Hexenhammer 1 - Die Inquisitorin. Uwe Voehl

Hexenhammer 1 - Die Inquisitorin - Uwe  Voehl


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      Mit diesen Worten begann zunächst die Befragung der Schwestern durch die Schwester Oberin. Wie immer waren sie rein und hatten keinerlei Schuld auf sich geladen.

      Einige der Kinder beichteten hernach, unreine Gedanken gehegt zu haben, wie die Arbeit niederzulegen oder während des Unterrichts wegzuhören.

      Ein Junge bekannte, den Schwestern die üppigen Speisen geneidet zu haben, ein anderer sprach davon, dass er im Traum den Wunsch verspürt habe, einen Menschen zu töten.

      Sie alle kamen mit milden Strafen davon. Schwester Adelheid verpasste ihnen einige Schläge, und ein paar von ihnen mussten zwei Tage lang ohne Brot oder Haferschleim auskommen. Einem anderen Kind wurde eine glühende Nadel in die Zunge gestochen, weil es sich während der Morgenandacht beim Gebet versprochen hatte …

      »Damit du nie wieder die Worte des HERRN vergisst«, sprach die Schwester Oberin. Sie strich mit der Hand ein Mal über die Opfernadel, die sogleich gleißend hell erglühte, und stieß sie in die ausgestreckte Zunge des Mädchens und segnete es mit den Worten: »Im Namen des HERRN, des Allmächtigen und Gewaltigen, dessen Kraft alles Körperliche und Geistige übertrifft, dass ihr keine Erdenmacht verglichen werden kann, nach dem Worte: Es ist keine Macht auf Erden, wie sie größer nicht existiert. Nema.«

      »Nema«, antworte ihr der Chor der Kinder und Schwestern.

      Als Nächstes ließ die Schwester Oberin Angela vortreten. Sie kniete nieder, den Kopf gesenkt.

      »Was hast du dem HERRN zu beichten?«

      Angela hob den Kopf und sagte: »Ich habe zugelassen, dass die Krankheit in meinen Körper kriecht. Er, dessen Name verflucht ist, hat sie mir geschickt.«

      Die Schwester Oberin strich ihr über den Kopf. »Du bist noch unreif und auf dem Wege, mein Kind. Ein Dämon entbehrt aller körperlichen Eigenschaften, deshalb empfindet er weder Schmerz noch Krankheit, wenn er den Weg zur höchsten Vollkommenheit beschritten hat. Du wirst die Exerzitien nun strenger befolgen. Schwester Adelheid wird dich durch ein Tal der Schmerzen führen, doch am Ende wirst du Seligkeit erlangen.«

      Angela lächelte ergeben, und Schwester Adelheid bekräftigte: »Sie ist bereits auf gutem Wege, Schwester Oberin.« Um ihre Worte zu untermauern, versetzte sie Angela einen besonders schmerzhaften Hieb mit der Gerte.

      Angela lächelte noch immer.

      Vincenz trat vor. Er war nicht mehr der Haudrauf, der er vormals gewesen war. Er warf sich vor der Schwester Oberin in den Schnee und sah sie hündisch ergeben an.

      »Was hast du zu beichten?«, fragte sie lächelnd.

      Gutturale Laute entrangen sich seiner Kehle.

      »Ich verstehe dich sehr gut«, sagte die Schwester Oberin. »Du befürchtest, dass nicht nur dein Körper versehrt wurde, sondern auch dein Geist. Der, dessen Namen so unrein ist wie der Kot eines Hundes, vermag auf mancherlei Weise Einfluss auf uns zu gewinnen. Ist er erst in deinen Leib gefahren, so ist es ein Leichtes, auch deinen Verstand zu vergiften.«

      Sie sah Schwester Gertrud an, die sogleich bestätigend nickte: »Ich sehe die Anzeichen bei ihm. Er ist der normalen Sprache nicht mehr mächtig. Es könnte sein, dass der, dessen Namen unrein ist, bereits in seinem Kopfe wütet.«

      »Wir werden den Keim des Bösen mit der Nadel aus ihm vertreiben«, entschied sie. »Aber nicht heute, ich muss mich nun noch mit einer besonderen Sünderin befassen.« Lotte klopfe das Herz bis zum Hals, als die Schwester Oberin sich ihr zuwandte. »Nun, was hast du dem HERRN zu sagen?«

      »Ich … ich …« Lottes Kehle war wie zugeschnürt, obschon sie selbst nicht wusste, warum. War die Beichte nicht etwas Befreiendes? War Strafe nicht etwas, das einen näher und näher zu Asmodi, dem HERRN, führte, wie die Schwester Oberin stets betonte? Warum aber konnte sie dann nicht sprechen?

      »Nun, sind deine Sünden so zahlreich, dass du nicht weißt, wo du beginnen sollst?«

      »Ich habe nichts zu beichten, Ehrwürdige Mutter«, log sie und wusste doch, dass sie ihre Gedanken diesmal nicht vor der Schwester Oberin verbergen konnte.

      »Aber Kind, du weißt sehr wohl, dass die Lüge zwar eine Tugend ist, doch der Pfad zu ihr ist die Wahrheit. Hier, vor mir und dem HERRN, musst du Wahrheit sprechen, um die Vollkommenheit der Lüge zu erlangen.«

      Es waren Worte, wie Lotte sie sehr wohl kannte, wenngleich sie sie nicht in vollem Umfang verstand. Und wieder versuchte sie, ihre Verfehlungen laut herauszuschreien, doch erneut kam nicht eine Silbe über ihre Lippen. Etwas – oder JEMAND – hinderte sie daran. War gar derjenige, dessen Name so unrein war wie der Kot eines Hundes, auch in sie gefahren?

      »Deine Gedanken sagen mir, dass du mehrmals schwer gefehlt hast!«, fuhr die Schwester Oberin in strengem Ton fort. »Dein Trotz wird dich teuer zu stehen kommen. Noch bin ich mir nicht sicher, ob er aus dir selbst kommt oder die Beharrung einer Austreibung bedarf. Bis dahin werde ich dich einer zeitlichen Bestrafung unterziehen. Kommst du zur Einsicht, so wird diese sehr kurz sein. Wenn nicht …«

      Sie kam nicht zur Einsicht.

       Schwester Oberin, ja, ich habe gefehlt, mehrmals schwere Sünde auf mich genommen, indem ich mich den Ratten entgegengestellt und Vincenz mit einem Fluch beladen habe. Ich habe gefehlt, indem ich Mitleid gezeigt und mehrmals die Gebete nicht mitgesprochen habe. Ich habe gefehlt, weil ich die Beichte verweigert habe. Ich habe gefehlt, weil ich bin, wie ich bin. O Schwester Oberin, führe mich zurück auf den Weg des alleinigen HERRN, des Allmächtigen und Gewaltigen …

      Das Loch war unter allen Kindern der gefürchtetste Ort auf Asmodis Erden. Die Älteren erzählten sich Geschichten von jenen, die in dem Loch gesessen hatten. Nur wenige hatten es darin lange ausgehalten. Sie hatten um Gnade und Vergebung geschrien. Ihre Schreie waren sogar in den Schlafsälen zu hören gewesen. Jeder, der einmal im Loch gewesen war, war danach geläutert. Es hieß, dass die Ratten einem dort bei lebendigem Leibe die Zehen abfraßen. Es hieß, dass in den Wänden Wesen hausten, die einem Gift desjenigen, dessen Namen man nicht aussprechen durfte, ins Herz spritzten. Es hieß, dass aus der Tiefe Ghoule sich nach oben gruben, weil sie die Nähe des Todgeweihten spürten und ihm schaurige Geschichten von seinem nahenden Ende zuflüsterten. Tag und Nacht.

      Doch im Loch machte es keinen Unterschied, denn darin war es immer Nacht.

      Es hieß zudem, nicht jeder käme aus dem Loch auch wieder hervor. Manche wurden darin vergessen, andere kamen nicht unbeschadet an Körper und Geist wieder ans Tageslicht.

      Alles in allem galt das Loch als Vorstufe zur ewigen Verdammnis, die hier schon begann, eine Art Vorhimmel, der einem vor Augen führte, was man erst im Himmel werde erleiden müssen, wenn man Asmodis Pfad nicht folgte.

      »Die Menschen sind verblendet«, hatten die Schwestern in den Unterrichtsstunden erklärt. »Sie glauben, dass der Himmel etwas Wunderbares wäre, dabei ist es umgekehrt. Doch lassen wir sie in dem Glauben, auf dass sie dort schmoren sollen!«

      »Und die Hölle? Gibt es die Hölle?«, hatte Lotte einmal wissbegierig gefragt.

      »Hölle und Erde sind eins«, hatte die Antwort gelautet. »Zumindest sind die Grenzen durchlässig, sonst würde es auch uns nicht geben. Die Grenzen zum Himmel dagegen sind verschlossen. Wer hätte je vernommen, dass der, dessen Namen wir nicht nennen, hier etwas vollbracht oder gar Wunder gewirkt hätte so wie Asmodi unser?«

      »Aber die Menschen kommen trotzdem in den Himmel. Wie kann er dann verschlossen sein?«, hatte Lotte sich gewundert.

      »Erst nach ihrem Tod gelangen ihre Seelen dorthin, deshalb wird der, dessen Namen wir nicht nennen, auch der Seelenverzehrer genannt.«

      »Kommen auch wir in den Himmel?«

      »Niemals, denn wir sind entweder unsterblich oder Asmodi nimmt sich unserer Seelen an. Nur wenn jemand unrein ist, kommt er zur Strafe in …«

      Das Loch.

      Das Loch war der Himmel.

      Der Himmel war das Loch.

      Die


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