Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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namenloser Erbitterung; und jetzt bog sie sich wieder über die Brüstung, und ihre Finger pflückten mechanisch an dem Rebenlaub, während die Augen mit zorniger Verachtung die Gruppe drunten fixierten. Noch stand Baron Schilling neben dem Pferde, dessen Zügel der Stallknecht in die Hand genommen hatte; er liebkoste das edle Tier und gab ihm mit der weichsten Modulation seiner schönen Stimme sanfte Schmeichelnamen.

      »Mein Gott, das sieht sich ja an, wie eine Trennung fürs ganze Leben!« sagte die Frau droben, jetzt völlig beherrscht, in trockenem Tone. »Welcher Mensch mit gesundem Empfinden mag eine solche Liebesverschwendung an ein Tier ruhig ertragen!« – Sie ergriff ein Paket Zuschriften und hielt es über die Geländerbrüstung. »Arnold, ich habe Briefe für dich!« rief sie hinab – ihr Ton klang scharf, hell und hochliegend wie eine grelle Kinderstimme.

      Baron Schilling sah hinauf. Er zog grüßend den Hut unter einer leichten Verbeugung – dann schritt er auf das Haus zu.

      Die Stiftsdame schob das gebrauchte Geschirr zusammen, prüfte die eine der verdeckten Schüsseln, ob sie noch warm genug sei, und war im Begriff, einen frischen Teller aufzustellen, als ihre Hand mit einem unwilligen Druck weggeschoben wurde.

      »Lasse das!« raunte die Baronin gebieterisch. »Ich biete ihm nie etwas an, wenn er sich von der gewohnten Ordnung freigemacht und allein gefrühstückt hat – mag er noch so hungrig heimkommen.«

      Mit raschen Schritten trat er auf die Terrasse heraus. Er hatte den Hut im Salon abgelegt, und der Zugwind hob leicht die dunklen Ringel, die sich stets eigenwillig aus dem zurückgestrichenen, mühsam gebändigten krausen Haar lüften, von der breiten gebräunten und kantigen Stirn, nach welcher die Frau Baronin die Schillings als viereckige Köpfe bezeichnete. Im übrigen wich dieser letzte Vertreter des ritterlichen Geschlechtes jetzt bedeutend von denen ab, die im Mittelsaal die alten, gewundenen und vergoldeten Holzrahmen mit ihren herkulischen Gestalten füllten. Er hatte sich verändert, er war nicht mehr vollwangig, wie vor acht Jahren – das Vertiefen in seine Kunst hatte an ihm gezehrt: sie hatte die Züge, in denen sich drüben bei den alten Haudegen und den gewaltigen Jägern vor dem Herrn viel Jovialität und derbe Genußsucht widerspiegelten, verschärft und veredelt, sie hatte der hohen Figur jede Spur jener stattlichen Behäbigkeit genommen und dafür die Bewegungen geschmeidigt.

      Er reichte seiner Frau die Hand, und sie legte zögernd, wie unter einem inneren Widerspruch, die dünnen Fingerspitzen hinein, während die Stiftsdame seinen höflichen, aber sehr kühlen Gruß ebenso reserviert und frostig erwiderte. Sie setzte sich ziemlich entfernt nieder, zog einen großen Arbeitskorb an ihre Füße heran und begann, in ein Stück feinsten, violetten Tuches herrliche Arabesken mit Silberfäden zu sticken.

      »Donna de Valmaseda hat geschrieben,« sagte die Baronin mit ironischer Betonung des fremdklingenden Namens und schob den Brief auf die Tischecke.

      Baron Schilling öffnete das Kuvert und überflog die wenigen Zeilen, die das Briefblatt enthielt. »Wir können unsere Schützlinge in acht bis zehn Tagen erwarten,« berichtete er; »aber du wirst dem Einquartierungsprogramm ein wenig verändern müssen, Klementine. Frau von Valmaseda wird ihre Schwägerin begleiten, weil, wie sie hier zum erstenmal ausspricht,« – er deutete auf die Zellen – »Felix das ganz ausdrücklich gewünscht habe –«

      »So ... Gott mag wissen, wie viel Wünsche dieser gute Felix noch gehabt hat, die zu erfüllen wir nolens volens verpflichtet sein sollen,« unterbrach ihn die Baronin gereizt. Sie verharrte nichtsdestoweniger in ihrer nachlässigen Haltung, aber die im Schoße liegende Rechte drehte im nervösen Spiel unaufhörlich ein paar abgerissene Rebenblätter zwischen den Fingern. »Für diesen anmaßenden Menschen ist eben der Schillingshof stets eine Art Hotel gewesen; das haben wir ja schon erlebt, als er uns vor acht Jahren mit seiner Entführten ohne Umstände in das Haus fiel ... Ich protestiere ganz entschieden gegen einen solchen Zuwachs, Arnold – genug, daß ich mich herbeilassen will, die Witwe mit ihren lärmenden Kindern in unserem stillen Haus zu dulden.«

      Baron Schilling hatte sich in einem Korbstuhl niedergelassen. Er sah dieser Opposition gegenüber sehr unbewegt aus. Zu Anfang seines Ehelebens hatte noch der Ausdruck fürsorglicher Güte und des Strebens nach Verständigung dieses Männergesicht beseelt – jetzt zeigte es in jeder Linie eine unanfechtbare Gleichgültigkeit. Er schob den Brief in das Kuvert und sagte gelassen: »In diese Änderung werden wir uns finden müssen.«

      »Mit nichten. Es ist beispiellos aufdringlich von der Frau, daß sie ihre Schwägerin durchaus begleiten will –«

      »Ich sagte dir, daß sie das muß,« versetzte Baron Schilling stirnrunzelnd.

      »Gleichviel – für uns ist es durchaus kein »Muß«, sie zu beherbergen. Der Schillingshof ist nicht groß genug für eine solche Menschenkarawane.« – Sie richtete sich in steigender Erregung empor und streute mit hastigen Händen die Reste der zerzupften Blätter in die Lüfte.

      »Wir haben so viel Raum, daß du mit den Fremden gar nicht in Berührung zu kommen brauchst, so wenig wie ich,« entgegnete er. »Klementine, sei gut und verständig. Bedenke, daß wir mit berufen sind, verwaisten Kindern zu ihrem guten Rechte zu verhelfen –«

      »Ja, mit diesem rührenden Hinweis hast du mir auch meine Einwilligung abgelockt. Aber ich bin mir inzwischen bewußt geworden, daß ich unrecht tue, wenn ich mich an dem Plan beteilige – frage Adelheid, als was sie ihn bezeichnet –«

      »Als eine unerlaubte Intrigue!« rief die Stiftsdame mit ihrer sonoren Stimme herüber.

      Baron Schilling sah über die Schulter nach ihr zurück. »Ah, daher die plötzliche Umkehr!« sagte er halb zornig, halb sarkastisch. »Ich hatte nicht an deinen geheimen geistlichen Rat gedacht, Klementine.«

      Die großen, schwarzen Augen der Stiftsdame funkelten durch das Laub des Orangenbaumes, der zwischen ihr und dem Hausherrn stand, aber sie entgegnete mit würdevoller Gelassenheit: »Klementine wird mir bezeugen, daß ich mich jeglichen Rates enthalten habe –«

      »Schön!« – unterbrach er sie kalt – »ich würde mir Ihre Einmischung auch ganz entschieden verbitten, Fräulein von Riedt!«

      Diese strenge, scharfe Zurechtweisung bewirkte bei der Stiftsdame nur ein ausdrucksvolles Achselzucken; die Baronin aber fuhr tiefgereizt auf. Sie hatte Momente, wo in ihren mattgrauen, glanzlosen Augen ein unheimliches Licht aufflackerte, das kaum noch auf das Gebiet ihrer vielgenannten Nervosität zurückzuführen war. Mit einem solchen Blick und den ausgeprägtesten Eigensinn auf der Stirn, sagte sie grollend: »Ich bitte mir's aus, daß du nicht fremden Schultern aufbürdest, was ich nach eigener Einsicht beschlossen habe. Ich nehme mein gegebenes Wort zurück – ich will nicht mehr, durchaus nicht! – Und nun bitte ich dich, schweige, Arnold, – treibe mich nicht zum Äußersten!«

      »Inwiefern?« fragte er mit unzerstörbarer Ruhe und fixierte unverwandt die vor Aufregung bebende Frau – er mochte allzu genau die aufeinanderfolgenden Stadien ihrer Leidenschaftlichkeit kennen. Ihre Augen wichen seitwärts unter dem starrfragenden Blick, und ein schattenhaftes Lächeln entblößte flüchtig ihre großen weißen Zähne; allein an ein kluges Einlenken war hier nicht zu denken – sie sagte mit trotziger, wenn auch etwas unsicherer Stimme: »Du darfst nicht vergessen, daß ich verbriefte Rechte an den Schillingshof habe!«

      Baron Schilling erblaßte leicht, aber er blieb ganz ruhig. »Ich vergesse das so wenig, wie mein gutes Recht, kraft dessen ich Herr im Hause bin. Jetzt werde ich mit der Birkner über die Aufnahme der Kommenden verhandeln.«

      »So gehe! – Selbstverständlich wirst du nicht über die mir zustehenden Gasträume verfügen. Es fällt mir nicht ein, diese – diese spanische Bettlerfamilie unter den kostbaren Vorhängen meiner Gastbetten schlafen zu lassen – mag sie sich doch drunten in den spukhaften Zimmern einquartieren –«

      »Das war bereits beschlossen,« unterbrach er sie mit einer Handbewegung, die jedes weitere heftige Wort abschnitt. hoffentlich ist diese Fremde nicht so gut klösterlich erzogen, um so unverantwortlich abergläubisch und unwissend zu sein.« – Er stand auf, schob die für ihn eingegangenen Briefe in die Brusttasche und ging hinaus, ohne auch noch ein Wort zu verlieren.

      Die


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