Ich erfinde mich jeden Tag neu. Angelika Kirchschlager

Ich erfinde mich jeden Tag neu - Angelika  Kirchschlager


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meiner Hochzeit, und noch später hat er mich bei einigen meiner Premieren besucht. Ich denke, ich war für ihn wie die Tochter, die er nie hatte.

      Aber irgendwie haben wir uns schließlich mehr und mehr voneinander entfernt, weil unsere Ansichten in vielen Bereichen des Lebens doch allzu sehr divergierten, was wohl auch an unserem Altersunterschied lag. Eines Tages saß ich dann in Frankfurt auf dem Flughafen und habe in der Neuen Zürcher Zeitung seine Todesanzeige gelesen.

       Andrea, Ursel, Anthering, Bier

       und schwarze Fingernägel

      Habe ich vorhin erzählt, dass ich brav war? Tja, das stimmt natürlich nur zum Teil, denn Andrea und Ursel, meine damals besten und heute noch sehr guten Freundinnen, und ich, wir konnten auch anders. Mit den Mofas, ich hatte ein Puch Maxi und somit leider auch das langsamste Mofa unserer Clique, sind wir ins benachbarte Bayern nach Freilassing gefahren, haben Zigaretten gekauft, weil die dort billiger waren, sind danach zurück nach Salzburg und dann weiter nach Anthering getuckert, wo wir an vielen Wochenenden die Nachmittage und Abende verbracht und uns mit der Antheringer Jugend das erste Mal in unserem jungen Leben so richtig ausgetobt haben. Die Andrea lebte dort, und schließlich habe auch ich in Anthering zum ersten Mal einen Burschen geküsst. Hubert hieß er, im Freibad war’s, und dann bin ich ein paar Wochen mit ihm gegangen, wie das damals so schön hieß. Ich hingegen fand diese Formulierung immer schon grauenhaft.

      Verliebt war ich allerdings vorher schon. In einen jungen Burschen aus unserer Schule. Der mochte keine Mädchen, die rauchten, also wäre ich eigentlich durchaus eine Kandidatin für ihn gewesen, aber er interessierte sich nicht wirklich für mich. So »passierte« meine erste Zigarette mehr oder weniger aus Trotz und aus Protest und gemeinsam mit der Ursel unter der Eisenbahnbrücke nahe der Schule. Eine Memphis war’s, und danach war mir wider Erwarten nicht im Geringsten schwindlig. Also habe ich auch keinen Grund gesehen, nicht mit dem Rauchen anzufangen. Und wenn ich heute so darüber nachdenke und mich frage, warum ich immer noch rauche, so gebe ich mir diese Antwort: Nicht zuletzt noch immer aus Protest. Es ist der Protest gegen das in meiner Branche mehr und mehr überhandnehmende (angebliche) Diszipliniertsein-Müssen. Meiner Stimme hat das Rauchen übrigens nie geschadet, zumal ich nie wie ein Schlot geraucht habe, sondern hauptsächlich in Gesellschaft und/oder mit einem möglichst guten Glas Wein in der Hand.

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      Ein Foto, entstanden im Zuge eines Shootings an der Staatsoper, das die Künstler privat zeigen sollte. Das »Zickig«-Leiberl hatte Angelika von ihrer Schwester Lissi geschenkt bekommen.

      Zur Zeit der ersten Zigaretten hat sich auch mein Musikgeschmack zwischenzeitlich ziemlich verändert. Das Mädchen, das – geprägt vom Elternhaus und vom Singen im Chor – fast nur Klassik gehört hatte, schwärmte plötzlich für Supertramp, Deep Purple, Konstantin Wecker, Queen, Ludwig Hirschs »Dunkelgraue Lieder« und vor allem für Neil Young. Lange Zeit war »Heart of Gold« mein absolutes Lieblingslied.

      Und gut angezogen war ich auch nicht mehr immer. Amihosen kamen in Mode und PLO-Tücher. Dazu T-Shirts mit den seltsamsten Aufdrucken. Und die Fingernägel habe ich mir schwarz lackiert. In diesem Aufzug saß ich dann eines späten Vormittages mit Ursel und Andrea statt in der Schule im Gastgarten vom Stieglkeller, habe Bier getrunken und war unvorsichtig. Denn ich hätte eigentlich ahnen können, dass ich, wenn ich später durch die Getreidegasse gehe, Gefahr liefe, irgendjemanden zu treffen, der meine Eltern kennt. Und dann habe ich ausgerechnet meine Mutter getroffen. Ich, bereits gegen Mittag ein ganz klein wenig beschwipst und außerdem schulschwänzend, war schlagartig nüchtern und vermutlich leichenblass. Wider Erwarten hat mir meine Mutter keinen Skandal gemacht. Sie hat’s einfach zur Kenntnis genommen. Natürlich wenig erfreut, aber doch. Wie sie auch zur Kenntnis genommen hat, dass ich mit sechzehn meinen ersten richtigen Freund hatte. Einen Freund, mit dem ich nicht nur Händchen hielt und heimlich schmuste.

      Alexander hieß er, ein Sohn aus sehr gutem Haus und ein Jahr älter als ich, und dieser Bursche war mit ein Grund, warum ich später nach Wien ging, wo er während meines Maturajahres bereits Medizin studierte. Wir waren zusammen, bis ich 22 war, und dieser Alexander, den ich über meine Freundin Andrea kennengelernt hatte, wird uns in diesem Buch zumindest noch ein Mal begegnen.

       Der Papst, das Handtuch, Riccardo Muti,

       die Besenkammer und ich

      In die Zeit, in der ich noch ausgesprochen brav war, fällt auch mein erster von drei Besuchen beim Papst. Ich war fünfzehn und Mitglied einer gut 200 Jugendliche umfassenden Gruppe, die zu einer organisierten Gebetswoche nach Rom aufgebrochen war. Trifft sich gut, dachte ich, denn nach Rom wollte ich ohnehin unbedingt einmal, und das Beten habe ich dafür gerne in Kauf genommen. Dass dann allerdings gleich so viel gebetet wurde und täglich mehrere Messen gelesen wurden, das konnte ich nicht wissen. Von Rom habe ich dennoch ziemlich viel gesehen – meine Gebete wurden also erhört …

      Höhepunkt der vatikanischen Mission war eine Privataudienz in Castel Gandolfo, und ausgerechnet ich wurde auserkoren, Johannes Paul II. den Gruß aus Österreich zu überreichen. Eine Schallplatte war es, keine Ahnung mehr, was für eine, und keine Ahnung auch, warum ausgerechnet ich vorgeschickt wurde. Aufgedrängt habe ich mich nicht, vielleicht lag es an meinem angeblich so gewinnenden Jungmädchen-Lächeln.

      Da stand ich dann also vor dem Papst, im Dirndl und mit den langen Zöpfen, habe ihm die Platte überreicht, und er hat mich gesegnet. Das hat offensichtlich ziemlichen Eindruck bei mir hinterlassen, denn als ich wieder in Salzburg war, habe ich die Sache mit dem Beten mit ziemlicher Intensität weiterverfolgt und bin auch regelmäßig in die Kollegienkirche gegangen, in der die Veranstalter unserer römischen Gebetswoche Messen abgehalten haben. Meine Eltern jedenfalls machten sich bereits ernsthafte Sorgen, ich könnte einer Sekte beigetreten sein.

       Angelika war 15 Jahre alt, als sie anlässlich einer Gebetswoche in Rom Papst Johannes Paul II. eine Schallplatte aus Österreich überreichen durfte. »Was für eine das war, weiß ich allerdings nicht mehr.«

      Von Sekte konnte freilich keine Rede sein, und das Beten habe ich nach einem halben Jahr auch wieder sein lassen und bin stattdessen dem Kirchenchor der Franziskanerkirche beigetreten.

      Länger als das Beten sind mir zwei Menschen geblieben, die ich zu dieser Zeit in Rom kennengelernt hatte und die mir heute noch sehr enge Freunde sind. Dass die beiden ausgerechnet Maria und Josef heißen, erwähne ich nur ganz nebenbei … Und deshalb, weil Maria wenig später mitverantwortlich sein sollte an einem stundenlangen nächtlichen Spaziergang, auf den ich noch zu sprechen komme.

      Ein tief religiöser Mensch bin ich heute nicht. Und war es auch nicht, als ich 1998 zum zweiten Mal unterwegs zum Papst war. Karol Wojtyla hat in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Dienstjubiläum gefeiert, und ich war eingeladen, für den Papst zu singen. Freilich nicht vom Papst persönlich, sondern vom Dirigenten Riccardo Muti. Muti war auserwählt worden, diesen feierlichen Anlass musikalisch zu gestalten, und da wir uns damals künstlerisch sehr nahestanden, nachdem wir viele Jahre gemeinsam am Theater an der Wien Mozartopern gemacht hatten, hatte ich die große Ehre, seine Solistin sein zu dürfen.

      Wir haben uns in Mailand in ein eigens für uns gechartertes Flugzeug gesetzt, er erste Reihe Platz A, ich erste Reihe Platz E, das war so üblich, hinter uns die Orchesterleiter und hinter ihren Chefs das Orchester der Mailänder Scala. Und ab ging’s nach Rom. Im Gepäck hatten wir Nicola Porporas »Salve Regina«, ein rund zwanzig Minuten langes Stück für Mezzosopran oder Alt und Orchester. Das hatten wir im Repertoire, da Muti und ich dieses Stück schon


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