Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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Der Brief war zwar in respektvollen, aber doch auch in zärtlichen Ausdrücken geschrieben. Mir kam er zu frei vor, denn Osio trug mir darin, wenn auch in verblümter Weise, seine Liebe an und gab mir zu erkennen, daß er hoffte, ich würde ihm ein Stelldichein bewilligen. Ich schrieb zurück und verwies ihm seine Zudringlichkeit. Ich fragte ihn, wie er es wagen könne, mir seine Huldigung darzubringen, und deutete ihm an, daß er es bereuen würde, wenn er fortführe, mich zu belästigen.

      Osio beratschlagte sich mit seinem vertrauten Freunde, dem Priester Arrigone, wie er sich bei mir entschuldigen und insinuieren könne. Arrigone riet ihm, mich durch einen Brief voll Reue und Demut zu täuschen. Osio schrieb in diesem Sinne und bat mich um Vergebung wegen seiner Kühnheit. Dieser Brief wurde an einen Faden befestigt, den ich vom Fenster hinabließ, und dann von mir heraufgezogen. Ich freute mich, daß er seinen Fehler eingesehen hatte und so zerknirscht an mich schrieb. Seine Mutter schickte mir seidene Blumen von Bologna, Moschuskugeln und andere Dinge als Geschenke. Ich wußte aber recht gut, daß eigentlich Osio der Geber war. Den Priester Arrigone sah und sprach ich öfters; anfänglich erzählte er mir viel von Osio, dann aber sagte er mir, daß er selbst ihm die Briefe an mich diktiert habe und daß er von Liebe zu mir entbrannt sei. Ich verbat mir diese Sprache und wandte ihm den Rücken. Dagegen gewährte ich das von Osio an mich gestellte Ansuchen, ihm im Sprechzimmer eine Zusammenkunft zu gewähren. Schwester Ottavia warf auf mein Geheiß die Schlüssel über die Mauer in seinen Garten, und mit ihrer Hilfe kam er eines Nachts in das genannte Zimmer. Ich war durch ein doppeltes Gitter von ihm geschieden und hörte ihn nur an. Er bat mich um Verzeihung wegen der Tötung des Molteno und zeigte die größte Bescheidenheit in allem, was er sprach.

      Ich sah ihn dann noch ein zweites Mal im Sprechzimmer, und es kam mir vor, als fühlte ich mich durch Zauberei zu ihm hingezogen. Von da an mußte ich immer an jenes Fenster in Schwester Candidas Zelle treten, um ihn zu sehen. Es trieb mich dazu eine diabolische Kraft, auch wenn ich mir fest vornahm, es nicht wieder zu tun. Ich erinnere mich, daß ich mir einmal, als Schwester Ottavia mir meldete, Osio sei im Garten und schaue herauf zu dem Klosterfenster, Gewalt antat und nicht an das Fenster hinanging, aber ich mußte wenigstens auf einen Kasten steigen, um ihn von da aus zu erblicken, während er mich nicht sehen konnte. Ich war sehr unwillig über mich selbst und flehte Gott um Beistand an in dieser Versuchung. Es half mir aber nichts, sein Bild stand mir Tag und Nacht vor den Augen, ich konnte nicht von ihm lassen. Ich raufte mir die Haare aus und trug mich sogar mit Selbstmordgedanken, aber immer von neuem und immer mächtiger trat der Versucher an mich heran. Ich bin überzeugt, daß Zauberei gegen mich angewendet worden ist und teuflische Kunst mich berückt hat. Im Sprechzimmer reichte mir Osio einen Gegenstand durch das Gitter und ließ mich ihn mit der Zunge berühren, indem er vorgab, es sei eine heilige Reliquie. Es war aber, wie er mir nachher gestanden hat, ein Magnet und ist vielleicht das Zaubermittel gewesen, das er benutzt hat, um mich zu verführen. Als ich noch gegen die in mir aufkeimende Leidenschaft kämpfte, fing der Priester Arrigone von neuem an, mir Liebesanträge zu machen und Liebesbriefe zu schreiben. Ich zerriß die letzteren vor seinen Augen und sagte ihm sehr deutlich, daß er nicht die mindeste Hoffnung hätte, jemals von mir erhört zu werden. Darauf begann er um die Liebe der Schwester Candida zu werben, er brachte sie wirklich dahin, daß sie ihm im Sprechzimmer wiederholt des Nachts ein Stelldichein gab und seine Geliebte wurde. Unser Faktor Domenico besorgte den Briefwechsel zwischen beiden, mich aber empörte diese Falschheit, ich setzte durch, daß Domenico aus dem Kloster entlassen wurde, und deshalb warf Arrigone einen tödlichen Haß auf mich.

      Bis dahin war zwischen Osio und mir noch kein anderes Unrecht vorgekommen, als daß ich mit ihm heimlich zusammengekommen 5 war und mit ihm gesprochen hatte. Einmal bat er mich, ich sollte ihm in der Nacht hinter der kleinen Klosterpforte ein Stelldichein geben. Unter dem Einfluß der Zauberei gestand ich es zu, machte aber die Bedingung, daß dies die letzte Zusammenkunft sein sollte. Schwester Ottavia hob die eiserne Stange, die die Pforte verschloß, in die Höhe, öffnete und führte Osio zu mir. Wir plauderten miteinander, während Ottavia in der Nähe blieb. Osio betrug sich sehr anständig und nahm sich auch in allem, was er sprach, sehr zusammen. Als er sich entfernte, fragte er, ob er in den nächsten Tagen wiederkommen dürfte. Ich erlaubte es. Es verging aber eine längere Zeit, er wurde sehr ungeduldig und bestürmte mich, ihn nicht so lange warten zu lassen. So kamen wir wiederum in der Nacht hinter der Klosterpforte zusammen und unterhielten uns über Verschiedenes. Beim Fortgehen wurde Osio zudringlich und tat mir eine Beleidigung an. Ich eilte davon und ließ ihn flehen.

      Ich betete fleißig und geißelte mich bis auf das Blut, um der Versuchung zu widerstehen und von dem Menschen loszukommen. Ich beschloß, ihn nie wiederzusehen und jede Gelegenheit dazu zu meiden. Aber der Teufel zog mich doch von neuem zu ihm hin und folterte mich in meinem Gemüte so, daß ich bei meinem Entschlusse nicht beharren konnte und wieder hin zu ihm mußte. Ich kehrte zurück zur Klosterpforte, Osio wartete auf mich, er schloß mich in seine Arme, und ich verfiel der Sünde. Darüber wurde ich ganz schwermütig und krank, so daß ich drei Monate lang zu Bett liegen mußte. Osio hörte unterdessen nicht auf, mir Briefe zu schreiben und mich zu bitten, ich möchte ihm den Eintritt in das Kloster und in meine Zelle gestatten. Als ich ihm erwiderte, daß ich mich der Strafe der Exkommunikation aussetzte, wenn ich dies täte, schickte er mir ein Buch, das von Gewissenssachen handelte. Darin stand, daß es nicht mit dem Kirchenbanne bestraft werde, wenn ein Mann in ein Nonnenkloster hineingehe, wohl aber, wenn eine Nonne aus ihm herausgehe. Das Buch hatte Osio vom Priester Arrigone geliehen erhalten. Nachdem ich es gelesen hatte, willigte ich ein, daß Osio mich im Kloster besuchte. Er kam nun oft und blieb Tag und Nacht in meiner Zelle. Nach einiger Zeit fühlte ich, daß ich schwanger war. Ich wurde von einem toten Knäblein entbunden. Ich erkrankte, bekam ein Fieber, das mich drei Jahre lang nicht verließ, und hatte große Gewissensunruhe. Um endlich von diesem sträflichen Umgange loszukommen, verkaufte ich mein Silberzeug und ließ der Madonna di Loretto eine Votivtafel anfertigen, auf der eine Nonne dargestellt war, die, ein Knäblein im Arme, auf ihren Knieen lag und weinte. Ich gelobte späterhin der Madonna noch zweimal Opfergaben, wenn sie mich von dieser sündhaften Leidenschaft befreien wollte. Es half aber nichts, die Zauberei war zu mächtig, ich setzte den Verkehr mit Osio fort und gebar eine Tochter.«

      Virginia versicherte weiter, daß sie keinen Teil habe an den Verbrechen, die von Osio gegen die Schwestern Catterina, Ottavia und Benedetta verübt worden seien. Schwester Catterina sei allerdings auf ihr Geheiß eingesperrt worden und habe gedroht, ihr Verhältnis zu Osio zur Anzeige zu bringen. Sie, Virginia, sei mit den anderen Schwestern in ihr Gefängnis gegangen, um ihr gut zuzureden, diese Drohung nicht auszuführen. Catterina aber habe hochmütig geantwortet, sie werde Virginia und ihren Geliebten doch ins Verderben stürzen. Nun sei der mitanwesende Osio in Zorn geraten und habe sie erschlagen. »Ich würde«, beteuerte sie, »niemals, und wenn es der Kaiser verlangt hätte, meine Zustimmung dazu gegeben haben, daß jemand ein Übel zugefügt würde.«

      Am 19. Februar 1608 wurde Virginia gefoltert und unter Anlegung eines den Daumenschrauben ähnlichen Instruments (sibili) aufgefordert, anzugeben, ob sie in ihren früheren Verhören die lautere Wahrheit gesagt habe. Sie rief: «Ich bestätige alles, es ist die reine Wahrheit. Bindet mich los, ihr tut mir sehr weh, ich kann nicht mehr!« Sie wurde losgebunden und unterschrieb das über die Verhandlung aufgenommene Protokoll.

      Hiermit schließen die Akten der Voruntersuchung, und es folgen die Urteile, zuerst das vom 18. Oktober 1608 gegen Virginia allein. Mannerio Lancilotto, apostolischer Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflichen Kurie zu Mailand, verkündigte in Gegenwart des Notars Gerolamo Bolino, sowie des Pietro Barca, Doktors der Theologie und Kanonikus an dem Kollegiatstift di Santo Ambrogio, und des Priesters Antonio Mazinelle, Pflegers des Hospitals di Santo Ambrogio zu Mailand, das Urteil, welches folgendermaßen lautete: »Nach wiederholter Anrufung des Namens Christi und Gott vor Augen erkennen wir nach Anhörung des Rates Sachverständiger und unter deren Zustimmung die Schwester Virginia für überführt, nicht allein durch viele Zeugen, sondern auch durch ihr eigenes Geständnis, daß sie viele schwere und abscheuliche Verbrechen begangen hat, und verurteilen sie, indem wir sie mit Rücksicht auf die heiligen Kanones und päpstlichen Konstitutionen mild behandeln, zur Strafe der lebenslänglichen Einkerkerung in dem Kloster di Santa Valeria zu Mailand in der Weise, daß sie dort in einem kleinen Gefängnis eingemauert werde, so daß nur eine kleine Öffnung in der Wand bleibt, durch die ihr das Erforderliche gereicht


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