Römische Geschichte. Livius Titus
nicht dadurch, dass er sie bluten ließe, an die Hinrichtungen der Väter gewöhnen.
(53) Da bekamen Valerius und Horatius, welche abgeschickt wurden, den Bürgerstand unter ihm beliebigen Bedingungen zurückzurufen und das Ganze zu verabreden, den Auftrag, auch die Dezemvirn gegen jeden wütenden Angriff der Menge zu schützen. 2 Bei ihrer Ankunft empfingen die Bürger sie mit außerordentlicher Freude in ihrem Lager, als ihre unstreitigen Befreier, wie beim Ausbruch der Unruhen, so auch jetzt durch den der Sache zu gebenden Ausgang. Gleich beim Eintritt stattete man ihnen diesen Dank ab, wobei Icilius im Namen aller das Wort führte. 3 Als die Rede auf die Bedingungen kam, legte auch er den Gesandten auf ihre Frage, was die Bürger forderten, nach einem schon vor Ankunft der Gesandten verabredeten Beschluss solche Forderungen vor, dass man deutlich sah, das Volk stütze sich mehr auf die Billigkeit der Bedingungen als auf seine Waffen. 4 Sie verlangten die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt und der Ansprache, Schutzmittel des Bürgerstandes, die man schon vor Anstellung der Dezemvirn gehabt hatte; ferner, dass niemand dafür verantwortlich sein solle, wenn er Soldaten oder Bürger aufgerufen habe, die Wiederherstellung der Freiheit durch einen Aufstand zu bewirken. 5 Nur hinsichtlich der Bestrafung der Dezemvirn war die Forderung hart. Sie meinten, ihre Auslieferung verlangen zu können, und drohten sie lebendig zu verbrennen.
6 Hierauf antworteten die Gesandten: Eure Forderungen, soweit sie Folgen der ruhigen Überlegung waren, sind so billig, dass wir sie euch von selbst hätten anbieten müssen, denn ihr tragt darin auf Schutz eurer Freiheit an, nicht auf Ungebundenheit im Angriff auf andere. 7 Euren Zorn aber muss man euch mehr zugute halten als begünstigen, da ihr, gegen Grausamkeit erbittert, euch selbst in Grausamkeit stürzt und beinahe noch eher, ehe ihr selbst einmal frei seid, schon über eure Widersacher gebieten wollt. 8 Soll unser Staat sich denn nie von den Hinrichtungen erholen, welche entweder Väter über Bürger oder Bürger über Väter verhängen? Euch ist der Schild nötiger als das Schwert. 9 Der steht tief genug, der im Staat mit anderen auf gleichem Fuß leben muss, ohne ihnen Unrecht tun zu können – aber auch ohne es zu leiden. 10 Und wollt ihr euch einst als die Furchtbaren zeigen, so werdet ihr ja dann, wenn ihr nach Wiedererlangung eurer Obrigkeiten und der Gesetze über unser Leben und Eigentum Richter seid, über jeden entscheiden, wie seine Sache es mit sich bringt. Jetzt gewinnt ihr genug, wenn ihr eure Freiheit wiedererlangt.
(54) Da alle den Gesandten Vollmacht gaben, nach Gutdünken zu handeln, so versprachen diese, sie würden bald nach Erkundigung der Sache wieder zurückkommen. 2 Als sie bei ihrer Ankunft den Vätern die Forderungen der Bürger vorlegten, 3 machten die übrigen Dezemvirn, weil gegen ihre Erwartung ihrer Bestrafung gar nicht gedacht wurde, nicht die geringste Einwendung. Nur Appius, der trotzigen Sinnes war und am meisten verabscheut wurde, ermaß den Hass anderer gegen ihn nach seinem Hass gegen sie und fing an: Ich sehe mein Schicksal kommen. 4 Man verschiebt, wie ich sehe, den Kampf gegen uns, bis wir unseren Feinden die Waffen abgeliefert haben; wir sollen unser Blut dem Hass opfern. Auch ich sträube mich nicht, das Dezemvirat niederzulegen. 5 Darauf verordnete der Senat, die Dezemvirn sollten je eher je lieber ihr Amt niederlegen. Der oberste Priester Quintus Furius sollte Volkstribunen wählen, und niemand für den Aufstand der Soldaten und Bürger verantwortlich sein. 6 Nach Abfassung dieser Beschlüsse und der Entlassung des Senates traten die Dezemvirn in der Versammlung auf und entsagten ihrem Amt zu allgemeiner großer Freude. 7 Dem Bürgerstand wurden diese Nachrichten überbracht, und alles, was noch von Menschen in der Stadt vorhanden war, begleitete die Gesandten. Dieser Menge kam aus dem Lager eine ebenso frohe Schar entgegen, und beide wünschten sich zu der dem Staat wiedergegebenen Freiheit und Eintracht gegenseitig Glück.
Dann sprachen die Gesandten vor der Versammlung: 8 Unter Glück, Heil und Segen für euch und für das Ganze kehrt jetzt in die Vaterstadt zu euren Hausgöttern, Gattinnen und Kindern zurück; allein dieselbe Mäßigung, die ihr hier bewiesen habt, wo ihr euch bei so mancherlei einem so großen Haufen nötigen Bedürfnissen an niemandes Acker vergriffen habt, diese Mäßigung nehmt mit euch in die Stadt. Zieht auf den Aventin, von dem ihr ausgegangen seid. 9 Dort, an glücklicher Stelle, wo ihr den ersten Grund zu eurer Freiheit gelegt habt, sollt ihr Volkstribunen wählen. Der oberste Priester wird zugegen sein, die Wahlversammlung zu leiten.
10 Mit lautem Beifall und Frohlocken genehmigten sie alles. Sie erhoben die Fahnen, und auf dem Zug nach Rom wetteiferten sie mit den ihnen Begegnenden in der Freude. Bewaffnet, aber still, zogen sie durch die Stadt auf den Aventin. 11 Hier wählten sie sogleich unter dem Vorsitz des obersten Priesters Volkstribunen, vor allen anderen den Lucius Verginius, dann den Lucius Icilius und Publius Numitorius, den Onkel der Verginia, die Anstifter der Trennung von den Dezemvirn, 12 ferner den Caius Sicinius, einen Enkel dessen, der, wie die Geschichte sagt, der erste auf dem Heiligen Berg gewählte Volkstribun war,47 und den Marcus Duellius, der sich in seinem Tribunat vor Anstellung der Dezemvirn ausgezeichnet und in den Streitigkeiten mit ihnen dem Bürgerstand nützlich gemacht hatte. 13 Mehr in Erwartung als auf Verdienste hin wurden gewählt Marcus Titinius, Marcus Pomponius, Caius Apronius, Publius Villius, Caius Oppius.
14 Nach dem Antritt seines Tribunats beantragte Lucius Icilius sogleich beim Bürgerstand, und der Bürgerstand machte es zum Gesetz, dass niemand für den Abfall von den Dezemvirn verantwortlich sein sollte. 15 Gleich darauf setzte auch Marcus Duellius seinen Vorschlag durch, Konsuln zu wählen, von denen eine Ansprache stattfinde. Dies alles wurde in der Bürgerversammlung auf der Flaminischen Wiese verhandelt, welche jetzt die Flaminische Rennbahn heißt.
(55) Darauf wurden durch einen Zwischenkönig Lucius Valerius und Marcus Horatius als Konsuln gewählt, welche ihr Amt sogleich antraten. Sie machten sich in ihrem Konsulat beim Volke beliebt, ohne den Vätern im Geringsten Unrecht zu tun, wenn auch nicht ohne bei ihnen anzustoßen, 2 denn jede Sicherstellung der bürgerlichen Freiheit hielten diese für eine Verminderung ihrer Macht.
3 Da es bisher gleichsam als eine streitige Rechtsfrage angesehen war, ob auch die Väter durch Beschlüsse einer Bürgerversammlung gebunden wären, so machten sie es vor allen Dingen durch die Stimmen der versammelten Zenturien zum Gesetz, dass alles, was der Bürgerstand durch die Stimmen seiner Bezirke festsetzte, für das ganze Volk verbindlich sei, wodurch die Anträge der Tribunen zur schärfsten Waffe wurden.
4 Ein zweites Gesetz – einst von einem Konsul48 gegeben – über die Ansprache, diese vorzügliche Schutzwehr der Freiheit, das durch die Einsetzung der Dezemvirn umgestoßen war, stellten sie nicht nur wieder her, sondern befestigten es auch für die Zukunft durch die Aufstellung des neuen Gesetzes, 5 dass niemand irgendeine Obrigkeit wählen solle, von der man nicht Ansprache nehmen könne; wer aber eine solche wähle, den solle man nach menschlichem und göttlichem Recht zu töten befugt sein, und dieser Mord solle nicht als ein peinliches Verbrechen angesehen werden. 6 Da sie so den Bürgerstand auf der einen Seite durch die Ansprache, auf der anderen durch die tribunizische Hilfe hinlänglich gesichert hatten, erneuerten sie auch den Tribunen selbst durch eine nach langer Unterlassung wieder eingeführte Weihe die Würde der Unverletzlichen, 7 und machten sie nicht bloß durch diese heilige Feierlichkeit zu Unangetasteten, sondern auch durch ein Gesetz, in welchem bestimmt war, dass, wenn jemand Volkstribunen, Ädilen, Richtern, Dezemvirn ein Leid zufüge, dessen Haupt dem Jupiter geheiligt sein sollte, und seine Habe sollte am Tempel der Ceres, des Liber und der Libera feilgeboten werden. 8 Die Rechtserklärer behaupten, nach diesem Gesetz sei eigentlich niemand für unverletzlich erklärt, sondern nur der, welcher einem von ihnen ein Leid zufüge, mit dem Fluch belegt. 9 Daher könnten auch die höheren Obrigkeiten einen Ädilen greifen und ins Gefängnis führen lassen, und obgleich dies rechtswidrig sei – denn es geschehe ja einem Leid, dem vermöge dieses Gesetzes keins geschehen sollte –, so sei dies doch ein Beweis, dass ein Ädil nicht für unverletzlich gehalten werde. 10 Die Unverletzlichkeit der Tribunen hingegen gründe sich auf das alte, bei ihrer ersten Einsetzung von den Bürgern49 beschworene Recht. 11 Nach anderer Auslegung enthält dieses Horazische Gesetz auch eine Sicherstellung der Konsuln und Prätoren, deren Wahl, so wie die der Konsuln, der Vogelflug genehmigen müsse, denn unter der Benennung der Richter werde hier der Konsul verstanden. 12 Diese Erklärung wird dadurch widerlegt, dass es in jenen Zeiten wohl noch nicht Sitte gewesen sein möchte, den Konsul Richter, sondern Prätor zu nennen.
13 Dies waren die von den Konsuln gegebenen Gesetze. Dieselben Konsuln verfügten auch, dass die Senatsbeschlüsse