Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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       Inhaltsverzeichnis

      Inzwischen stand Donna Mercedes behütend neben Veit. Er lag einen Augenblick still; aber unter den halbgeschlossenen Lidern sah man nur das Weiße des Auges, und von Zeit zu Zeit knirschte er mit den Zähnen. Die junge Dame wischte ihm den Schaum vom Munde, tauchte ihr Taschentuch in ein auf dem Tische stehendes Glas Wasser und legte ihm den kühlen Umschlag auf den Kopf.

      Die schlanke, schneeweiße Frauengestalt hob sich seltsam von den Wänden der urdeutschen Bürgerstube ab: und sie selbst sah sich fremd und staunend um, als sei sie unversehens aus blauen Lüften in düstere unterirdische Regionen gefallen.

      In modernen, luftigen Plantagenhäusern, mit ihren üppig heiteren Wandmalereien und weißen grünumrankten Marmorhallen, war sie groß geworden, und auf deutschem Boden hatte sie nach Verlassen der eleganten Salons und Kabinen auf dem Dampfschiff der Schillingshof aufgenommen. Noch nie war ihr Fuß über so uralten Bretterboden gegangen, hatte sie ein solches Ofenungetüm gesehen, wie es dort in der Ecke dräute. An dem mächtigen Bogenfenster, vor dessen unteren Scheiben nur ein paar grüne, ausgeblichene, lappenhafte Wollvorhänge in Ringen liefen, der wunderlichen Holzgalerie mit den geschnitzten Heiligenbildern, den schweren Türen in den klaftertiefen Wölbungen schlich der Geist vergangener Jahrhunderte hin, und so peinlich und unheimlich auch die Lage war, in der sich die junge Dame augenblicklich befand, es wurde ihr doch so traumhaft zu Sinne, als lebe und atme sie in der Zeit, aus der die deutschen Sagen und Märchen erblüht sind.

      Die Majorin kam wieder herein. Sie bog sich forschend über den Knaben und horchte auf seine Atemzüge, und dabei sah sie empor zu dem alten Mann, unter dem der jüngste Sproß seines Hauses, ein markloser Schößling, mit einer der Familie fremden, unheilvollen Krankheit behaftet lag ... Und den Blick starr auf das Bild geheftet, als sei sie nur auf diese Weise fähig zu sprechen, sagte sie kurz wie mit vertrockneter Kehle zu Hannchen: »Werden Sie Gebrauch machen von dem Vorgang?« –

      Die Augen des Mädchens glühten auf wie im Fieber. »Ganz gewiß werde ich das, Frau Majorin,« erklärte sie unumwunden und streckte energisch die Hand aus, als lege sie Beschlag auf das unselige Geheimnis. – »Ich wäre nicht wert, daß mich die Sonne bescheint, wenn ich schwiege! ... Und wenn Sie mir Ihr ganzes Vermögen schenken wollten, ich nähme es nicht! Ich gehe lieber von Haus zu Haus betteln, nur daß ich sagen darf: Mein lieber, lieber Vater ist unschuldig gestorben – er hat seinen alten Herrn nicht betrogen – Gott sei Dank, Gott sei Dank!« – Sie preßte inbrünstig die Hände auf die Brust.

      »Sie haben recht, und ich – habe meine Schuldigkeit getan.« – Mit diesen tonlosen Worten wandte sich die Majorin von dem Porträt ihres Großvaters ab und stieg die Galerietreppe hinauf, in die Mauertiefe hinein.

      Sie sah im Salon Deborah bei den Kindern stehen, auch Mamsell Birkner war da und blickte ihr mit namenlos erschreckten Augen in das Gesicht.

      Das Tageslicht, das vom Salon hereinfiel, zeigte ihr, daß die glatte, braune Holzfläche unter den Schnitzarabesken an dieser Stelle eine Tür war, die, augenblicklich zurückgeschlagen, an der Innenwand lehnte. Seitwärts tretend, um sie vorzulegen, stieß sie mit dem Fuß an einen Gegenstand in der dunklen Ecke; sie bückte sich und nahm ihn auf, und nachdem sie die Tür zugedrückt hatte, kam sie die Steinstufen wieder herab und trug ein silberblinkendes Kästchen in der Hand.

      Einen Augenblick stand Donna Mercedes blaß und bewegungslos wie eine Bildsäule, dann sagte sie in bebenden Tönen: »Nun können Sie Felix' letzten Brief an seine Mutter lesen – er ist in Ihren Händen.«

      »Ich wußte es ja, daß die Mäuse vom Klostergut dagewesen waren,« murmelte Hannchen, und jenes stille, bittere Lächeln, das Lucile und die Leute des Hauses für irrsinnig erklärt hatten, hob ihre Lippen leicht von den schönen Zähnen. »Aber das geht mich nichts an, gar nichts!« setzte sie rasch und errötend hinzu, als schäme sie sich einer unbefugten Bemerkung.

      Das Kästchen war auf die Dielen gepoltert, und die Majorin schlug die Hände vor das Gesicht; Veit aber verfiel unter einem schrillen Aufschrei aufs neue in heftige Zuckungen.

      In diesem Augenblick sah auch die Magd, die bei dem in nächster Nähe wohnenden Arzt gewesen war, aus der Eßstube herein und meldete, daß der Herr Doktor sogleich kommen werde.

      Die Majorin raffte sich auf; sie ging nach der Tür und schloß sie vor der Nase der verblüfft und neugierig Herüberlauschenden. »Ich habe noch einen harten Strauß auszufechten,« sagte sie mit ihrer früheren harten, unerbittlichen Stimme zu Donna Mercedes. »Gehen Sie jetzt zu meinen Enkeln; ich komme nach, wenn ich – zu Ende bin.«

      Hannchen hob das Kästchen auf und verbarg es unter einem zustimmenden Blick der jungen Dame in den Schürzenfalten – selbst Deborah sollte es nicht erfahren, wo es gefunden worden war. Sie kehrte mit Donna Mercedes in den Salon zurück, und die Majorin schloß hinter ihnen die braune Holztür, auch die seltsame Polsterwand, aus deren geborstenem Leder Roßhaare und Wergbündel quollen, legte sie vor und versuchte, den in die Amtsstube mündenden Eingang zu verschließen. Es gelang ihr bis auf eine schmale klaffende Fuge – sie wußte ja nicht, daß der Eisenstift, der den Verschluß bewirkte, in der ehemaligen Orgelbehausung zu suchen war.

      Als der Arzt kam, fand er die Frau, entfärbt wie ein Gespenst, aber vollkommen gefaßt in ihrer bekannten strengen Haltung neben dem erkrankten Knaben sitzen. Er selbst war tief bewegt über das Grubenunglück, das die ganze Stadt in Aufruhr versetzte, und begann schon beim Eintreten davon zu sprechen. Allein die Majorin zeigte stumm auf Veit, und er fuhr sichtlich erschrocken zurück, als sein Blick auf das Kind fiel. Er forschte nach der Ursache des entsetzlichen Anfalles, stellte eine heftige Gehirnerschütterung infolge des Sturzes fest, und erklärte die Erkrankung für einen sehr schweren »Fall«, von dem der Vater sofort in Kenntnis gesetzt werden müsse. Ohne Verweilen sandte er einen Boten fort.

      Es hatte lange, lange Zeit ein unveränderlicher Stern über dem Klostergute gestanden. Er hatte Sonnenschein und Regen, Säen und Ernten wohl behütet, auf daß die goldene Frucht des Reichtums, des Familienansehens immer üppiger anschwelle; und als das biderbe Geschlecht zu erlöschen drohte, da war er scheinbar noch höher aufgeglüht und hatte die kümmerliche Menschenblüte angestrahlt, die der alte Stamm getrieben – nahezu mit dem ersten Augenaufschlag des Kindes zugleich war ja die neue Goldquelle im kleinen Tale für die Wolframs zutage gesprungen – und nun erlosch er urplötzlich! Nicht heraufziehende, wieder verwehende Wollen verdeckten sein Licht, nein, er zerstob in Trümmer und riß den Wolframschen Namen mit sich in die ewige Nacht! ...

      Hier, im Klosterhause, zersplitterte nur ein dünnes, morsches Holzgeflecht unter dem Stoß eines Hundes, um das junge Menschenleben, an das sich tausend heiße Wünsche und Hoffnungen klammerten, zu vernichten; draußen im kleinen Tale aber, fast zur gleichen Stunde, empörte sich ein furchtbares Element gegen die Hand, die gierig und räuberisch in den Eingeweiden der Erde gewühlt hatte, um Schätze über Schätze auf jenes kindliche Haupt zu häufen – die Nemesis ging schweren Trittes über den Schuldigen hinweg, aber sie zertrat dabei auch Menschenleben, die nicht mitgesündigt hatten.

      Man hörte auf dem Schauplatz des Unglücks immer noch Hilferufe aus der Tiefe; allein den Abgesperrten, die das Wasser unerbittlich unter sich steigen sahen, ohne daß sie auch nur noch um eine Linie höher zu klettern vermochten, war schwer beizukommen. Was Menschenkraft vermochte, das geschah. Man arbeitete, daß das Blut unter den Nägeln hervortrat, und der Rat war der Tätigsten einer, aber das beschwichtigte und versöhnte die Gemüter nicht.

      Alles, was sich an Haß und Groll seit langen Jahren in der Bevölkerung gegen den reichen, gewalttätigen ehemaligen Oberbürgermeister aufgespeichert hatte, es kam jetzt zum Austrag. Er war stets mit verächtlichem Lächeln an den Leuten vorübergegangen, wenn sie mit bösen Blicken, aber dennoch unterwürfig, den Hut vor ihm gezogen; denn ein Mächtiger war und blieb er auch noch nach seinem Rücktritt vom öffentlichen Amte, ein Mächtiger an Kapital und Einfluß.

      Jetzt lächelte er nicht der murrenden Menge gegenüber. Alles, was an schmähenden und beschuldigenden Zurufen sein Ohr traf, sagte ihm mit vernichtender Kritik, daß er nicht allein


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