. Doch ein Monarch, Cirus Alexander genannt, drang zuletzt an den Ganges vor, nahm Calcutta ein und die Albionen sahen sich abermal gezwungen ihr Reich übers Meer zu verlegen. Sie wählten Neu-Holland, da Cirus Alexander ihnen auch die Inselgruppe von Borneo wegnahm. Doch jenes große Eiland, das nunmehr den Namen Süd-Brittania empfing, sammt vielen andern und manchen neu entdeckten am Pol, bildet jetzt ihr stattlich Reich und die kunstfleißige und üppige Hauptstadt Botani-Bai ist zu der Bevölkerung einer Million herangewachsen. Zu Calcutta, das sie eilig räumen mußten, fand man eine Abtei voll Grabmähler und Denkbilder großer Seehelden und Gelehrten. Denn dies Volk war von uralten Zeiten her ungemein dankbar gegen Verdienste um das Vaterland, und darum ist es ihm auch wohl gelungen mit anfänglich geringen Hülfsmitteln bewundernswerthe Dinge zu vollziehn.
Nachdem das Neu-Persische Reich gestiftet und befestigt war, genoß das abendländische Kaiserthum einer langen glückseligen Ruhe. Der Kaiser Marcus Aurelius II. berief zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Fürsten und Weisen aus allen Landen, um eine Verfassung zu gründen, wie das Bedürfniß der vorgerückten Zeiten sie verlangte.
Hier wurde nun vorerst angetragen, den Namen abendländisches Kaiserthum aufzugeben. Was dürfen wir Rom nachahmen? fragte man. Unser Reich ist an Umfang, Reichthum und Gewalt, bei weitem größer als das Reich der Quiriten in seiner üppigsten Blüthe. Haben wir allenfalls in Asien mächtigere Feinde zu fürchten als sie, so fehlt es uns nicht an Bundgenossen, mit denen vereint wir ihnen kräftigen Widerstand leisten können. Da auch die reinste Gemeinsache der Zweck dieses großen Landtags ist, so heiße das Reich künftig die Republik Europa.
Aurelius, weit entfernt, seine Rechte gekränkt zu finden, sahe hier nur seine Wünsche ausgesprochen.
Nur Gleichheit, sagte der weise Gekrönte, ist Verfassung des Rechts. Wenn Spaltung des Willens Ehedem die Republiken erschütterte, und sie zuletzt in Herrschaft der Willkühr untergehen ließ, so kam das daher, weil die Volksvernunft noch nicht hinlänglich gereift war, das Gute klar einzusehn. Man nannte die Tugend Stütze der Gemeinsache, Ehre die des Alleinregiments. Thörigter Irrwahn beide Begriffe zu scheiden. Heil der Zeit, welche endlich einsah, Ehre könne allein der Tugend Preis werden und Tugend sei durchaus nichts anderes als Huldigung der Vernunft.
Dann bedingt aber die Verfassung, durch sich selbst, Volkswillen und Alleinherrschaft so verbunden, daß der Mann auf der Spitze, jenen nachdrücklich ausspricht, und, wie er ihn von unten herauf vernahm, ihn von oben hinunter in Erfüllung gehen läßt.
Es gab Zeiten wo die Fürsten sich freuten, blindgehorsamen, vernunftarmen Sklaven zu gebieten. Jetzt, dem Himmel sei Dank, finden wir nur Ehre darin, freien, edlen, verständigen Bürgern vorzustehn. — So sprach dieser Monarch.
Du wirst auf deiner weitern Reise Gelegenheit finden, die Einrichtungen zu sehn, welche nun in der monarchischen Republik gegründet wurden, indem man unabläßig strebte, Tugend und Ehre zu gatten, und zugleich die Volksintelligenz und die Fürstenintelligenz erzog. Viel Hohes, Großes, Kräftiges, Entzückendes ist