Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury. Else Ury
– Ola, – wo steckt ihr denn? Ich will euch mit dem reizendsten Biedermeierfräulein, das von anno Ix wieder auferstanden ist, bekannt machen«, rief er galant. »Fräulein Braun, Herr Krabbe, Herr Neumann – meine Tochter Anneliese – meine Nichte Ola.« Eine entzückende lila Biedermeierdame mit dunklem, weichem Wellenscheitel und großen blauen Augen begrüßte die fremden Gäste herzlich. »Grüß Gott, ich hoff’, daß Sie sich in unserm Haus wohl fühle werde!« Der leise, schwäbische Anklang, der diese Worte begleitete, machte dieselben noch anheimelnder.
Das war Anneliese Bergholz, für die alle Studenten Tübingens schwärmten. Auch Neumann machte sogleich elegische Karpfenaugen und ward zweifelhaft, ob sein Herz von seiner blonden Schönen zu der dunkelhaarigen abschwenken sollte.
Inzwischen hatte die mit »Ola« angeredete Nichte, eine zarte Blondine mit lieben Gesichtszügen, die taktvollerweise nur ein rosengeschmücktes Sommerkleid trug, damit sich keine der Damen zurückgesetzt fühlen sollte, Annemaries Hand ergriffen. »Wir haben sehr bedauert, Ihren Besuch neulich verfehlt zu haben, Fräulein Braun. Aber kennen tu’ ich Sie trotzdem schon. Nicht allein Ihr helles Lachen, das bei Ihren Neckarfahrten oft vom Boot in unsern Garten herübergeklungen. Ich kenn’ Sie halt von Würzburg her.« Fräulein Ola machte ein verschmitztes Gesicht.
»Das muß ein Irrtum sein. In Würzburg habe ich mich nur wider Willen einige Stunden aufgehalten und sicherlich nicht dort Ihre Bekanntschaft gemacht, Fräulein – – –.« Himmel, wie war der Vatersname der jungen Dame?
»Sagen Sie ruhig Fräulein Ola – so werd’ ich allgemein gerufen«, meinte diese freundlich, Annemaries Verlegenheit wahrnehmend. »Nein, mich haben Sie dort freilich nit kennen gelernt. Aber den da – – – Rudi, wenn du deiner schönen Cousine genügend den Hof gemacht hast, darfst du hier eine Bekannte begrüßen«, rief sie lustig. Ein Biedermeierherr im kaffeebraunen Leibrock, der ihnen den Rücken kehrte, wandte sich lebhaft um.
Ein schmales Antlitz, feine kluge Züge, warmblickende graue Augen unter braunem Haar – da war es wieder, das Gesicht, das Annemarie so oft inzwischen vor ihrem geistigen Auge geschaut. Nach dem sie überall gespäht, die Züge des Bruders in der Schwester suchend.
»Herr Hartenstein – ist das eine Überraschung!« Lebhaft errötend streckte Annemarie ihm mit der ihr eigenen Herzlichkeit beide Hände entgegen. Sie hatte nicht die Empfindung, daß sie einen ihr ganz Fremden, mit dem sie nur kurze Zeit zusammen gewesen, zu dem sie sich nicht einmal nett benommen hatte, hier wieder traf. Nein, was ihr aus den freudig aufleuchtenden Blicken des vor ihr Stehenden entgegengrüßte, war etwas Heimatswarmes, Langbekanntes, unbewußt Ersehntes.
»Grüß Sie Gott, Fräulein Braun. Also da stecken’s? Aus Urmutters Truhe muß man Sie wieder ans Tageslicht herauskramen? Warum haben’s meine Schwester nit aufg’sucht? In jedem Brief hab’ ich nach Ihnen ang’fragt, gelt, Ola?«
»Das ist Ihre Schwester – Fräulein Ola? Ich glaubte, sie müßte Ihnen ähnlich sein. Jede Studentin habe ich darauf angesehen und den Namen Hartenstein habe ich nirgends auffinden können«, berichtete Annemarie zutraulich.
»Das glaub’ ich, weil sie halt schon jahrelang im Haus meines Onkels lebt. Daß ich auch daran nit g’dacht hab’! Aber nun erzählen’s, wie ist’s Ihnen ergangen? Fühlen Sie sich wohl in Tübingen? Macht Ihnen das Studium Freud’?« Eine Frage jagte die andere, als gelte es, jede Minute der kostbaren Zeit doppelt und dreifach auszunutzen. Es fiel Annemarie auf, wie angenehm sein Dialekt, im Gegensatz zu den Schschlauten ihrer schwäbischen Freunde, die stets ihre Heiterkeit herausforderten, klang.
»Na, und ob ich mich hier in Tübingen wohl fühle!« rief sie begeistert. »In einer urbehaglichen Bude hausen wir mit famosen Wirtschleut’. Und gute Freunde hab’ ich auch schon. Ja, wo seid ihr denn?« Erst jetzt dachte Annemarie an ihre Getreuen, die sie während des freudigen Wiedersehens ganz vergessen.
Mit süßsaurem Gesicht standen Krabbe und Neumann da. Annemarie hatte ihnen doch noch nie etwas von dieser Bekanntschaft erzählt.
»Also, da ist erstens mal die Viehmuse, hört auf den Namen Krabbe, besonders gut beim Photographieren zu verwenden«, stellte Annemarie vor. »Und dieser Biedermeieronkel hier ist unser Freund Neumann, ein ganz fideles Huhn, wenn er nicht gerade melancholisch oder beschwipst ist. Gib’s Pfötchen, Neumann«, kommandierte sie ausgelassen, als ob sie ihren Puck vor sich hätte, »Herr Rudolf Hartenstein aus Würzburg.«
»Neugebackener Dr. med.«, vollendete Fräulein Ola Hartenstein, die belustigt das Gespräch mit angehört hatte. »Hab’s so recht g’macht, gelt, Rudi?«
»Du kriegst deine Straf’, wart’ nur! Das böse Mädel hat nämlich auf all meine schriftlichen Anfragen behauptet, in Tübingen existier’ keine Annemarie Braun. Meine letzte Hoffnung hab’ ich heut’ auf das Rosenfest gesetzt, zu dem ich mich alljährlich im Hause meines Onkels einfind’. Sonst hätt’ ich wirklich geglaubt, Sie hätten mir was weisg’macht. Zuzutrauen wär’s Ihnen halt gewesen«, setzte er scherzend hinzu.
Die Viehmuse wurde ungeduldig. Sie begann Annemarie an den mit schwarzen Samtbändern abgebundenen Puffärmeln nachdrücklich zu zupfen.
»Kommscht nit bald, Neschthäkche?« flüsterte er mit ziemlich vernehmlicher Stimme.
»Wie nennt der Herr Sie? Nesthäkchen? Sind Sie das Kleinste aus dem Kreis der Kameraden?« verwunderte sich der Biedermeierherr im kaffeebraunen Frack.
»Der Name verfolgt mich nun mal zu meinem Ärger. Daheim hieß ich so, solange ich denken kann. Und jetzt haben sie den kindischen Namen hier auch aufgebracht«, beklagte sich Annemarie.
»Ich find’ ihn gar nit so arg«, lachte Dr. Hartenstein. »Im Gegenteil, ganz passend für die Trägerin.«
»Na, erlauben Sie mal gefälligst!« Für kindisch wollte Annemarie denn doch nicht gelten, am wenigsten vor Rudolf Hartenstein.
»Also kommscht oder kommscht nit?« Neumann wurde die Sache jetzt zu bunt. Der Fremde tat ja, als ob die Annemarie Braun nur für ihn da sei. Andere Leute hatten ältere Freundschaftsrechte.
»Bitte die Damen, die Herren zum Kaffee zu engagieren. Bei uns regiert das schöne Geschlecht«, erklang die Stimme des Hausherrn. »Jede der Damen gebe dem Auserwählten eine Rose zum Zeichen seiner Ritterschaft.«
Einen Augenblick zauderte Doktors Nesthäkchen. Die Viehmuse machte ein erwartungsvolles Gesicht, Neumann setzte sich mit elegischem Augenausschlag in Positur.
Da griff Annemarie nach der schönsten der dunkelroten Rosen, die sie an der Brust trug, und reichte sie Rudolf Hartenstein.
Ja, war denn Annemarie ganz und gar besessen, ihre alten Freunde so abfallen zu lassen? Krabbe machte ein Gesicht, als ob er den Fremden am liebsten sofort auf Säbelmensur gefordert hätte. Neumann schlug die Augen gen Himmel wie ein melancholischer Karpfen. Sie hatten die Verantwortung für Nesthäkchen übernommen, ihnen war sie von den Freundinnen anvertraut worden.
Inzwischen hatte Rudolf Hartenstein mit frohem Aufstrahlen seiner grauen Augen Annemaries Rose an seinen kaffeebraunen Leibrock befestigt. Jetzt reichte er ihr mit einem scherzhaften Kratzfuß aus den Tagen der Vatermörder und des Reifrocks den Arm, sie an einen der kleinen Tische zu führen, die allenthalben in Lauben und Gartennischen der Pärchen harrten.
»Ach, richtig, unterfassen mögen’s ja nit«, erinnerte er sich plötzlich lachend.
»Nee«, machte Nesthäkchen im Brustton der Überzeugung. Ganz ehrlich aber war’s ihr damit nicht. Sie wäre heute recht gern am Arm von Rudolf Hartenstein geschritten. Ärmelten sie die drei Schwaben doch auch häufig genug unter.
»Ihr könnt ruhig mitkommen«, wandte sie sich gnädig an die Freunde, denn die Armen taten ihr leid.
»‘sch gibt mehr Mädle hier«, meinte die Viehmuse erbost.
Neumann gab überhaupt keine Antwort. Der verdrehte bloß die Augen.
Recht war’s ihnen, wenn sie sich mopsten, warum benahmen sie sich derartig dämlich. Annemarie würdigte sie keines Blickes mehr.
Da