Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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ließen das Fräulein nur ungern ziehen, das ältere weinte herzbrechend, und Therese war gerührt von der Liebe, die sie in einem jungen Mädchenherzen erweckt hatte, ohne es auch nur zu ahnen. 252

       Inhaltsverzeichnis

      An einem schwülen Hochsommertag bezog Therese mit Franzl zwei möblierte Zimmer mit Küche in einer bequem gelegenen stillen Vorstadtstraße, in einem ziemlich neuen, bescheidenen, aber reinlich gehaltenen Hause. Vorher schon durch Bemühungen aller Art: Anfragen bei Familien, wo sie früher in Stellung gewesen, Antworten auf Zeitungsannoncen, zum Teil unter tätiger Mithilfe von Sylvie, hatte sie sich ein paar Lektionen gesichert, mit deren Ertrag sie zur Not ihr Auskommen zu finden hoffte. Auch eine kleine Summe, die die Frau des Bankdirektors ihr beim Abschied geschenkt hatte, kam ihr zustatten. Unendlich viel bedeutete es für sie, daß sie nun, eigentlich zum erstenmal in ihrem Leben, in einer Art von eigenem Heim wohnen durfte. Sie glaubte zu fühlen, daß ihrem Sohn bisher vielleicht gar nichts anderes zu einer gedeihlicheren Entwicklung gefehlt hatte als das Zusammenleben mit seiner Mutter. Die Schule, die er jetzt besuchte, war von der früheren weit genug entfernt, um den Verkehr mit den bisherigen Kameraden so gut wie unmöglich zu machen. Wie sie es nun schon öfters erfahren, in den ersten Wochen ließ er sich in der neuen Umgebung gar nicht übel an. Ja, ihr war, als lerne sie ihn erst jetzt wirklich kennen. Eine gewisse Kindlichkeit seines Wesens, die allzu früh verlorengegangen war, kam allmählich aufs neue zum Vorschein. Wie schön war es doch, mit ihm gemeinsam am Mittagstisch zu sitzen bei einem Mahl, das sie selbst bereitet, wie wunderbar, abends, wenn sie von ihren Lektionen nach Hause kam, mit einer stürmischen Umarmung von ihm empfangen 253 zu werden, und wie schwoll ihr das Herz, wenn er ihr die Ehre erwies, sie bei irgendeiner schwierigen Aufgabe um Rat zu fragen. Sie fühlte sich wohl, zufrieden, beinahe glücklich. In Briefen an Alfred, die zu schreiben sie plötzlich wieder ein lebhaftes Bedürfnis trieb, sprach sie sich über alle diese Dinge weitläufig aus, und wie der Rückkunft eines Freundes, nicht eines ehemaligen Geliebten, freute sie sich entgegen, als er ihr seine baldige Wiederkunft nach Wien ankündigte, wo er eine Assistentenstelle an der psychiatrischen Klinik antreten sollte.

       Inhaltsverzeichnis

      Eines Tages, zu ihrer Überraschung, erhielt sie nach fast einem Jahr wieder eine Einladung zum Mittagstisch bei ihrem Bruder und fand dort noch andere Gäste, einen jungen Arzt und einen Gymnasialprofessor, beide mit Dr. Karl Faber, wie das Gespräch bei Tische bald erwies, durch politische Interessen verbunden. Karl war es, der das große Wort führte, die beiden andern, auch der um mindestens zehn Jahre ältere Professor, lauschten respektvoll, und Therese gewann den Eindruck, als lege ihr Bruder Wert darauf, ihr einen deutlichen Begriff von seiner hervorragenden Stellung unter den Parteigenossen zu geben. Ihre Schwägerin, die vor wenigen Monaten Mutter eines Kindes geworden war, entfernte sich nach Schluß des Mittagessens, Therese aber blieb in Gesellschaft der Herren, die Unterhaltung nahm eine gemütliche Wendung, und als von dem Beruf Theresens und von ihren persönlichen Erfahrungen als Erzieherin und Lehrerin die Rede war, verhehlte der Gymnasialprofessor nicht sein 254 Bedauern, daß sie so oft genötigt gewesen, in einer untergeordneten, ja, man dürfe wohl sagen, dienenden Stellung im Hause fremdrassiger Leute zu leben, und er bezeichnete es als eine der wichtigsten Aufgaben der Gesetzgebung, so unwürdige Zustände ein für allemal unmöglich zu machen. Er sprach volltönend und druckfertig, im Gegensatz zu dem jungen Arzt, der immer wieder ins Stottern geriet; der Bruder aber, wenn auch beifällig nickend, blinzelte manchmal spöttisch, ja, zuweilen streifte er den Professor mit jenem eigentümlichen, etwas tückischen Blick, den Therese so gut an ihm kannte.

      Von Richard hatte sie Wochen, ja Monate nichts gehört und glaubte sich im Grunde froh, ihn vergessen zu dürfen, als sie eines Tags ganz unerwartet von Sylvie einen Brief erhielt, der sie zu einer neuen Zusammenkunft »avec nos jeunes amis de l’autre jour« einlud. Ihre erste Regung war: abzulehnen. Sie war nun seit längerer Zeit gewohnt, jeden Abend mit ihrem Buben zu Hause zu verbringen. Doch als Sylvie die Einladung persönlich wiederholte, ließ Therese sich überreden und erlebte mit ihr, ihrem blonden Freund und Richard einen Abend, der sich harmlos anließ, immer stürmischer verlief und in ausgelassenster Weise endete. Als sie in der Morgendämmerung nach Hause kam, empfand sie es wie ein unerwartetes, ja unverdientes Glück, daß sie ihren Buben ruhig schlafend in seinem Bette fand. Obwohl sie Richard so wenig etwas übelzunehmen hatte als er ihr, war sie fest entschlossen, ihn niemals wiederzusehen.

      Die Einladungen in das Haus ihres Bruders wiederholten sich von Zeit zu Zeit, und bald begegnete 255 Therese dort auch dem Professor wieder, der nun einen ungeschickt-galanten Ton ihr gegenüber anzuschlagen begann und es sich nicht nehmen ließ, sie gegen Abend den ziemlich langen Weg bis zu ihrem Hause zu begleiten. Wenige Tage später eröffnete ihr der Bruder, daß der Professor sich lebhaft für sie interessiere, sich voraussichtlich bei nächster Gelegenheit ihr gegenüber in aller Form erklären werde, und gab ihr den brüderlichen Rat, einen Antrag auch für den Fall, daß sie sich augenblicklich anderweitig gebunden fühle, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. »Ich habe keinerlei Verpflichtungen«, erwiderte Therese hart und ablehnend. Karl schien ihren Ton nicht bemerken zu wollen und äußerte sich in Worten trockener Anerkennung über seinen Parteigenossen, der, bei den Vorgesetzten sehr gut angeschrieben, im Laufe der nächsten Jahre wahrscheinlich zum Gymnasialdirektor in einer größeren Provinzstadt ernannt werden dürfte. »Und um gleich alles in Betracht zu ziehen,« fügte er mit einem schiefen Blick hinzu, »das, woran du jetzt eben denkst, braucht auch kein Hindernis zu sein.« Theresen stieg das Blut ins Gesicht. »Du hast dich nie um meine Gedanken gekümmert, sie dürften auch jetzt keinerlei Interesse für dich haben.« Er tat wieder, als wenn er ihren ablehnenden Ton nicht merkte, und sprach unbeirrt weiter. »Man könnte es ja auch so auffassen, daß du schon einmal verheiratet warst. Nehmen wir an, du warst es wirklich – und es hat sich herausgestellt, daß es eine rechtsungültige Ehe war. Solche Dinge kommen bekanntlich vor. Du bist an der Sache sozusagen ganz unschuldig.« Er blinzelte an ihr vorbei. – Therese lehnte sich auf: »Ich kann vor jedem 256 verantworten, was ich getan habe, ich werde auch mein Kind nicht verleugnen. Ich hätte es auch dir gegenüber nicht getan. Aber hast du mich je darnach gefragt?« – »Du regst dich ohne Anlaß auf. Eben damit du nichts zu verleugnen brauchst, bin ich ja auf den Einfall mit der rechtsungültigen Ehe gekommen. Du solltest mir eher dankbar sein.« Und einem heftigen Einwand von ihr zuvorkommend: »Der Mutter wäre es jedenfalls auch eine Beruhigung, wenn du endlich in gesicherte Verhältnisse kämst.« Und plötzlich dachte Therese: Warum nicht? Der Mann, den ihr der Bruder vorschlug, war ihr gleichgültig, aber er mißfiel ihr nicht geradezu. Und war sie es ihrem Sohn nicht schuldig, eine solche Möglichkeit nicht ungenützt vorübergehen zu lassen? Ihr Bruder begann ihr die Vorteile dieser Verbindung auseinanderzusetzen: ihr selbst würde die Stellung ihres Mannes in ihrem Beruf zustatten kommen, den sie keineswegs aufzugeben brauchte, im Gegenteil, gerade ein Lehrer, ein Professor wäre der richtige Mann für sie und würde ihre Position festigen.

      Ihre Schwägerin trat ein, mit dem Kind im Arm. Therese nahm es in die ihren, erinnerte sich der ersten Lebenswochen ihres eigenen Sohnes, der kärglichen Stunden, da sie ihn so wie jetzt das Kind ihres Bruders an ihre Brust hatte drücken dürfen. Und es fiel ihr ein, daß sie ja nun vielleicht in einer neuen, in einer wirklichen Ehe wieder ein Kind bekommen und ein Glück erleben konnte, das ihr mit Franzl versagt geblieben war. Doch diesen Gedanken empfand sie gleich wieder wie ein Unrecht, ja, wie eine Untreue gegen ihren Sohn. All das andere Unrecht kam ihr zu Sinn, das sie im Lauf der Jahre mit und ohne Schuld an ihm begangen hatte. 257 Tränen traten ihr in die Augen, während sie das Kind des Bruders noch in den Armen hielt. Sie fühlte sich außerstande, die Unterredung fortzusetzen, und verabschiedete sich in der schmerzlichsten Verwirrung.

      Der Zufall fügte es, daß sie wenige Tage nachher Richard begegnete. In seiner Zivilkleidung erschien er ihr diesmal zugleich elegant und herabgekommen. Der schwarze Samtaufschlag des vortrefflich sitzenden Überziehers war etwas abgeschabt und der Lack der wohlgeformten Schuhe an manchen Stellen abgesprungen. Das Monokel saß


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