Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
nacht noch muß mein erster Bericht nach Chikago gehen. Wozu hätte ich denn den Manager des Ganzen zum Freund, wenn ich nicht schon heute als geschehen melden könnte, was morgen erst geschieht. Die Manuskripte der Reden hast du mir ja schon zur Verfügung gestellt.«
»Hast du eskamotiert, mein Lieber«, warf Isenbrandt trocken ein.
»Fehlt mir nur noch die Kenntnis der Stätten, an denen sich alles abspielen wird … Aber by Jove, es ist wirklich kaum noch was zu sehen. Hol der Teufel die Mückenbrut!«
Wieder griff Isenbrandt nach einem Schalter und sprach von seinem Platz aus leichthin ein paar Worte. Fast im gleichen Moment hob sich das Schiff leicht von den Fluten ab. Während das Wasser noch von seinem Kiel tropfte, reckte es zwei weite Schwingen aus und strich wie ein gewaltiger Nachtvogel über die Seefläche. Schnell verjagte der frische Fahrwind die unwillkommenen Gäste. In freiem Ausblick konnte Wellington Fox den See und seine südlichen Ufer überschauen.
»Ein wunderbares Bild, Georg. Wir sehen es heut das letztemal. Ich kann begreifen, daß du den Flug hierher schon öfters zu deiner Erholung gemacht hast. Die dunkelnden Fluten mit den rosigen Lichtern der Abendsonne. Im Osten die unabsehbaren Rohrhorste. Ein Bild, das jedes Malerauge entzücken muß. Dazu die wohltätige Ruhe einer unberührten Natur. Wie schade, daß das alles verschwinden muß! Schon morgen werden es ewige Nebel und Dämpfe verhüllen … Doch eins, Georg. Die Frage brennt mir schon seit langem auf dem Herzen. Was ich bei unserer letzten Fahrt in der Steppe erlebte … Was ich in Peking sah … ist danach das alles hier noch notwendig?«
»Ich habe dich einen tiefen Blick in meine Karten tun lassen, alter Fox, weil ich deine Verschwiegenheit kenne … Deine Frage ist an sich berechtigt. Doch andere Gründe spielen mit, bewegen mich, das geschehen zu lassen, was morgen geschieht.«
Während Georg Isenbrandt sprach, schien alle Abspannung von ihm zu weichen. Er erhob sich und schritt in der Kabine hin und her.
»Das Programm für den morgigen Tag wurde früher erdacht als das, was du gesehen. Das Programm aufzugeben, wäre in doppelter Hinsicht verkehrt. So gut kommt die Gelegenheit nie wieder, die Augen des Mutterlandes Europa auf uns zu richten, die wir hier im fernen Osten als Pioniere der weißen Rasse kämpfen. Hier werden seine Vertreter mit eigenen Augen sehen, wie groß das Werk ist, welche Bedeutung es für Europa hat. Gerade hier sollen die Herren Diplomaten sehen, wie wichtig die Ilifrage für uns ist. Und dann … die Gelben … mein letzter Trumpf muß bis zum letzten in meiner Hand bleiben. Ist der einmal ausgespielt, dann mag auch der See sein altes Aussehen wiedergewinnen!«
Während Georg Isenbrandt sprach, ging das Schiff wieder bis auf den Seespiegel hinab. In langsamer Fahrt näherte es sich einem gewaltigen, bojenartigen Körper, dessen massiger Rumpf sich silbergrau von den Fluten abhob.
Unheimlich, fremdartig und drohend wirkte der riesige Metallkörper an dieser Stelle. Wellington Fox sprach zuerst.
»Also hier schwimmt der Mörder des Sees.« Schon hatte er den photographischen Apparat gerichtet. Eine Leuchtkugel entschwebte seiner Hand, stieg empor und badete die Landschaft für den tausendsten Teil einer Sekunde in einer Überfülle ultravioletten Lichtes.
»Auch eskamotiert, mein lieber Georg! Nun weiter, zu der Strandkanzel hin, von der sie morgen die Leichenreden halten werden.«
Georg Isenbrandt lachte. »Deine amerikanische Presse wird hier besser von dir bedient als damals in Peking. Übrigens, unter den amerikanischen Gästen ist auch Mr. Francis Garvin.«
»Nebst Tochter!«
»Ah, du weißt schon, schlauer Fuchs?«
»Verabredetermaßen.«
»Mit ihm oder der Tochter?«
»Wo denkst du hin. Der Alte verhält sich dauernd ablehnend. Vielleicht werde ich hier einen Speech mit ihm haben, durch den die Sache endlich eine andere Wendung bekommt.«
»Gehört er nicht dem Weißen Orden an?«
»Leider nein! Sonst würde er jetzt schon anders von mir denken. Sein allzu reger Geschäftssinn läßt ihm keine Zeit für Ideale. Sonst wären seine Siedlungen an der Sierra Nevada nicht zum Teil in schwärze Hände geraten.«
»Armer Fox!«
»Keine Ursache dazu. Keine Bange um mich, Georg! Mit dem Alten werde ich fertig. Aber du? Hast du Nachricht von Ahmed über Maria?«
Die Züge Isenbrandts verfinsterten sich. Schweigend schüttelte er den Kopf.
»Mut, Georg! Übermorgen sind die Sachen hier zu Ende. Dann gehe selber für dich suchen.«
Am steilen, schilffreien Südufer des Sees erhob sich, von mächtigen, blumengeschmückten Tribünen umflankt, die Kanzel für den Festtag. Die Flaggen aller europäischen Staaten und die Embleme der E. S. C. zierten den hochragenden Balkenbau.
Wie einst um den Turm von Babel, so wogten auch hier alle Völker und Sprachen der Erde durcheinander.
Ein Chaos von Farben! Bunt waren die Trachten, bunt die Gesichter. Heiter der Himmel und heiter die Mienen.
Den größten Teil der Besucher stellten die Siedler aus den Kolonien der E. S. C. Zu Tausenden umbrandeten sie die Tribüne.
Weiter zurück Massen der alten Herren des Landes, der Kirgisen. Die Neugier trieb sie wohl hierher, doch ihre finsteren Gesichter verrieten, daß sie wenig Freude an dieser Feier hatten. Wer näher hinschaute, der hätte wohl aus ihren Blicken wenig Gutes für die Zukunft der Siedlungen und der Siedler herauslesen können.
Um die elfte Stunde bestieg der Präsident der E. S. C. die Kanzel. Zehntausende lauschten aufmerksam seiner Rede.
In kurzen, knappen Worten schilderte er die Arbeiten der Gesellschaft von ihren Anfängen am Aralsee bis zur Mauer des Thian-Schan. Er sprach auch von den vielen Schwierigkeiten, die Himmel und Erde, Wasser und Luft, Zeiten und Winde und nicht zuletzt die Menschen selbst dem Werke bereitet hätten. Er betonte den friedlichen Zweck der Arbeiten. Wie sie bestimmt seien, allen, auch den früheren Bewohnern dieser ehemaligen Wüsten, nur Nutzen zu bringen.
Doch gar mancher Kopf unter den Zuhörern wandte sich der Diplomatentribüne zu, auf der die Vertretungen der asiatischen Nationen ihren Platz hatten, als er fortfuhr:
»Wenn dies Ziel heute noch nicht voll erreicht ist, so bedauern wir das. Unverstand und Mißtrauen haben in Verkennung unserer Absichten manchmal die friedliche Entwicklung unserer Arbeiten gestört. Und« – hier wandte er sich zu den Vertretern der Kolonien – »und oft werden eure Augen mit Bangen nach Sonnenausgang geblickt haben. Heut kann ich euch sagen, daß die Mutter, die euch aus ihren Armen entlassen hat, stets hilfsbereit hinter euch steht. Wie einst das alte Rom hinter seinen Kindern, die als ver sacrum in die Fremde zogen …«
Seine weiteren Sätze gingen unter in dem tosenden Jubel und den brausenden Beifallstürmen, die bei diesen Worten in allen Sprachen Europas aus den Kehlen der Kolonisten drangen.
Der Beifallssturm mochte dem Redner wohl etwas überraschend kommen. Um die Spitze, die unverkennbar darin enthalten war, abzubrechen, schritt er zum Taster, der die Funkenstation auf der Tribüne betätigte.
Ein kurzer Druck seiner Hand auf die Tasten … ein Rad begann sich schnurrend zu drehen. Auf Ätherwellen flog die Sprengdepesche über den See hin.
Von Menschen verlassen, unbemannt, lag dort die Riesenboje. Aber in ihre Antenne fingen sich die Zeichen der Depesche. Exakt arbeiteten ihre Relaiswerke und begannen ihrerseits zu schalten und zu wirken.
Noch tobte der Jubel der großen Masse. Schon aber richteten die Tribünenbesucher, welche die Bewegung des Präsidenten aus nächster Nähe gesehen und richtig gedeutet hatten, ihre Gläser auf die weite Seefläche.
Jetzt sah es auch die Menge. Rufe des Staunens, der Überraschung in allen Sprachen. Ist’s schon so weit? Geht es schon los? Wird schon gesalzen?
Im Nu war der Platz um die Tribünen geleert. Ein Teil der Massen strömte so nah wie möglich an das Seeufer heran. Der andere