Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
mit Therese anschlossen, die sich immer länger ausdehnten.
Eines Abends auf einer Bank in den Anlagen des Mönchsbergs sprach er wieder einmal davon, daß er im Herbst die Wiener Universität beziehen werde, um Medizin zu studieren, was Theresen freilich wie das meiste, was er ihr sagte, nicht neu war, und gestand ihr, was sie auch nicht überraschte, daß er nur deshalb auf eine Ferialreise verzichtet habe, um diese paar letzten Monate in ihrer Nähe zu verbringen. Sie blieb ungerührt, ja wurde eher ärgerlich, denn ihr war nicht anders, als ob dieser junge Mensch, dieser Knabe in all seiner Bescheidenheit ihr eine Art von Schuldschein vorzuweisen sich unterfing, den einzulösen sie wenig Lust verspürte.
Zwei Offiziere gingen vorbei, der eine war Theresen vom Sehen längst bekannt, wie die meisten Herren von 23 den hier garnisonierenden Regimentern; die Erscheinung des andern aber war ihr neu; es war ein glattrasierter, dunkelhaariger, schlanker Mensch, der, was ihr besonders auffiel, die Kappe in der Hand hielt.
Seine Augen streiften Therese ganz flüchtig, aber als Nüllheim und der andere Offizier einander grüßten, grüßte auch er, und zwar, da er barhaupt war, nur durch ein lebhaftes Neigen seines Kopfes, und richtete einen lebhaften, beinahe lachenden Blick auf Therese. Doch er wandte sich nicht nach ihr um, wie sie eigentlich erwartet hätte, und verschwand mit seinem Begleiter bald in einer Biegung der Allee. Die Unterhaltung zwischen Therese und Alfred wollte nicht wieder in Fluß geraten, beide erhoben sich und gingen langsam in der Dämmerung nach abwärts.
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Karls Heimkehr wurde für Anfang August erwartet; statt seiner aber kam ein Brief, daß er nach Salzburg nicht mehr zurückzukehren gedenke und den ihm monatlich zugesicherten kleinen Betrag von jetzt an nach Wien zu senden bitte, wo es ihm bereits gelungen sei, sich durch ein Zeitungsinserat eine Lektion bei einem Mittelschüler zu verschaffen. Eine beiläufige Frage nach dem Befinden des Vaters und Grüße an Mutter und Schwester beschlossen den Brief, in dem nicht das leiseste Bedauern über eine doch wahrscheinlich endgültige Trennung mitzuzittern schien. Der Mutter machte Inhalt und Ton des Briefs keinen sonderlichen Eindruck; Therese aber, so kühl auch ihre Beziehungen zu dem Bruder sich allmählich gestaltet hatten, kam 24 sich nun zu ihrer eigenen Verwunderung völlig verlassen vor. Sie nahm es Alfred übel, daß er nicht der Mensch war, ihr über dieses Gefühl des Alleinseins wegzuhelfen, und seine Schüchternheit begann ihr etwas lächerlich zu erscheinen. Als er aber einmal auf einem Spaziergang außerhalb der Stadt ihren Arm nahm und ihn leise drückte, machte sie sich mit übertriebener Heftigkeit von ihm los und verhielt sich noch beim Abschiednehmen am Haustor kalt und abweisend gegen ihn.
Eines Tages machte die Mutter ihr den Vorwurf, daß sie sich überhaupt nicht mehr um sie bekümmere und nur mehr für Herrn Alfred Nüllheim Zeit zu haben scheine. In derselben Stunde noch schloß sich Therese ihrer Mutter zu einem Spaziergang durch die Stadt an, bei welcher Gelegenheit sie merken konnte, daß Frau Fabiani von zwei Damen, die früher im Hause verkehrt hatten, nicht gegrüßt wurde. Eine Promenade tags darauf führte sie weiter hinaus bis außerhalb der Stadt; jenseits des Felsentors kam ihnen ein älterer Herr mit grauem Schnurrbart entgegen, der anscheinend an ihnen vorbeigehen wollte; plötzlich aber blieb er stehen und bemerkte in einer etwas affektiert klingenden Sprache: »Frau Oberstleutnant Fabiani, wenn ich nicht irre?« – Frau Fabiani sprach ihn als Graf an, stellte ihm ihre Tochter vor; er erkundigte sich nach dem Befinden des Herrn Oberstleutnants und erzählte ungefragt von seinen beiden Söhnen, die, nach dem kürzlich erfolgten Tod seiner Frau, in einem französischen Konvikt erzogen wurden. Als er sich verabschiedet hatte, bemerkte Frau Fabiani: »Graf Benkheim, der frühere Bezirkshauptmann. Hast du ihn denn nicht erkannt?« Therese wandte sich unwillkürlich nach ihm 25 um. Seine Hagerkeit fiel ihr auf, der elegante, etwas zu helle Anzug, den er trug, sowie der jugendlich rasche, absichtlich federnde Schritt, mit dem er sich rascher entfernte, als er herangekommen war.
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Am Tag nach dieser Begegnung erwartete Therese daheim Alfred Nüllheim, der ihr Bücher bringen und sie zu einem Spaziergang abholen sollte. Es war ihr eigentlich lästig; lieber wäre sie allein spazieren gegangen, trotzdem sie in der letzten Zeit öfters von Herren verfolgt und etliche Male auch schon angesprochen worden war. Wie immer zu dieser Jahreszeit, gab es viele Fremde in der Stadt. Therese hatte seit jeher einen offenen, neugierigen Blick für alles, was nach Vornehmheit und Eleganz aussah; als Zwölfjährige schon in Lemberg hatte sie für einen hübschen jungen Erzherzog geschwärmt, der im Regiment des Vaters als Leutnant diente, und sie bedauerte manchmal, daß Alfred, der doch aus wohlhabendem Hause war, trotz seiner guten Figur und seines feinen Gesichts sich gar nicht nach der Mode, ja geradezu kleinstädtisch zu kleiden pflegte. Die Mutter trat ins Zimmer, äußerte ihre Verwunderung, daß Therese bei dem schönen Wetter noch zu Hause sei, und fing wie beiläufig vom Grafen Benkheim zu sprechen an, den sie heute zufällig wieder getroffen hatte. Er interessiere sich für die kriegswissenschaftliche Bibliothek des Vaters, die er gelegentlich besichtigen wolle, um sie vielleicht käuflich zu erwerben. »Das ist nicht wahr«, sagte Therese, und ohne Gruß verließ sie das Zimmer. Sie nahm Hut und Jacke, 26 lief die Treppe hinab. Im Hausflur begegnete ihr Alfred. »Endlich«, rief sie. Er entschuldigte sich; er war zu Hause aufgehalten worden. Schon dämmerte es. Was ihr denn wäre, fragte Alfred, sie sehe so erregt aus. »Nichts«, erwiderte sie. Übrigens habe sie ihm einen komischen Einfall anzuvertrauen. Wie wär’s, wenn sie heute zusammen in einem der großen, schönen Hotelgärten zu Abend essen würden? Er und sie ganz allein unter lauter fremden Leuten? Er errötete. Oh, wie gern, wie gern; aber – leider – gerade heute sei es vollkommen unmöglich. Er habe nämlich kein Geld bei sich; jedenfalls zu wenig für ein gemeinsames Souper in einem der vornehmen Hotels, an die sie denke. Sie lächelte, sie sah ihn an. Er war noch tiefer errötet und rührte sie ein wenig. – »Das nächste Mal«, bemerkte er schüchtern. Sie nickte. Dann gingen sie weiter durch die Straßen, bald waren sie außerhalb der Stadt und nahmen ihren Lieblingsweg durch die Felder. Der Abend war schwül, die Stadt wich immer weiter hinter ihnen zurück, Sternenlos hing über ihnen der dämmernde Himmel. Sie wandelten zwischen hochstehenden Ähren; Alfred hielt Theresens Hand gefaßt und fragte nach Karl. Sie zuckte die Achseln. »Er schreibt beinahe nie«, erwiderte sie. »Ich habe überhaupt noch nichts von ihm gehört,« sagte Alfred, »seit er fort ist.« Dann kam er wieder auf seine eigene, bald bevorstehende Abreise zu reden. Therese schwieg und sah an ihm vorbei. Ob sie ihm wenigstens nach Wien schreiben werde?
»Was sollte ich Ihnen schreiben?« erwiderte sie ungeduldig. »Was gibt es von hier zu erzählen? Ein Tag wird sein wie der andere.« – »Auch jetzt ist ein Tag 27 wie der andere,« erwiderte er, »und man hat sich doch immer was zu erzählen. Aber ich will auch zufrieden sein, wenn Sie mir nur manchmal einen Gruß senden.«
Aus dem wogenden Feld waren sie wieder auf die Straße hinausgetreten. Die Pappeln ragten hoch; als dunkle Wand in scharf gezogenen Linien schloß der Nonnberg mit seinen düsteren Festungsmauern das Bild ab. »Sie werden Heimweh haben«, sagte Therese plötzlich mild. – »Nur nach dir«, antwortete er. Es war das erste Du, das er an sie richtete, und sie war ihm dankbar dafür. »Warum eigentlich bleibst du mit der Mutter in Salzburg? Was hält euch hier?« – »Was zieht uns anderswo hin?« – »Es wäre am Ende auch möglich, deinen Vater in eine andere Anstalt zu überführen – in der Nähe von Wien.« – »Nein, nein«, entgegnete sie heftig. – »Du hattest ja die Absicht – du sprachst von einem Beruf, einer Stellung –« – »Das geht nicht so rasch. Ich habe noch eine Lyzealklasse vor mir, auch müßte ich wohl eine Lehrerinnenprüfung machen.« Sie schüttelte heftig den Kopf, denn es war ihr, als sei sie an den Ort, an die Gegend geheimnisvoll gefesselt. Und ruhiger fügte sie hinzu: »Du bist doch zu Weihnachten jedenfalls wieder hier, schon wegen deiner Familie?« – »Bis dahin ist es lang, Therese.« – »Du wirst gar keine Zeit haben, an mich zu denken. Du hast ja zu studieren. Du wirst neue Menschen kennenlernen, auch Frauen, Mädchen.« Sie lächelte, sie fühlte keine Eifersucht, sie fühlte