Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
sollen nur kommen!« drohte der erste, und ich dachte dasselbe.
Zunächst aber mußte ich gestehen, daß mir da ein niederträchtiger Streich gespielt worden war, den ich nicht so bald verschmerzen würde. Ganz abgesehen von dem Prisengeld – das mußten wir ja doch noch bekommen – nein, daß mir überhaupt so etwas passieren mußte.
Ich konnte fast die Matrosen beneiden, welche an etwas Uebernatürliches glaubten, deshalb zwar auch gleich auf das Prisengeld verzichteten, sich so aber doch zu trösten wußten. Denn gegen übernatürliche Mächte kann der Mensch nun einmal nicht ankämpfen.
Es war gegen drei Uhr, finsterer denn zuvor, als wir zurückkehrten. Das Meerwasser phosphoreszierte am Heck, von der Schraube aufgewühlt, prachtvoll, und ab und zu tauchte auch der phosphoreszierende Schein eines Haifisches auf.
»Dort – sind das nicht eine ganze Menge?« sagte Blodwen an meiner Seite.
Dem war auch so. In einiger Entfernung huschten die leuchtenden Gestalten um ein Zentrum herum. Es mußte eine Beute sein, um die sich die Hyänen des Meeres stritten, nicht gleich mit einem Bissen wegzuschnappen, vielleicht ein toter Delphin oder dergleichen.
Da … an mein Ohr war ein Ton gedrungen, im nächsten Augenblick stand unter meiner am Signalapparat liegenden Hand die Schiffsschraube, das Zittern und Rauschen hörte auf, eine plötzliche Totenstille herrschte über dem Wasser.
Und ich hatte mich nicht geirrt.
»Hilfeeh, Hilfeeeehhh, Mann über Bord!!!«
So erscholl aus weiter Entfernung ein schwaches Stimmchen, wenn auch wohl einem Manne angehörend und aus heiserer Kehle kommend, und zwar waren es deutsche Worte gewesen.
»Dort, dort, wo die Haifische spielen – er kämpft mit den Ungeheuern!!«
Schon arbeitete die Schraube wieder, die ›Sturmbraut‹ wendete, ich hielt direkt auf die Stelle zu. Ein Boot auszusetzen war gar nicht nötig, bei dieser ruhigen See konnten wir dicht heranfahren, wußten freilich im voraus, daß wir dadurch nicht die gefräßigen und überaus dreisten Ungeheuer von ihrem Opfer verjagen konnten.
Und da konnten wir auch schon das gräßliche Schauspiel erblicken. Ein Mann kämpfte mit den Wellen, noch mehr mit den ihn umschwärmenden Haifischen.
Es ist ja bekannt, daß der Haifisch, der den Rachen tief unten hat, sich erst auf den Rücken drehen muß, ehe er seine Beute fassen kann; nun ist der Hai auch mehr ein Aasjäger als ein richtiger Raubfisch, oder seine Beute, ein lebendiges Tier, muß doch schlafen oder sich sonst ruhig verhalten, jedenfalls geht der Haifisch nur ungern an ein sich heftig bewegendes Tier, und so ist der schwimmende Mensch fast immer gesichert, so lange er Arme und Beine heftig bewegen kann. Aber er braucht nur einmal die Beine lang ausgestreckt ruhen zu lassen, nur zwei Sekunden – schwubb, wird ein sich auf den Rücken gedrehter Hai das Bein erwischt haben.
Das wußte der Mann. Denn er war offenbar ein vorzüglicher Schwimmer, und ein solcher schwimmt doch entweder ruhig mit langgestreckten Stößen, oder er läßt sich fast ohne Bewegung treiben, dieser hier aber arbeitete aufs angestrengteste mit allen Gliedern, umschwärmt von den gierigen Haifischen, die immer schon halb auf der Seite lagen.
Das hierdurch aufgeregte Meer phosphoreszierte stark, so daß wir dies alles deutlich beobachten konnten.
Wir waren dicht heran, hätten dem Schwimmer ein Seil zuwerfen, es ihm nur hinabzulassen brauchen, hätten ihn gleich heraufziehen können.
Ich hinderte die Matrosen daran, welche dies tun wollten.
Die meisten Menschen, die zwischen Haifische gefallen sind, werden noch nachträglich deren Opfer, wenn sie schon aus dem Wasser sind. So leicht läßt sich der Hai dasselbe eben nicht entgehen, er kann sich außerordentlich hoch schnellen, und wenn der Mann nun so am Seile hängt, befindet er sich ja gerade in der günstigsten Lage, der Haifisch schnellt ihm nach und packt ihn beim Beine, oder schon die Hacke genügt, gewöhnlich läßt der Entsetzte vor Schmerz noch das Tau los, und dann ist er natürlich geliefert. Außerdem genügt gewöhnlich schon das zugeworfene Seil, um den Schwimmer die Bewegungen vergessen zu lassen, er faßt zu – und der Hai faßt ebenfalls zu, und weg sind alle beide.
Ich hatte schon Vorkehrungen getroffen, keine Gewehre oder dergleichen, sondern einige Schinken und Speckseiten hatte ich auf den Bordrand legen lassen, dazwischen aber auch große Kohlenstücke, die wurden in einiger Entfernung von dem Schwimmer hinabgeworfen, sofort hatten die Haie heraus, daß es hier bessere Bissen gab, wenn auch kleinere – ähnlich mit dem Sperling in der Hand und der Taube auf dem Dache – sofort ließen sie von dem Schwimmer ab und waren zur Stelle, verschluckten die großen Schinken wie Pillen und auch einmal ein paar Pfund Kohle, konnten so immer weiter fortgelockt werden und dann hatten wir den Mann ohne Gefahr schnell am Seil an Bord gebracht.
Die Fahrt wurde fortgesetzt. Keuchend war der triefende Mann, wie ein Matrose angezogen, auf einen Boller niedergesunken.
»Himmelgottver …, da lernt man beten,« war sein erstes Wort. Es sollte also eigentlich ein Dankgebet sein, wurde aber durch einen schrecklichen Fluch eingeleitet.
Im übrigen schien er gar nicht so sehr erschöpft zu sein.
»Von welchem Schiffe seid Ihr?«
»Von – von …«
Der Mann schien den Namen seines Schiffes vergessen zu haben, was nach solch einem überstandenen Schreck ganz begreiflich war.
Da griff ihm einer meiner Matrosen hinten in den Nacken und schob etwas herum, was an einem schwarzen Bündchen hing, das er um den Hals trug, und als das Ding nun vorn war, zeigte es sich als eine schwarze Maske oder Larve.
»Eine Maske – der gehört mit zu dem Dampfer, der uns das holländische Wrack gestohlen hat – paßt auf unseren Klabautermann auf!!«
So klang es bei meinen Matrosen durcheinander. Es war mir sehr unlieb, daß der Mann nun gleich wußte, wo er sich befand, oder daß wir nun schon wußten, wen wir vor uns hatten; doch daran war nun nichts mehr zu ändern.
Der Schreck des Mannes war denn auch ein furchtbarer. Ich dachte erst, er wolle wieder über Bord jumpen, lieber zu den Haifischen zurück, als hier bei uns bleiben, und ich hatte schon meine Hand bereit, um ihn beim Kragen zu fassen.
Aber es kam nicht so weit, er war nur von dem Boller aufgesprungen.
»Was?!« schrie er mit stieren Augen.
»Jawohl, guter Freund, wir kennen uns bereits, wenn auch nicht persönlich. Na, was für ein kleiner Dampfer ist das, der vorhin das holländische Wrack von der Reede von Monrovia geholt hat?«
Da kreuzte der Mann trotzig die Arme über der Brust.
»Ich weiß von nichts.«
»Du willst es mir nicht sagen?«
»Nein!«
Da packte ich den Kerl bei der Brust, hob ihn wie ein Kind auf, stellte ihn gegen den Mast, stieß ihn ein paarmal dagegen und bearbeitete dazu mit meinen schweren Stiefeln seine Schienbeine.
»Du – willst – mir – nicht – sagen, was für ein Schiff das ist?«
»Richard!!!« schrie Blodwen entsetzt.
Auch der Leser dürfte über dieses mein Verfahren empört sein. Ja, du lieber Gott! Ich erzähle hier doch keine feingesponnenen Geschichtchen, die man in einem Boudoir vorlesen kann, sondern ich erzähle, wie es auf einem Schiffe zugeht. Und ich war eben kein Pastor geworden, sondern Seemann, hatte immer nur auf Segelschiffen gefahren.
Und mir, dem Kapitän dieses Schiffes, wollte dieser Lump die Antwort verweigern?
Himmel Bomben … da findet der Mensch ja gar keine Worte! Ein Seemann wenigstens nicht.
Und eben deswegen muß ich noch ganz besonders betonen, daß bei mir durchaus nicht so etwas wie Gemütsroheit vorlag. Ich blieb dabei auch ganz