Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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weil Tränen ihr den Blick verdunkelten. War sie nicht auch so hilflos gewesen wie dieser Mann? So verwöhnt und gar nicht fähig auf eigenen Füßen zu stehen?

      Sie hatte nur Glück gehabt, weil sie einen Mann fand, der ihren Eltern entsprach und der das fortsetzte, was sie bis zu ihrer Heirat von ihren Eltern empfangen hatte.

      Sie wollte diese Briefe, die sie zu Tränen rührten, nicht mehr lesen.

      Deine Großeltern haben deinen Vater geliebt, aber nicht verstanden, Sabine, dachte sie. Ich kann mit dir fühlen. Ich will deine Mutter sein, und ich werde dich verteidigen.

      Aber dann zwang ein fremder Wille ihr auf, auch das schmale Kästchen zu öffnen, und darin fand sie einen breiten goldenen Ring und eine Kette mit einem Anhänger, auf dem eingraviert war: Stefan und Erika.

      Und zusammengefaltet war ein Kärtchen daruntergelegt.

      Mein Kind, verdamme mich nicht. Ich habe Deinen Vater geliebt. Er starb, bevor ich ihm sagen konnte, dass Du geboren bist. Du darfst an ihn denken als den besten Menschen, der mir in meinem Leben begegnete.

      Als Anschi alles wieder in die Tasche zurücklegen wollte, sah sie noch einen Umschlag. Er war an Stefan Behrend adressiert, an die Kölner Anschrift. Diese war mit Blaustift durchgestrichen, und der Umschlag trug den Stempel: »Zurück an Absender, Adressat verstorben.«

      Ganz amtlich, völlig gefühllos. Nun nur noch ein Dokument, von einer jetzt längst Toten geschrieben. Diesen Brief öffnete Anschi nicht. Das sollte Stefan Behrends Vater vorbehalten bleiben. Er oder seine Frau hatten den Brief zurückgehen lassen, als wäre er nichts als irgendeine Drucksache.

      Er hat kein Recht an diesem Kind, dachte Anschi. Das hat er verwirkt, weil er seinen Sohn gar nicht kannte.

      *

      Inge Auerbach trat an das Bett, in dem Otto Behrend völlig leblos lag. Sie ergriff besorgt seine Hand und fühlte den schwachen Puls.

      Schnell ging sie die Treppe hinunter.

      »Sei so lieb, Werner, und rufe Dr. Riedel«, sagte sie.

      Werner Auerbach ließ die Zeitung, in der er gelesen hatte, fallen.

      »Was ist mit ihm, Ingelein?«, fragte er.

      »Er ist krank. Er ist ein müder, kranker Mann«, erwiderte sie leise.

      Dr. Enno Riedel war längst auf den Beinen. Er machte mit seinem Sohn Jerry Morgengymnastik im Garten, der noch von frischem Reif bedeckt war.

      »Und nun tief einatmen, Jerry«, sagte er gerade, als Werner Auerbach kam. »Nanu, Werner! Willst du etwa mitmachen?«

      »Komm doch mal rüber zu uns, Enno. Wir haben einen Patienten«, erwiderte Werner.

      »Aber Bambi ist doch nicht krank?«, mischte sich Jerry erschrocken ein.

      »Nein, Bambi nicht.«

      Dr. Riedel zog sich in Windeseile um, und auf dem kurzen Weg zu Auerbachs Haus erzählte ihm Werner rasch das Notwendigste.

      Dr. Riedel konnte seine Diagnose schnell stellen. Akute Kreislaufschwäche.

      »Die Geschichte gestern muss ihm mächtig zugesetzt haben«, bemerkte er. »Kann er noch einen Tag bei euch liegen? Er wird bald wieder auf den Beinen sein. Viel zu schleppen hat er ja nicht. Er ist sogar ein bisschen zu mager. Dabei sieht er nicht aus, als wäre er ein armes Luder.«

      »Steinreich soll er sein«, erklärte ihm Werner Auerbach.

      »Man sieht’s wieder, Geld allein macht auch nicht glücklich. Da sind wir schon besser dran, was, Werner?«

      »Das kann man wohl sagen.«

      »Gebt ihm ein kräftiges Süppchen, wenn er aufwacht. Ein paar Stunden wird er noch schlafen. Ihr seid eine wahre Rettungsstation. Deine Inge kannst du in Gold fassen lassen.«

      »Ach was! So lebendig und mit Haut ist sie mir lieber«, schmunzelte Werner Auerbach.

      Bambi gab sich indessen wieder mal tiefsinnigen Betrachtungen hin.

      »So ein armer alter Opa«, sagte sie. »Warum mögen sie ihn eigentlich nicht, Mami?«

      Sie dachte natürlich, er sei Stefan Behrends Vater, weil er den gleichen Namen hatte, und Inge mochte ihr die Zusammenhänge nicht erklären, um ihre ohnehin schon zu rege Phantasie nicht noch mehr in Schwung zu bringen.

      »Manchmal sind es ganz kleine Dinge, die Menschen nicht zueinanderfinden lassen, Bambi«, erwiderte sie. »Aber du verstehst dich doch so gut mit Sabine. Vielleicht kannst du ihr mal sagen, dass er ein armer alter Opa ist, zu dem man nett sein muss.«

      »Sabine ist doch sonst nicht so«, meinte Bambi. »Sie hat es doch gern, wenn man sie liebhat. Sie hat mal zu mir gesagt, dass früher sie keiner richtig liebgehabt hat. Wer ist nun eigentlich ihr Papi?«

      »Ihre Eltern sind tot, Bambi«, erklärte Inge mit Nachdruck.

      »Ganz bestimmt? Haben sie sie nicht nur im Stich gelassen?«

      »Wie kommst du darauf?«

      »Gestern war im Seeblick ein Taxifahrer, und der hat erzählt, dass eine Frau Sabine ins Taxi gesetzt und gesagt hat, sie soll jetzt zu ihrem Vater fahren. Er war sehr neugierig, aber Carla hat gesagt, dass sie überhaupt nichts weiß. Da denkt man sich natürlich was.«

      Bambi dachte sich bei allem etwas, aber sie konnte in schwierigen Fällen auch eine große Hilfe sein, weil sie einen Instinkt dafür hatte, immer das Richtige zu tun. Und so meinte Inge Auerbach, dass sie auch diesmal eine tatkräftige Vermittlerin zwischen Sabine und ihrem Großvater sein könnte.

      So ganz nebenbei machte sie einige Andeutungen, die Bambi sehr zu Herzen gingen, und sie war sicher, dass Bambi sie auf ihre Weise Sabine mitteilen würde.

      *

      Heute ließ Sabine sich jedoch nicht blicken. Sie musste im Bett bleiben, denn sie hatte sich doch tüchtig erkältet. Es schien ihr auch recht zu sein, denn am liebsten wollte sie niemanden sehen, außer den Familienmitgliedern. Nicht mal Bambi, weil sie sich entsetzlich schämte, dass sie ganz Erlenried auf sich aufmerksam gemacht hatte.

      Anschi dachte darüber gar nicht nach. Sie war nur froh, dass Sabine wieder da war und, abgesehen von der Erkältung, keinen Schaden genommen hatte.

      Auch ihre Eltern sprachen nicht über die Geschehnisse des gestrigen Tages. Es schien eine geheime Übereinkunft zwischen ihnen zu bestehen, nicht daran zu rühren.

      Am Nachmittag verließ Herbert Kerst das Haus mit der Ankündigung, er wolle einen Spaziergang machen. Aber Anschi und Norma ahnten, dass er sich um Otto Behrend kümmern wollte.

      »Ein bisschen peinlich ist es mir schon, dass Auerbachs ihn aufgenommen haben«, sagte Anschi.

      »Nun krieg mal keine Komplexe. Wir haben Herrn Behrend nicht hergebeten.«

      »Aber Paps hat ihn mitgebracht. Und Paps hat ein weiches Herz.«

      Dem konnte Norma Kerst nicht widersprechen, aber für sich dachte sie doch, dass Herbert zusehen musste, wie er mit Otto Behrend klarkam.

      Sie konnte nicht wissen, wie tief beschämt ihr Mann über der rührenden Fürsorge war, die Otto Behrend im Haus Auerbach zuteil wurde.

      Der alte Herr selbst wusste auch nicht, wie ihm geschah. Nachdem er aufgewacht war, setzte Bambi sich zu ihm und leistete ihm Gesellschaft.

      »Jetzt geht’s bald wieder aufwärts«, erklärte sie mit ihrem bezwingenden Lächeln. »Mami kann einen schnell gesund machen.«

      »Du hat eine sehr liebe Mami«, sagte Otto Behrend leise.

      Bambi nickte eifrig. »Das wissen wir. Weißt du schon, dass wir vier Kinder sind?«

      »Vier?«, staunte er.

      »Der Älteste ist Jörg. Der ist mit seiner Frau in Kanada. Er hat eine ganz prima Stellung, und Stella, das ist seine Frau, bekommt auch bald ein Baby. Vielleicht besuchen


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