Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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solle dir, so gut wie Felix, seine Mercedes zeigen und – na, das übrige kannst du dir schon denken.«

      Eine Blutwelle schoß bis unter das krause Haar des jungen Mannes; er legte die Elfenbeinplatte vorsichtig, aber so schnell auf das Seidenpapier zurück, als glühe sie ihm an den Fingerspitzen. Eine Hand hatte sich für einen Augenblick schwer auf seine Schulter gelegt – seine Frau glitt, mit einem Seitenblick das Bild streifend, hinter ihm weg, um ihre Handarbeit von dem kleinen Tische zu holen.

      9.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, und auch die anderen Anwesenden schwiegen aufhorchend. Draußen gellte wiederholt das Aufschreien eines Kindes, so jammernd, so schmerzvoll, daß sich selbst der Freiherr erschreckt erhob und, auf Felix gestützt, mühsam nach dem Fenster schwankte, das sein Sohn bereits geöffnet hatte.

      Das Gewitter schien sich mit dem gewaltigen Donnerschlag vorhin für eine Zeit erschöpft zu haben; es fiel kein Regentropfen mehr, aber ein feuchter, schwüler Odem füllte die vor den Fenstern hinlaufende Säulenhalle, und der Himmel breitete sich sternlos, in drohender, tiefer Schwärze über die Stadt hin. Die Gaskandelaber vor dem Säulenhause beleuchteten voll das Parterre mit seinen springenden Wassern und seinen riesigen Blumenbuketten auf dem Rasenteppich; kein blütenbeschwerter Zweig der Gebüsche bewegte sich, kein Menschenfuß beschritt den Kies; aber draußen, jenseits des Eisengitters standen Leute, und über das Gemurmel von Männerstimmen hinweg hörte man das hier und da von einem Aufweinen unterbrochene Schelten einer Frau – das Kind schrie nicht mehr.

      Während die Herren und Lucile hinaushorchten, ging die Baronin an den Teetisch zurück und nahm ihren Platz wieder ein ... Der Freiherr hatte vorhin beim Aufstehen, ohne es zu wissen, das Seidenpapier mit seinem Inhalt von der Tischkante gestoßen – es war unbemerkt und lautlos auf den Teppich gefallen. Die Baronin ging hart daran vorüber; sie sah es liegen, aber sie rührte keinen Finger, es aufzuheben – das war unter ihrer Würde. Nun hielt sie ihre Arbeit wieder zwischen den wächsernen Fingern; im regelmäßigen Tempo wurde der weiße Faden aus- und eingezogen, und die Augen unter den langen, durchscheinenden Lidern hafteten unverwandt auf der Stickerei. Nur einmal irrten sie seitwärts auf den Teppich nieder – Minka schlüpfte, nach vorheriger Rekognoszierung, geräuschlos aus ihrem Versteck, raffte das Papier auf, drückte es zärtlich an ihre haarige Brust und verschwand wieder hinter dem Vorhang.

      Die junge Frau zuckte mit keiner Wimper, nicht ein Zug ihres Gesichtes veränderte sich – sie senkte nur den Kopf etwas tiefer und stickte still weiter ... Sie ahnte nicht, daß dort hinter dem Rücken der Herren ein Paar im grünlichen Feuer glitzernde Mädchenaugen durch den Spalt der Gardine lauschten – Lucile lachte zum Ersticken in sich hinein; die Frau mit ihrem eifersüchtigen Haß gegen alle Malerei war zu amüsant, und nebenbei war es kein Unglück, wenn dem Mädchen aus dem Tropenlande das gelbe Gesicht ein wenig zerkratzt wurde ...

      Der Lärm draußen verstummte; man sah, wie sich der Menschenhaufe zerteilte, wie die Leute allmählich auseinander gingen, und beruhigte sich in dem Gedanken, irgend ein kleiner Ausreißer sei von der verfolgenden Mutter erwischt worden und habe sich geweigert, mit heimzugehen. Baron Schilling schloß das Fenster, während die anderen an den Tisch zurückkehrten.

      Beim Niederlassen in den Armstuhl ließ der Freiherr seine Blicke suchend über den Tisch hinschweifen; er schob ungestüm das umherstehende Geschirr zurück und nahm tastend und schüttelnd seine hingeworfene Serviette auf. »Zum Kuckuck, wo ist denn das Bild hingekommen?« fragte er ärgerlich. »Haft du es weggelegt, Klementine?«

      »Ich habe gestickt,« sagte sie mit ihrer leisen, hohen eintönigen Stimme, schnitt gelassen den Faden ab und legte die Schere vor sich auf den Tisch, ohne auch nur aufzusehen. Baron Schilling trat hinzu; er hatte die Lampe genommen und beleuchtete ringsum den Teppich, und Felix, wie auch Lucile, die sich die Lippen fast wund biß, um nicht laut aufzulachen, halfen ihm suchen ... Da scholl ein mehrmaliges leises, aber intensives Knirschen und Knacken, als ob dürres Holz zerbrochen würde, von dem einen Fenster her – Baron Schilling stellte hastig die Lampe nieder und schlug die Gardinen auseinander; mit einem Griff packte er die zappelnde und kläglich schreiende Minka, trug sie durch das Zimmer und warf sie zur Tür hinaus.

      »Wirft du mir nie den berechtigten Wunsch erfüllen, das boshafte Tier wegzugeben, Klementine?« fragte er finster und grollend. »Es fügt uns und unseren Leuten durch seine Zerstörungswut fortgesetzt den bittersten Schaden zu.«

      Die junge Frau warf den Kopf zurück; zwischen ihren blonden Brauen vertieften sich zwei böse Linien, und jetzt waren selbst die schmalen, geschlossenen Lippen graubleich wie das ganze Gesicht. Schweigend drückte sie auf die Tischglocke. »Die Kammerjungfer soll Minka in mein Schlafzimmer bringen und ihr dort das Abendbrot reichen!« befahl sie dem eintretenden Diener und nahm ihre Arbeit wieder auf, als sei nichts vorgefallen.

      Der Freiherr stampfte ergrimmt mit dem Fuße auf, und wütend an seinem Schnurrbart zerrend, zerdrückte er sichtlich einen Fluch zwischen den Lippen, indes sein Sohn nach dem Fensterbogen zurückging und die Splitter der Elfenbeinplatte zusammenlas.

      »Es hat ein glücklicher Zufall dabei gewaltet,« sagte er froh zu Felix, der ihm gefolgt war; »das Gesicht ist unversehrt. Nur ein Teil der Haarwellen ist weggebrochen, aber was schadet das? Ich halte die Seele hier, den Aufblick der Augen, der mir zu denken geben wird, so lange ich künstlerisch schaffe ... Übrigens lassen sich die Splitter wieder aneinanderfügen – die Risse wird man freilich sehen, es hat an Wert verloren; aber um so eher darf ich mir es nun aneignen – es ist mein, ich gebe es nicht wieder aus der Hand.«

      Er legte die einzelnen Stücke behutsam zwischen das weiche Papier und schob sie in die Brusttasche.

      Lucile machte ein bitterböses Gesicht. »Mein Gott, was für ein Wesens um den dreizehnjährigen Backfisch!« grollte sie. »Das fängt gut an! – Wenn die kleine Bucklige mit ihren schwarzen Zigeuneraugen schon im Bilde so schrecklich dominiert und regiert, wie mag's da erst in Wirklichkeit sein!... Paß auf, Felix, das gibt schon in der ersten Stunde Zank und Streit, denn ich lasse mich nicht unterdrücken, keinenfalls! – Oh, sie mag's probieren!« – Sie machte halb drollig, halb böse so allerliebst und graziös die Gebärde des Augenauskratzens, daß der Freiherr in ein begeistertes »Famos!« ausbrach und Felix die beweglichen rosigen, kleinen Hände erfing und sie in trunkener Zärtlichkeit gegen seine Brust zog. »Ich werde ja bei dir sein, Lucile,« sagte er innig.

      »Und Freund Lucian wird dem reizenden Puck da so wenig widerstehen wie sein Sohn,« lachte der Freiherr und seine feurigen Augen verschlangen förmlich die geschmeidige Mädchengestalt in den Armen des jungen Mannes. »Und nun, wann wird marschiert, Felix?«

      »Am liebsten sofort!«

      »Gut – dann tapfer hinaus, gleich morgen mittag! Die nötigen Papiere besorgen wir früh,« bestimmte der alte Herr. »Die Zofe, die noch jammernd im Hotel sitzt, geht selbstverständlich mit.«

      »Und willst du Deutschland wirklich auf diese Weise verlassen, Felix?« fragte Baron Schilling ernst. »Ohne die Mutter deiner Braut zu –«

      »Um Gottes willen, lieber Baron, was fällt Ihnen ein?« unterbrach ihn Lucile ganz entsetzt. »Sie kennen die Mama nicht! Wenn wir uns in Wien blicken lassen, so sind wir verloren, geschiedene Leute für immer, sag' ich Ihnen! – Mama schlägt sofort Lärm – sie bringt die ganze Polizei auf die Beine und ist imstande, Felix hinter Schloß und Riegel setzen zu lassen ... Sie gibt ihre Einwilligung nie – lieber steckt sie mich ins Kloster – puh! Gräßlich! – Felix, ich bitte dich fußfällig, lasse dich nicht irre machen! Gelt, wir gehen direkt aufs Schiff? –«

      »Ohne Aufenthalt.« bestätigte er fest und entschlossen. »Magst du mich verurteilen, Arnold. Es tut mir weh, aber ich muß es ertragen – mein Glück lasse ich mir nicht entschlüpfen ... Ich werde von drüben aus alles aufbieten, um zu versöhnen und gut zu machen – darauf verlasse dich.« – Er wandte sich unmutig ab, denn der mißbilligende Ausdruck in den ernsten Augen des Freundes milderte sich nicht. »Du kannst


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