Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
sie halb offen stehen und gestattete den Freunden, zu sehen und zu hören, was in dem anstoßenden Hotelsaal vor sich ging.
Aus dem Stimmengewirr, das herüberklang, hoben sich deutsche Worte heraus. Eine Frauenstimme war es. Ein junges Mädchen, das mit einem der Platzschaffner, einem deutschen Wolgakolonisten, sprach. Wellington Fox sah ein feines Gesicht von rein deutschem Typ. Lichtblondes Haar umrahmte die schmale Stirn, unter der lichtblaue Augen erglänzten.
Sie beklagte sich über den Ausfall des Schiffes nach Andischan. In diesem Augenblick sprach sie mehr zu sich selbst als zu dem Schaffner.
»Mein Vater erwartet mich. Was wird er sagen, wenn ich ausbleibe? … Er wird in Angst um mich sein … Was soll ich nur tun?«
Der gutmütige Schaffner suchte sie zu trösten. Wie ein Koloß stand seine riesenhafte Figur vor ihrer zarten Gestalt.
»Wir können ja telephonieren. Wohin wollen Sie denn … nach Kaschgar … ein bißchen weit … telephonieren wir doch …«
Wellington Fox wiederholte mechanisch die letzten Worte.
»Nach Kaschgar will sie … wer mag sie sein?«
»Wer mag sie sein …«
Schwer und langsam waren die Worte von den Lippen Georg Isenbrandts gefallen. Wie traumverloren und geistesabwesend saß er auf seinem Stuhl. Wellington Fox wandte ihm halb den Rücken zu, so daß er die plötzliche Veränderung nicht bemerken konnte, die im Wesen seines Freundes vorging. In seiner leichten Weise plauderte er weiter.
»Weißt du, als Ritter ohne Furcht und Tadel sollten wir uns des armen Dinges annehmen. Wir haben den ganzen Luftkahn für uns. Was steht dem im Wege, daß wir sie bis Ferghana mitnehmen … Soll ich zu ihr gehen, es ihr anbieten?«
Er erhielt auf seine Frage keine Antwort und wandte sich um.
»Na! … Georg! Wie denkst du darüber?«
Noch einmal kam die kurze Frage von den Lippen Georg Isenbrandts: »Wer mag sie sein?«
Jetzt wandte Wellington Fox sich ganz um.
»Was hast du denn, Georg … was ist dir?«
Georg Isenbrandt stützte seine Stirn in die Hände.
»Eine Erinnerung … aus schönen, allzu schnell vergangenen Tagen.«
Isenbrandt sprach. Langsam und stockend, als ob ihm die Worte nur schwer von den Lippen wollten:
»… Dieses junge Mädchen … wie ich die Stimme hörte … als ob ich sie hörte … als ich ihre Gestalt sah … als ob ich sie wiedersähe … Maria … Maria Ortwin …! So war sie … Maria Ortwin … so sprach sie … so sah sie aus …«
Wellington Fox versuchte sich die Szene zu erklären. Er wußte von dem kurzen Liebesglück seines Freundes. Lodernde, brennende Liebe … eine Verlobung … ein reiches Glück und dann die jähe Trennung durch den Tod. Aus blühendem Leben wurde Maria Ortwin in wenigen Tagen dahingerafft.
Wellington Fox war damals in den Vereinigten Staaten. Er hatte die verstorbene Braut seines Freundes nie gesehen. Aber er begriff wohl, daß hier eine täuschende Ähnlichkeit obwalten müsse. Eines jener so seltenen Naturspiele, das Ähnlichkeiten der Stimme und des Aussehens bis zum Verwechseln schafft. Er sah, wie sehr Georg Isenbrandt unter dem Eindruck dieser Ähnlichkeit stand, unter ihr litt, von ihr bewegt wurde.
»Ich glaube, Georg, wir tun ein gutes Werk, wenn wir die junge Dame mitnehmen. Soll ich sie auffordern?«
»Ja … wenn sie mit uns fahren will. Sprich du mit ihr.«
Mit großer Geschwindigkeit ging Wellington Fox daran, diesen Auftrag zu vollziehen. Georg Isenbrandt sah, wie sein Freund dienerte, sprach und lachte. Wie das junge Mädchen erst erstaunt und dann erfreut aufsah, ebenfalls lächelte und die Einladung mit Dank annahm. Er sah, wie der ewig muntere und immer gut gelaunte Wellington Fox sofort in flotter Unterhaltung war, und dachte: Wie schwer ist doch dein eigenes Blut. Wie schwer trägst du an allem, was dieser da spielend überwindet …
Und dann stand Wellington Fox bei ihm und machte ihn mit Maria Feodorowna Witthusen bekannt.
»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie mir die Möglichkeit geben, sofort nach Ferghana weiterzukommen.
»Ich bin glücklich, wenn ich Ihnen diesen Dienst erweisen kann …«
Er stockte und schwieg. Auch das Mädchen schwieg. Eine leichte Röte flutete über ihre Wange. Wie im Traum schritt Georg Isenbrandt an ihrer Seite. Sprunghaft überflogen seine Gedanken die letzten Jahre. Wie im Traum glaubte er an der Seite derjenigen zu schreiten, die er einst so sehr geliebt hatte und die nun schon so lange im Grabe lag.
Zu dritt bestiegen sie den Kompagniekreuzer und nahmen in der reservierten Kabine Platz.
In forcierter Fahrt schoß der Kreuzer über die Hungersteppe dahin. Der alte Name hatte heute nur noch historische Bedeutung. Wo sich früher eine dürftige und trostlose Steppe dehnte, da grünten jetzt üppige Felder. Ein fruchtbarer Boden war es, der unter den warmen, gleichmäßig über das ganze Jahr verteilten Regengüssen hier reiche Ernten gab.
Zu dritt betrachteten sie das herrliche Landschaftsbild.
Maria Feodorowna, frohen Herzens, daß jede Propellerdrehung sie ihrem Reiseziel, dem väterlichen Hause in Kaschgar, näher brachte. Wellington Fox vollkommen in seinem Fahrwasser als Kavalier und Cicerone. Georg Isenbrandt noch schweigsamer und nachdenklicher, als es sonst seine Art war.
Wellington Fox trug die Kosten der Unterhaltung. Bald erklärte er die Einzelheiten der unter ihnen fortziehenden Landschaft, bald machte er seiner schönen Reisegefährtin allerlei Komplimente. Während er sprach, ruhte der Blick Maria Feodorownas häufig auf dem Oberingenieur. Isenbrandt saß so, daß sie ihn von der Seite im vollen Profil erblickte. Verstohlen betrachtete sie diese energischen, durchgeistigten Züge, deren natürliche Härte durch einen Anflug von Trauer gemildert schien.
Georg Isenbrandt erhob sich, um eine Karte aus dem Nebenraum zu holen. Forschend schaute ihm Maria Feodorowna nach. Dann richtete sie eine Frage an Wellington Fox.
»Ist Ihr Freund immer so schweigsam und ernst?«
»Immer … Nein! … Nicht immer … Gewiß, sein Charakter ist ernst. Heute kommt ein besonderer Grund hinzu … Wissen Sie, Fräulein Witthusen, warum wir so schnell bereit waren, Sie mitzunehmen?«
Ein leichtes Erstaunen glitt über die Züge Maria Feodorownas.
»Aus welchem Grunde? … Ich habe darüber noch nicht nachgedacht … Ich war so angenehm überrascht, schnell weiterzukommen, daß ich Ihre Einladung gern angenommen habe, ohne viel über die Gründe nachzudenken … aber ich nehme an, Herr Fox, daß Ihre Ritterlichkeit Sie bewog, einer Dame in der Verlegenheit beizuspringen … Sollte ich mich darin täuschen?«
»Aber nein, Fräulein Witthusen, wir hätten wohl in jedem Falle so gehandelt. In Ihrem Falle kam aber noch ein besonderer Grund hinzu … Ein Grund, der Ihnen auch die besonders ernste Stimmung meines Freundes erklären kann …«
»Sie machen mich neugierig, Mr. Fox. Darf man den Grund wissen?«
»Ich sehe nicht ein, warum ich ihn verheimlichen sollte. Sie gleichen in Stimme und Gestalt einer Frau, die Georg Isenbrandt vor Jahren über alles geliebt hat …«
»… einer Frau, die Ihr Freund liebte? … Wo ist sie geblieben … und warum …«
»Sie ist tot … in wenigen Tagen wurde sie aus blühendem Leben dahingerafft … Ich war in Amerika, als sie Maria Ortwin begruben. Als ich zurückkam, war mein Freund ein stiller Mann geworden, der nur noch seiner Arbeit lebte …«
Wellington Fox legte den Finger an die Lippen. Georg Isenbrandt kam wieder in den Raum. Er trug die Karten und breitete sie auf dem Tisch aus. Wellington Fox begann von den Arbeiten zu sprechen, während Georg Isenbrandt nur wenige erläuternde Worte hinzufügte. Sein Blick umfing die Gestalt Maria Feodorownas, und sein Ohr sog den Klang ihrer