DER ZAR. Ted Bell

DER ZAR - Ted  Bell


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seine vom Salz ausgetrockneten Lippen zu einem schwachen Lächeln verzogen waren, zeugte von dem recht befremdlichen Traum, den er gerade durchlebte. Ein plötzliches Geräusch von oben – vielleicht einer jener langschwänzigen Sturmvögel, deren Klicken an Delfine erinnerte – riss ihn aus seinem Dämmerzustand.

      Er öffnete erst ein Auge, dann auch das andere, und verabschiedete sich grinsend von einer flüchtigen Erinnerung an sexuelle Verzückung, die noch in seinem Unterbewusstsein nachklang.

      Erotische Bilder, üppige Nymphen mit rosa und cremeweißer Haut zerstoben rasch, als er den Kopf anhob und erwartungsvoll mit seinen blauen Augen, die er zusammenkniff, in die Wirklichkeit schaute. Knapp innerhalb des Riffsaums schaukelte ein weißes Segel und drehte leewärts. Während er die formschöne kleine Bermuda-Slup beobachtete, wandte sich das Tuch wieder dem Wind zu, wobei er übers Wasser deutlich hörte, wie es rauschte und flatterte – Musik in seinen Ohren.

      Keine Frage, dachte er in Bezug auf diesen Abschnitt seines Lebens und seine gegenwärtige Situation, während er geistesabwesend über die sanften Wellen schaute. Mein blauer Himmel.

      Auf diesem sonnenverwöhnten Eiland mitten im Atlantik war es vollkommen friedlich. Endlich erlebte er die ›blauen Tage‹, nach denen er sich verzehrt hatte. Zum Glück vergaß er allmählich die ›rote Phase‹, aus der er kürzlich zurückgekehrt war; ziemlich haarige Auseinandersetzungen mit einem Verrückten namens Papa Top und dschihadistischen Hisbollah-Milizen am Amazonas. Jeder weitere blaue Tag ließ jene fürchterlichen Eindrücke mehr verblassen, wofür er zutiefst dankbar war.

      Er rollte sich mit Leichtigkeit auf den Rücken. Der Sand, dessen Körner an Zucker oder hellrotes Puder denken ließen, wärmte seine nackte Haut. Nachdem er kurz zuvor geschwommen war, musste er eingenickt sein. Hmm. Nun verschränkte er die Hände hinterm Kopf und atmete tief ein. Die salzige Luft weitete seine Lungenflügel.

      Die Sonne stand hoch am azurblauen Himmel über Bermuda.

      Hawke hob seinen linken Arm und schaute träge auf seine Taucheruhr. Es war kurz nach 14 Uhr. Während er überlegte, was für den Rest des Tages anstand, musste er wieder lächeln. Abgesehen von einem entspannten Dinner mit seinem engsten Freund Ambrose Congreve und dessen Verlobter Diana Mars um acht hatte er den Abend frei. Er leckte das getrocknete Salz von seinen Lippen, schloss die Augen erneut und sonnte seinen nackten Leib weiter.

      Sein Rückzugspunkt war eine kleine Bucht, in der das Wasser türkis schimmerte. Die leichte Brandung rollte über den gesprenkelt pinkfarbenen Ufersand heran und zurück, wie um sich zu sammeln, bevor sie einen weiteren Anlauf versuchte. Diesen winzigen Meerbusen, dessen Einfahrt allenthalben 100 Yards breit war, konnte man von der Küstenstraße aus nicht sehen. Die Einheimischen hatten die South Road – so hieß sie – Jahrhunderte zuvor durch die schroffe Korallen- und Kalksteinlandschaft gezogen. Sie erstreckte sich am Gestade entlang weit bis nach Somerset und zum Royal Naval Dockyard.

      Hawkes überschaubarer Halbmondabschnitt des Paradieses wurde von saftig grünen Mangroven- und Coccoloba-Bäumen flankiert, ununterscheidbar von den vielen ähnlichen Buchten östlich und westlich an der Südküste Bermudas. Erreichen konnte man sie nur vom Meer aus. Nachdem er sich monatelang hier eingefunden hatte, ohne je gestört zu werden, war er allmählich zu glauben geneigt, das Fleckchen gehöre ihm allein. Er gab ihm sogar einen Spitznamen: Schlappstrand, weil er nach drei Meilen Schwimmen, um hierher zu gelangen, ziemlich ausgelaugt war.

      Hawke hatte sich bewusst nach Bermuda zurückgezogen. Er erachtete die Insel als idealen Ort, um seine Wunden zu lecken und seine angeknackste Psyche wieder zu stärken. Das Überseegebiet mitten im Atlantischen Ozean, das ungefähr gleich weit von seinen beiden Hauptstädten London und Washington entfernt war, besaß eine geringe Bevölkerungsdichte sowie ein mildes Klima, in dem die Menschen unbekümmert lebten, und nur wenige seiner Bekannten – seien es Freunde oder Feinde – würden darauf kommen, dass er sich dort aufhielt.

      Im Zuge jener unschönen Gefechte in den Urwäldern des Amazonas im Vorjahr hatte er auch unter verschiedenen Arten von Dschungelfieber gelitten, die ihm beinahe zum Verhängnis geworden wären, doch nach sechsmonatiger Beschaulichkeit an tropischer See und Luft stand fest: Er hatte sich noch nie in seinem Leben so gut gefühlt. Nicht einmal der maßvolle tägliche Konsum von Gosling's Rum – schwarzes Elixier, wie ihn die Ansässigen nannten – hatte verhindert, dass Hawkes Körper irgendwie zu seinem alten Kampfgewicht von 180 Pfund gefunden hatte. Jetzt tat er sich durch tiefe Sonnenbräune und einen flachen Bauch hervor – ja, ihm ging es einfach blendend. Er mochte Anfang 30 sein, fühlte sich aber mindestens zehn Jahre jünger.

      Hawke hatte in einem kleinen, leicht baufälligen Ferienhaus am Strand Unterschlupf gefunden. Das alte Gebäude war früher zur Herstellung von Zucker verwendet worden und stand auf einem Hügel mehrere Meilen westlich der Stelle, wo er gerade lag. Er pflegte nunmehr die ausgesprochen gesunde Angewohnheit, täglich zu dieser abgeschiedenen Bucht zu schwimmen. Zweimal drei Meilen waren nicht übertrieben und auch kein übler Zusatz in seinem Sportplan, der mehrere Hundert Rumpfbeugen und Liegestütze umfasste, nicht zu vergessen das gründliche Training mit Gewichten.

      Da er sich seiner Privatsphäre sicher sein durfte, zog er seinen Schwimmanzug im Allgemeinen aus, wenn er ankam. Ihn abzustreifen und an einen Mangrovenbaum in der Nähe zu hängen war zu einem Ritual geworden, dann ein paar Stunden Sonnenbaden au naturel, wie es die Franzosen ausdrücken würden. Im Großen und Ganzen blieb Hawke anspruchslos, aber der Luxus, kühle Luft und warmes Licht an Körperteilen zu spüren, die er in der Regel bedeckt hielt, war zu ergötzlich, um darauf zu verzichten. Er hatte sich so an diese neue Sitte gewöhnt, dass ihm selbst der leiseste Gedanke daran, Sporthosen zu tragen, abwegig vorkam, ja lächerlich sogar. Und – was?

      Er starrte fassungslos.

      Was zum Teufel war das?

      Kapitel 2

      Ihm war etwas Blaues im Sand aufgefallen, rechteckig und klein, ein gutes Stück rechts von seiner Position entfernt. Er stützte sich auf seine Ellbogen und beäugte den Gegenstand. Handelte es sich um von den Wellen angespültes Treibgut? Nein, eindeutig nicht. Anscheinend war während Hawkes friedlichen Schlummers an seinem allerheiligsten Hort irgendein unerwünschter Eindringling aufgekreuzt und hatte ein Handtuch an seinem Strand zurückgelassen.

      Der lautlose Marodeur schien es gewissenhaft platziert zu haben, rechtwinklig zur Brandung und mit vier rosafarbenen Muschelschalen an den Ecken beschwert, damit es nicht fortgeschwemmt oder weggeweht wurde. Ferner zierte ein fantasievoll geschwungenes K, aufwendig gestickt mit glänzend goldenem Garn, den blauen Frotteestoff. Über dem Buchstaben befand sich ein Symbol, das Hawke bekannt vorkam, ein zweiköpfiger Adler. So etwas benutzte nur ein reicher Typ als Badetuch.

      Sachen gibt's. Vom Besitzer fehlte jede Spur. Wohin war er verschwunden, dieser freche Mr. K.? Schwimmen gegangen, vermutete Hawke. Warum hatte er seinen Anker ausgerechnet in dieser Bucht ausgeworfen? Eigentlich hätte sich der Störenfried, dieser K. soundso, beim Anblick eines anderen Mannes – im Adamskostüm obendrein, um Himmels willen – im trauten Schlaf hier am Strand veranlasst sehen müssen, anderswo nach Ruhe zu suchen, oder?

      Offensichtlich nicht.

      In dem Moment tauchte eine Frau im Meer auf … und nicht bloß irgendeine, sondern eine erhabene Schönheit, wie Hawke sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Das Wasser perlte an ihr hinunter, während sie sich näherte. Sie war groß, hatte lange, gerade Beine und eine helle Bräune, die an Milchkaffee erinnerte. Von Nacktheit konnte nicht ganz die Rede sein. Sie trug einen schmalen Stoffwickel um die Hüften, doch ihre drallen Brüste, deren Warzen vollkommen rosa waren, blieben gänzlich unbedeckt.

      Eine hellblaue Taucherbrille, die sie nach oben geschoben hatte, haftete an ihrer hohen Stirn, und goldblonde Locken fielen auf ihre bronzefarbenen Schultern. Eine derart animalische Schönheit war Hawke noch nie untergekommen; ihre Gegenwart, während sie auf ihn zuging, wirkte geradezu schwindelerregend.

      Sie blieb stehen und sah für einen Augenblick unverhohlen taxierend auf ihn hinab. Dabei schürzte sie ihre Lippen zu einem Lächeln, das er nicht so recht deuten konnte – Hohn in Anbetracht


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