E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen. ÐрнÑÑ‚ Гофман
unter in undeutlichem Flüstern! – Die Stimme hatte ungemein was Süßes, Holdes; Giglio fühlte sich von heimlichen Schauern durchbebt; indem er aber recht scharf aufzuhorchen sich bemühte, wiegte ihn das Flüstern, das beinahe dem Plätschern einer nahen Quelle zu vergleichen, wiederum in tiefen Schlaf. – Die Sonne schien hell ins Zimmer, als ein sanftes Rütteln den Giglio aus dem Schlafe weckte. Meister Bescapi stand vor ihm und sprach, indem er seine Hand faßte, mit gutmütigem Lächeln: „Nicht wahr. Ihr befindet Euch besser, liebster Signor? – Ja, den Heiligen Dank! Ihr seht zwar ein wenig blaß, aber Euer Puls geht ruhig. Der Himmel führte Euch in Euerm bösen Paroxysmus in mein Haus und erlaubte mir, Euch, den ich für den herrlichsten Schauspieler in Rom halte und dessen Verlust uns alle in die tiefste Trauer versetzt hat, einen kleinen Dienst erweisen zu können.“ Bescapis letzte Worte waren freilich kräftiger Balsam für die geschlagenen Wunden; indessen begann Giglio doch ernst und finster genug: „Signor Bescapi, ich war weder krank, noch wahnsinnig, als ich Euer Haus betrat. Ihr wäret hartherzig genug, meine holde Braut, die arme Giacinta Soardi, ins Gefängnis stecken zu lassen, weil sie Euch ein schönes Kleid, das sie verdorben, nein das sie geheiligt, indem sie aus der Nähnadelstichwunde des zartesten Fingers rosigen Ichor darüber verspritzte, nicht bezahlen konnte. Sagt mir augenblicklich, was Ihr für das Kleid verlangt; ich bezahle die Summe und dann gehen wir hin auf der Stelle und befreien das holde, süße Kind aus dem Gefängnis, in dem sie Eures Geizes halber schmachtet.“ – Damit erhob sich Giglio so rasch, als er es nur vermochte, aus dem Bette und zog den Beutel mit Dukaten aus der Tasche, den er, sollt es darauf ankommen, ganz und gar zu leeren entschlossen war. Doch Bescapi starrte ihn an mit großen Augen und sprach: „Wie möget Ihr Euch doch nur solch tolles Zeug einbilden, Signor Giglio? Ich weiß kein Wort von einem Kleide, das mir Giacinta verdorben haben sollte, kein Wort vom Blutfleck, von ins Gefängnis Stecken!“ – Als nun aber Giglio nochmals alles erzählte, wie er es von Beatricen vernommen und insbesondere sehr genau das Kleid beschrieb, welches er selbst bei Giacinta gesehen, da meinte Meister Bescapi, es sei nur zu gewiß, daß ihn die Alte genarrt habe; denn an der ganzen saubern Geschichte sei, wie er hoch beteuern könne, ganz und gar nichts, und habe er auch niemals ein solches Kleid, wie Giglio es geschaut haben wolle, bei Giacinta in Arbeit gegeben. Giglio konnte in Bescapis Worte kein Mißtrauen setzen, da es nicht zu begreifen gewesen, warum er das ihm dargebotene Gold nicht habe annehmen sollen und er überzeugte sich, daß auch hier der tolle Spuk wirke, in dem er nun einmal befangen. Was blieb übrig, als Meister Bescapi zu verlassen und auf das gute Glück zu warten, das ihm vielleicht die holde Giacinta, für die er nun wieder recht in Liebe entbrannt, in die Arme führen werde.
Vor Bescapis Türe stand eine Person, die er tausend Meilen fortgewünscht hätte, nämlich der alte Celionati. „Ei!“ rief er den Giglio lachend an, „ei. Ihr seid doch in der Tat eine recht gute Seele, daß Ihr die Dukaten, die Euch die Gunst des Schicksals zugeworfen, hingeben wolltet für Euer Liebchen, das ja nicht mehr Euer Liebchen ist.“ „Ihr seid“, erwiderte Giglio, „Ihr seid ein fürchterlicher graulicher Mensch! – Was dringt Ihr ein in mein Leben? was wollt Ihr Euch meines Seins bemächtigen? – Ihr prahlt mit einer Allwissenheit, die Euch vielleicht wenig Mühe kostet – Ihr umringt mich mit Spionen, die jeden meiner Schritte und Tritte belauern – Ihr hetzt alles wider mich auf – Euch verdank ich den Verlust Giacintens, meiner Stelle – mit tausend Künsten –“ „Das“, rief Celionati laut lachend, „das verlohnte sich der Mühe, die hochwichtige Person des Herrn Exschauspielers Giglio Fava dermaßen einzuhegen! – Doch, mein Sohn Giglio, du bedarfst in der Tat eines Vormundes, der dich auf den rechten Weg leitet, welcher zum Ziele führt“ – „Ich bin mündig“, sprach Giglio, „und bitte Euch, mein Herr Ciarlatano, mich getrost mir selbst zu überlassen.“ „Hoho“, erwiderte Celionati, „nur nicht so trotzig! Wie? wenn ich das Gute, Beste mit dir vorhätte, wenn ich dein höchstes Erdenglück wollte, wenn ich als Mittler stünde zwischen dir und der Prinzessin Brambilla?“ – „O Giacinta, Giacinta, o ich Unglückseliger habe sie verloren! Gab es einen Tag, der mir schwärzeres Unheil brachte, als der gestrige?“ So rief Giglio ganz außer sich. „Nun nun“, sprach Celionati beruhigend, „so ganz unheilbringend war denn doch der Tag nicht. Schon die guten Lehren, die Ihr im Theater erhieltet, konnten Euch sehr heilsam sein, nachdem Ihr darüber beruhigt, daß Ihr wirklich noch nicht Handschuhe, Hut und Mantel im Stich gelassen, um ein Gericht zäher Makkaroni; dann saht Ihr die herrlichste Darstellung, die schon darum die erste in der Welt zu nennen, weil sie das Tiefste ausspricht, ohne der Worte zu bedürfen; dann fandet Ihr die Dukaten in der Tasche, die Euch fehlten –“ „Von Euch, von Euch, ich weiß es“, unterbrach ihn Giglio. „Wenn das auch wirklich wäre“, fuhr Celionati fort, „so ändert das in der Sache nichts; genug, Ihr erhieltet das Gold, stelltet Euch mit Euerm Magen wieder auf guten Fuß, traft glücklich in Bescapis Haus ein, wurdet mit einem Euch sehr nötigen und nützlichen Aderlaß bedient und schlieft endlich mit Eurer Geliebten unter einem Dache!“ „Was sagt Ihr?“ rief Giglio, „was sagt Ihr? mit meiner Geliebten? mit meiner Geliebten unter einem Dache?“ „Es ist dem so“, erwiderte Celionati, „schaut nur herauf!“
Giglio tat es und hundert Blitze fuhren durch seine Brust, als er seine holde Giacinta auf dem Balkon erblickte, zierlich geputzt, hübscher, reizender, als er sie jemals gesehen, hinter ihr die alte Beatrice. „Giacinta, meine Giacinta, mein süßes Leben!“ rief er sehnsuchtsvoll herauf. Doch Giacinta warf ihm einen verächtlichen Blick herab und verließ den Balkon, Beatrice folgte ihr auf dem Fuße.
„Sie beharrt noch in ihrer verdammten Smorfiosität“, sprach Giglio unmutig; „doch das wird sich geben.“ „Schwerlich!“ nahm Celionati das Wort; „denn, mein guter Giglio, Ihr wißt wohl nicht, daß zu derselben Zeit, als Ihr der Prinzessin Brambilla nachtrachtetet auf kühne Manier, sich ein hübscher stattlicher Prinz um Eure Donna bewarb und wie es scheint –“ „Alle Teufel der Hölle“, schrie Giglio, „der alte Satan, die Beatrice, hat die Arme verkuppelt; aber mit Rattenpulver vergifte ich das heillose Weib, einen Dolch ins Herz stoß ich dem verfluchten Prinzen –“ „Unterlaßt das alles!“ unterbrach ihn Celionati, „unterlaßt das alles, guter Giglio, geht fein ruhig nach Hause und laßt noch ein wenig Blut, wenn Euch böse Gedanken kommen! Gott geleite Euch. Im Korso sehen wir uns wohl wieder.“ – Damit eilte Celionati fort über die Straße.
Giglio blieb wie eingewurzelt stehen, warf wütende Blicke nach dem Balkon, biß die Zähne zusammen, murmelte die gräßlichsten Verwünschungen. Als nun aber Meister Bescapi den Kopf zum Fenster hinaussteckte und ihn höflich bat, doch hineinzutreten und die neue Krisis, die sich zu nahen schien, abzuwarten, warf er ihm, den er auch wider sich verschworen, im Komplott mit der Alten glaubte, ein „verdammter Kuppler!“ an den Hals und rannte wild von dannen.
Am Korso traf er auf einige vormalige Kameraden, mit denen er in ein nahgelegenes Weinhaus trat, um allen seinen Unmut, allen seinen Liebesschmerz, all seine Trostlosigkeit untergehen zu lassen in der Glut feurigen Syrakusers.
Sonst ist solch ein Entschluß eben nicht der ratsamste; denn dieselbe Glut, welche den Unmut verschlingt, pflegt unbezähmbar auflodernd alles im Innern zu entzünden, das man sonst gern vor der Flamme wahrt; doch mit Giglio ging es ganz gut. Im muntern gemütlichen Gespräch mit den Schauspielern, in allerlei Erinnerungen und lustigen Abenteuern vom Theater her schwelgend, vergaß er wirklich alles Unheil, das ihm begegnet. Man verabredete beim Abschiede, abends auf dem Korso in den tollsten Masken zu erscheinen, die nur ersinnlich.
Der Anzug den er schon einmal angelegt, schien dem Giglio hinlänglich fratzenhaft; nur verschmähte er diesmal auch nicht das lange seltsame Beinkleid, und trug außerdem noch den Mantel hinterwärts auf einen Stock gespießt, so daß es beinahe anzusehen war, als wüchse ihm eine Fahne aus dem Rücken. So angeputzt durchschwärmte er die Straßen und überließ sich ausgelassener Lustigkeit, weder seines Traumbilds, noch des verlornen Liebchens zu gedenken.
Doch festgewurzelt an den Boden blieb er stehen, als unweit des Palastes Pistoja ihm plötzlich eine hohe edle Gestalt entgegentrat, in jenen prächtigen Kleidern, in denen ihn einst Giacinta überrascht hatte, oder besser, als er sein Traumbild im hellen wahrhaften Leben vor sich erblickte. Wie ein Blitz fuhr es ihm durch alle Glieder; aber selbst wußte er nicht, wie es geschah, daß die Beklommenheit, die Angst der Liebessehnsucht, die sonst den Sinn zu lähmen pflegt, wenn das holde Bild der Geliebten plötzlich