Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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der No­tar Münch. Kei­ne Ant­wort.

      Die Af­fä­re Wit­schi schi­en wirk­lich ver­hext zu sein.

      Jetzt hat­te Stu­der ge­meint, sie die­sen Abend we­nigs­tens ver­ges­sen zu kön­nen.

      Aber na­tür­lich: da kam man ins Café zum Bil­lard­spie­len und aus­ge­rech­net muss­te die­ser El­len­ber­ger auch hier hocken und laut über die Af­fä­re Wit­schi re­den. Dann war es na­tür­lich mit der Ruhe vor­bei…

      Der Rücken des Er­mor­de­ten auf der Fo­to­gra­fie… Der Rücken, auf dem k­ei­ne Tan­nen­na­deln haf­te­ten… Die Wun­de im Hin­ter­kopf… Die ku­rio­sen Vor­na­men der Fa­mi­li­en­mit­glie­der… Wen­de­lin hieß der Va­ter, die Toch­ter Son­ja, der Sohn Ar­min. Vi­el­leicht hieß die Mut­ter Ana­sta­sia?… Wa­rum nicht?

      Und wäh­rend Stu­der auf sei­ne Bil­lard­queue ge­stützt, dem Spie­le des No­tars zu­sah, der heu­te Abend in Form zu sein schi­en, hör­te er wie­der die an­ge­nehm dröh­nen­de Stim­me sa­gen:

      »Was macht wohl un­ser Schlumpf? Was meinst, Cot­te­reau? Ha­ben sie ihn wohl ge­schnappt, die Tschu­cker?«

      Das Wort ›T­schucker‹ gab Stu­der einen Ruck. Er war ab­ge­brüht ge­gen den Spott, dem man als Fahn­der aus­ge­setzt war. Ein­zig die­ses ver­fluch­te Wort mit dem un­an­ge­neh­men ›U‹ mach­te ihn wild. Es klin­ge so voll­ge­fres­sen, hat­te er ein­mal zu sei­ner Frau ge­äu­ßert. Und als er es jetzt aus des al­ten El­len­ber­gers Mun­de hör­te, riss es ihn her­um, und er starr­te auf den Mann.

      Er be­geg­ne­te dem Blick ei­nes Au­gen­paa­res, und die­ser Blick war un­ge­müt­lich. Stu­der hielt ihn nicht lan­ge aus. Merk­wür­di­ge Au­gen hat­te der El­len­ber­ger: kalt wirk­ten sie, die Pu­pil­len wa­ren fast schlitz­för­mig, wie bei ei­ner Kat­ze. Und die Iris blau­grün, sehr hell.

      »Re­van­che?« frag­te der No­tar Münch. Er hat­te still­schwei­gend eine Se­rie ge­macht und war jetzt fer­tig.

      Stu­der schüt­tel­te den Kopf.

      »Kennst du den dort drü­ben?« frag­te er und deu­te­te mit dem Dau­men über die Schul­ter. Der No­tar Münch schraub­te sei­nen Kopf aus dem ho­hen Kra­gen. »Den Al­ten dort? Den, der mit dem Di­cken zu­sam­men­hockt? Denk wohl!… Das ist der El­len­ber­ger. Er war heut’ bei mir. We­gen ei­nem ge­wis­sen Wit­schi… Eh, du hast doch von den Leu­ten ge­hört. Der Wit­schi, der vor ein paar Ta­gen um­ge­bracht wor­den ist. Der war dem El­len­ber­ger Geld schul­dig… Den Wit­schi hab’ ich auch ein­mal ge­se­hen…«

      Der No­tar Münch schwieg und mach­te mit sei­ner rech­ten Hand, die wie eine Flos­se aus­sah, be­schwich­ti­gen­de Be­we­gun­gen. Und als Stu­der sich um­wand­te, ge­wahr­te er den al­ten El­len­ber­ger, der dem No­tar wink­te, nä­her­zu­kom­men.

      Münch ging quer durch den Raum. Drü­ben, am run­den Tisch­chen, schüt­tel­te er dem al­ten El­len­ber­ger die Hand und wink­te dann Stu­der nä­her­zu­kom­men. Der Wacht­meis­ter wur­de vor­ge­stellt, es er­wies sich, dass El­len­ber­ger und Stu­der sich vom Hö­ren­sa­gen kann­ten. Üb­ri­gens war El­len­ber­gers Hand mit Tup­fen über­sät, die in der Far­be an dür­res Bu­chen­laub er­in­ner­ten.

      »Hat es Euch be­lei­digt, Wacht­meis­ter Stu­der, dass ich vor­hin ›T­schucker‹ ge­sagt habe? Ich hab ge­se­hen, wie Ihr ge­zuckt habt wie ein jun­ges Ross, wenn es die Gei­ßel kle­pfen hört.«

      Das sei so ähn­lich, mein­te Stu­der, wie bei den Gärt­nern, die hät­ten es auch nicht gern, wenn man sie ›Krau­te­rer‹ nen­ne. Oder nicht?

      Der El­len­ber­ger lach­te ein tie­fes Bass­la­chen, zwin­ker­te mit den fal­ti­gen Li­dern, saug­te die Lip­pen zwi­schen die Bil­ge­ren und schwieg. Sein Ge­sicht blieb eine lan­ge Wei­le starr; es wirk­te ur­alt und gro­tesk.

      Sie sa­ßen um den klei­nen Tisch und hat­ten nicht rich­tig Platz. Ne­ben ih­nen stand ein Fens­ter of­fen, es war schwül, ein hei­ßer Wind strich drau­ßen vor­bei, und der Him­mel war mit ei­ner gif­tig­grau­en Sal­be ver­schmiert.

      Die Kell­ne­rin hat­te un­auf­ge­for­dert vier hohe Glä­ser mit Bier auf den Tisch ge­stellt.

      »G’­sund­heit«, sag­te Stu­der, hob das Glas, kipp­te es in den Mund, setz­te es ab. Wei­ßer Schaum blieb an sei­nem Schnurr­bart kle­ben. »Aaah…«

      Mit Dau­men und Zei­ge­fin­ger ließ der El­len­ber­ger sein Glas lang­sa­me Tän­ze auf der Kar­ton­un­ter­la­ge aus­füh­ren. Dann frag­te er plötz­lich:

      »Wisst Ihr et­was vom Schlumpf?«

      – Er habe ihn heut mor­gen ver­haf­tet… sag­te Stu­der lei­se. – Wo? – Bei der Mut­ter.

      Schwei­gen. Der alte El­len­ber­ger schüt­tel­te den Kopf, so, als sei ihm ir­gend et­was nicht klar.

      Der No­tar Münch trom­mel­te ver­le­gen auf der Mar­mor­plat­te und schraub­te an sei­nem Hals. Der klei­ne Di­cke, der Cot­te­reau hieß und also je­ner Ober­gärt­ner war, der die Lei­che ge­fun­den hat­te, schneuz­te sich in ein großes ro­tes Ta­schen­tuch.

      Stu­der ließ das Schwei­gen über dem Tisch lie­gen und blick­te am al­ten El­len­ber­ger vor­bei durchs Fens­ter.

      »Und? Wie gehts dem Schlumpf?« frag­te der Alte böse.

      »Oh«, sag­te Stu­der ru­hig, »er hat sich auf­ge­hängt.«

      Der No­tar schmatz­te hör­bar, er blick­te sei­nen Freund Stu­der ver­blüfft an, aber der El­len­ber­ger sprang vom Stuhl auf, stütz­te die Fäus­te auf den Tisch und frag­te laut:

      »Was sagst du? Was sagst du?«

      »Ja«, wie­der­hol­te Stu­der fried­lich, »er hat sich auf­ge­hängt. Ihr scheint Euch sehr für den Bur­schen zu in­ter­es­sie­ren?«

      »Ah bah!« wehr­te der El­len­ber­ger ab. »Ich hab ihn nicht un­gern ge­se­hen. Er hat sich gut ge­hal­ten bei mir… Und jetzt ist er tot… So, so… Der Zwei­te, den die alte Hex’ auf dem Ge­wis­sen hat, sie und ihr… und ihr…« Der El­len­ber­ger un­ter­brach sich. »Also tot ist er?« frag­te er noch ein­mal.

      – Das habe er nicht ge­sagt, mein­te Stu­der und be­trach­te­te kri­tisch sei­ne Bris­sa­go. Er sei noch zur rech­ten Zeit ge­kom­men, um den Schlumpf – man kön­ne ja sa­gen: zu ret­ten, ob­wohl…

      »Also ist er nicht tot? Und wo ist er jetzt, der Schlumpf?«

      »In Thun«, sag­te Stu­der ge­müt­lich und ver­steck­te sei­ne Au­gen un­ter sei­nen Li­dern. »In Thun, in der Kisch­te.« Er, Stu­der, habe auch mit dem Un­ter­su­chungs­rich­ter ge­re­det, ein gä­bi­ger Mann, der Fall sei nicht hoff­nungs­los, aber dun­kel, dun­kel… Das sei das Elend.

      »Und das Ge­richt will


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