Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman. Kathrin Singer
Roserl über alles liebt! Sie ist doch das einzige, was mir noch geblieben ist, nachdem…«
Der kluge Arzt wußte, was Martin sagen wollte. Aber er konnte es nicht verstehen. »Roserl muß ins Spital zur Beobachtung. Am liebsten wär mir, wenn du sie noch heut hinbringen könntest!« fuhr er ruhig fort, als hätte Martin überhaupt nichts gesagt.
Der junge Bauer stützte den Kopf auf und schloß einen Augenblick lang die Augen. Er dachte angestrengt nach.
Vielleicht war es wirklich im Moment das beste. Die Ernte stand bevor, er würde sich um sein Töchterchen nicht kümmern können. Die Eltern hatten bei diesem Herbstwetter alle Hände voll zu tun mit den Gästen. Ja, es war wohl gscheiter, dem Rat des Arztes zu folgen.
Endlich sah Martin dem klugen Mann in die Augen. »Gut, Doktor Baumann. Ich werd tun, was Sie sagen.«
Sie brachten Rosemarie gemeinsam ins Spital und das Kind erholte sich allmählich. Später erfuhr Martin, daß Roserl knapp an einer Lungenentzündung vorbeigekommen war und war zutiefst erleichtert, daß er sich dem Wunsch des Dorfarztes gebeugt hatte.
Fast einen Monat lang blieb das Mädchen in der Kinderabteilung des Spitals. Es wurde schnell der Liebling der Schwestern, die sich rührend um das still gewordene Kind kümmerten.
Endlich war es soweit. Das Erntedankfest war vorüber, Martin konnte die restlichen Arbeiten weitgehend dem fleißigen Gesinde überlassen und sich nun darauf freuen, sein gesundes Töchterchen heimzuholen.
Anna und Franzl Achner schmückten liebevoll das Kinderzimmer. Es sollte eine kleine Überraschung für Roserl sein. Plötzlich entdeckte die Bäuerin eine ungeöffnete, in lustiges Papier gewickelte Schachtel, die verloren am Boden des Kleiderschranks stand. Anna hatte ein neues Dirndl für Roserl herausnehmen wollen, als ihr Blick an der Schachtel hängenblieb.
»Franzl, schau, was ich gefunden hab.« Ratlos stellte sie die bunte Schachtel auf den kleinen runden Tisch. »Ob ich’s öffnen soll? Vielleicht hat Martin sich ebenfalls eine Überraschung ausgedacht, dann wär’s net recht, gell?« Sie sprach mehr zu sich selbst als zu ihrem Mann.
Der Altbauer lächelte und meinte: »Laß es nur zu. Du wirst schon sehen, was drin ist, wenn Roserl die Schachtel aufmacht.«
Anna zupfte zweifelnd an ihrem weißen Haarknoten herum. »Ich weiß net. Martin hat noch niemals was für das Kind gekauft, das war stets nur Josephas Sache!«
Franzl zuckte mit den Schultern, stieg auf den Stuhl und befestigte eine Blumengirlande über der Tür. »Mach, was du willst. Ich tät’s zu den Blümeln legen.«
Hätte die Bäuerin gewußt, was sie damit anrichtete, wäre sie dem Rat ihres Mannes nicht gefolgt!
»Großmutter, Großvater! Wir sind da!« rief Roserl glücklich aus, als sie die geliebten Menschen in ihrem Zimmer entdeckte.
Martin hielt sich lächelnd im Hintergrund und wartete die herzliche Begrüßung geduldig ab. Ein weicher Zug um die Lippen ließ sein Gesicht wieder jung und zufrieden ausschauen.
Als Rosemarie wieder zu Atem gekommen war, sah sie sich sorgfältig um. Zwar hüpfte und jauchzte sie nicht vor Freude wie vor ihrer Krankheit, aber jeder konnte sehen, wie froh sie war! »Oh, wie schön habt ihr alles gemacht!« Sie klatschte leicht in die Hände, trat an den Tisch, auf dem die runde Vase mit dem üppigen Wiesenblumenstrauß stand, strich mit dem Zeigefinger über das lustige Papier der Schachtel. »Ist das für mich?« fragte sie zaghaft.
Martin horchte auf, sah überrascht von einem zum andern. »Was habts euch denn da ausgedacht, Mutter?« fragte er augenzwinkernd.
Nun war es an Anna, sich zu wundern. »Ich dachte, du…«
In diesem Augenblick hatte Roserl die Schachtel bereits geöffnet, nahm vorsichtig den Teddy heraus und drückte ihn selig an ihre Brust. »Der ist aber schön, mei, ist der lieb!«
Als der junge Vater begriff, daß niemand von ihnen dieses Geschenk gemacht hatte, wollte er es dem Kind entreißen, doch Anna stellte sich drohend vor ihn hin und zischte ihm zu: »Laß ihr die Freud! Mach jetzt keinen Fehler, Bub!«
Glücklicherweise war Roserl so sehr mit ihrem »Bertl« beschäftigt, daß sie von dem seltsamen Gebaren ihres Vaters nichts bemerkte.
Martin war bei der Erinnerung an Josepha blaß geworden. Ihretwegen hatte sein Töchterl leiden müssen und damit auch er! Das würde er niemals verwinden. Dieser Teddy konnte nur von ihr sein, sie mußte ihn heimlich ins Zimmer gelegt haben, bevor sie das Haus verlassen hatte.
Merkwürdig, dachte er plötzlich, damals, als ich sie aus der Stadt geholt hatte, glaubte ich wirklich, sie wäre so sanft und liebevoll, wie ich mir meine Marianne gewünscht hatte! Vor seinem geistigen Auge sah er Josephas leises Lächeln, ihren verständnisvollen Blick, hörte den hellen Klang ihrer warmen Stimme.
Der Bursch fuhr sich verwirrt über die Augen.
»Vater, wo ist Sepherl?« Rosemarie sah ihren Vater abwartend an, den Teddy noch immer vor der Brust.
»Sepherl? O ja, Josepha ist in der Stadt. Ich weiß net, wann sie wiederkommt, Liebes!« wand er sich. »Komm, Roserl, die Großmutter hat einen feinen Kuchen gebacken, den wollen wir jetzt anschneiden, gell?«
Doch das Kind rührte sich nicht. Die Enttäuschung war zu groß. »Warum ist Sepherl in der Stadt?«
Die Falten auf Martins Stirn kündeten nichts Gutes an.
Die Bäuerin nahm ihm die Antwort ab. Sie schob das Mädchen aus dem Zimmer, während sie ihm verschwörerisch zuflüsterte: »Ich möcht dir gschwind etwas zeigen, Roserl! Da wirst Augen machen!«
Für kurze Zeit war das Kind von dem Gedanken an Josepha abgelenkt.
Der Bäuerin war das winzige Kälbchen eingefallen, das ihr der Xaver am Morgen stolz gezeigt hatte und nun hoffte sie innig, daß Rosemarie zumindest für einige Zeit Josepha vergessen würde!
*
Niemand hatte die schmale Gestalt bemerkt, die das Haus im Schutz der Stallgebäude beobachtete.
Josepha war glücklich, daß sie Roserl gesund wiedersehen durfte – wenn auch nur aus der Ferne!
Der heimlich geliebte Martin erschien ihr sehr verändert, wie er so mit dem Dirndl umging. Wie liebevoll hatte er es an sich gedrückt, als er es vom Zweispänner hob!
Tieftraurig huschte Josepha in den dichten Wald, der ihr in den letzten Wochen zum einzigen Trost geworden war.
Sie mied den Weg über den Hirschbichl, der dem Achnerhof zum Schicksal geworden war, und stieg über die Senneralm zum Nachbardorf, wo sie inzwischen eine Stellung gefunden hatte.
»Wo warst denn wieder?« wurde sie unwirsch vom vierschrötigen Wirt des Dorfkrugs empfangen. »War ganz schon viel los zur Mittagszeit. Du hast gefälligst dazubleiben, bis ich dir freigeb.«
Gleichgültig hob Josepha die Schultern und stolzierte hocherhobenen Hauptes in ihr neues Reich, die Küche vom Dorfkrug. Nein, lange wurde sie diesen ungehobelten Mann nicht mehr ertragen. Anfangs hatte sie geglaubt, mit Freundlichkeit und Arbeitseifer den Wirt ein bißehen nachsichtiger zu stimmen, aber es hatte nichts gebracht.
Andererseits wußte das Dirndl, daß es schwer war, zum Winter hin eine gscheite Arbeit zu finden – sie hatte es längst auf anderen Höfen versucht. Von dem Geld, das sie aus dem Erbteil der Mutter aufbewahrte, rührte sie nichts an. Wer wußte denn schon, was noch alles geschah?
Die Frau des Wirts stand ihrem Mann in nichts nach. Als Josepha die Küche betrat, zeterte sie herum: »Du wirst dafür bezahlt, daß du mir zur Hand gehst, verstehst? Wo warst denn schon wieder? ’s ist jetzt schon das dritte Mal, daß du einfach verschwindest!«
»Ich hab halt frische Luft gebraucht! Hier bei euch ist mir der Gestank manchmal unerträglich!« Das Madl wußte selbst nicht, warum sie der dicken Frau diese Worte entgegenschleuderte!
Freilich hatte das Konsequenzen. Diese Frechheit ließ sich die Wirtin