Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
und das möchte ich um jeden Preis verhüten; man versteht sich oder man versteht sich nicht, und der Gesellschaft irgendwelche Suggestionen aufzudrängen fühle ich mich nicht berufen.
Es wurde still; nur der Redakteur des Kreisblattes, der im Gerüche sozialdemokratischer Ideen stand, schien sehr froh zu sein.
Er wollte Falk durchaus noch weiter treiben: der Mann nahm ja kein Blatt vor den Mund; der sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
– Ja, sagen Sie, Herr Falk, Sie sind ein Ultrarevolutionär, wie ich sehe. Sie leben nun in einem monarchischen Staate. Selbstverständlich sind Sie mit einem solchen Zustand nicht zufrieden. Was sagen Sie zu einer monarchischen Staatsverfassung?
Der Redakteur freute sich schon darauf, seine Ideen vor den reaktionären Elementen bestätigt zu finden.
– Hm; wissen Sie, Herr Redakteur, Sie stellen mir da eine verfängliche Frage. Ich war einmal in Helsingborg, und zwar mit einem Freunde, der ein Anarchist, zugleich aber auch ein großer Künstler ist. Wir standen auf dem Trajektschiff und sahen auf ein prächtiges, altertümliches Schloß, das schon Shakespeare im Hamlet erwähnt.
Wissen Sie, was mein Freund, der Anarchist, sagte? Ja, er sagte, daß das, was er nun sagen wolle, mich gewiß sehr befremden werde, aber er müsse zugestehen, daß derartige Prachtwerke nur unter einer monarchischen Herrschaft möglich seien. Ja, ganz gewiß; sehn Sie sich doch nur die Herrschaft der Bourbonen in Frankreich an, und vergleichen Sie damit die Herrschaft der ersten Republik. Sehn Sie sich das zweite Kaiserreich und die unendlich reichen Kunsttraditionen an, die in ihm entstanden sind und die nur in dem Glanze, der Verschwendung und der Wollust eines königlichen Hofes gedeihen können. Nun haben Sie hier in Preußen einen Friedrich Wilhelm den IV., in Bayern einen Maximilian und einen Ludwig. Nehmen Sie zur Hand die Kunstgeschichte, ja die Geschichte der Artverfeinerung, der Veredelung des Menschengeschlechtes, und Sie werden selbst entscheiden können.
Nein, ich will keine Demokratie; sie verflacht und verpöbelt die Menschheit, macht sie roh und lenkt sie in bornierte Interessenwirtschaft. Da kommen die Krämer zur Herrschaft, die Kleone, die Gerber und Bauern, die alles hassen, was schön ist, was hoch steht. Nein, ich will nicht die Plebejerinstinkte gegen alles Höhergeartete entfesselt wissen.
Die ganze Gesellschaft schien auf einen Schlag mit Falk ausgesöhnt zu sein. Aber nun kam der Rückschlag.
Er sympathisiere trotzdem mit allen revolutionären Ideen. Ja, das tue er wirklich. Selbst sei er nicht tätig; dazu interessiere ihn das Leben viel zu wenig. Er sehe nur zu und verfolge die Entwicklung, etwa wie ein Astronom in dem Okular seines Teleskopes die Bahn eines Sternes verfolge.
Ja, er sympathisiere wirklich mit den Sozialdemokraten. Er habe nämlich einen Glauben, der auf folgenden Prämissen beruhe. Die postulierte ökonomische Gleichheit sei durchaus nicht mit einer Gleichheit der Intelligenzen zu verwechseln. Er sei nun überzeugt, daß in einem Zukunftsverbande der Menschen sich eine Oligarchie der Intelligenzen ausbilden werde, die nach und nach zur Herrschaft gelangen müsse. Dann werde freilich der Lauf der Dinge von Neuem seinen Anfang nehmen; aber er hoffe, daß eine solche Herrschaft ein besserer Anfang sei, als der der jetzigen Kulturepoche, die mit wilder Barbarei begonnen habe.
Die herrschende Klasse sei verarmt, durch Inzucht und übergroße Verfeinerung entartet. Die Gefahr einer rohen, ekelhaften Parvenuherrschaft, der Herrschaft von Geldprotzen und unsaubern Händen, stehe bevor. Nein, tausendmal nein: das möchte er nicht erleben. Lieber stürzen! er sei mit Freuden dabei.
Der Redakteur erholte sich, er schien zufrieden gestellt.
– Nur noch eine Frage ... Was Falk wohl zu der jetzigen Regierung meine?
– Die jetzige Regierung sei der Kaiser, und für den Kaiser habe er viel Sympathie. Ja, wirklich; er gefalle ihm außerordentlich. Er habe neulich den Hauptmann der Brandmannschaften urplötzlich zum Oberbrandmeister ernannt. Und warum? Weil er den Schloßplatz bei einer Parade so vorzüglich abgesperrt hatte. Die Ernennung sei nicht nach den bürokratischen Prinzipien ausgefallen; aber darin liege eben das Schöne, die Willkür, die große Seele. Kurz alles was so ungemein zu schätzen sei: Nein, er habe wirklich sehr viel Sympathie für den Kaiser, und er trinke auf das Wohl des deutschen Kaisers!
Die Anwesenden sahen sich verdutzt an. Aber alle erhoben sich und stimmten in den Trinkspruch ein.
Der sozialdemokratisch angehauchte Redakteur glaubte unter den Tisch fallen zu sollen; aber er begnügte sich mit einem nichtssagenden Grinsen.
Die Tafel wurde abgebrochen.
Falk fühlte instinktiv zwei brennende Augen auf sich gerichtet. Er sah nach der Seite und traf Marits Blick der bewundernd an ihm hing.
Sie schlug die Augen zu Boden.
Falk ging auf sie zu. Sie waren sich ganz nahe; sie wurden durch die vielen Menschen die sich aus dem Speisezimmer drängten, vorgeschoben und eng an einander gepreßt.
Falk überrieselte ein warmer Strom.
– Erik, Sie sind ein herrlicher ... ein großer Mensch ... Eine dunkle Flutwelle färbte ihr Gesicht.
Falk sah sie heiß an. Ein Glanz von Stolz und Liebe verklärte ihre Züge.
– Sie sind ja ein Teufelskerl! kam Herr Kauer an. Das nenn ich männlich sprechen! Unser Einer möchte wohl auch mal dies und jenes sagen, aber wir wagen es nicht. Verderben Sie mir nur das Mädchen nicht; so revolutionär dürfen Sie zu ihr nicht sprechen. Falk wollte etwas einwenden.
– Nun, nun, begütigte Herr Kauer, ich habe zu Ihnen unbedingtes Vertrauen; Sie haben das Herz auf der Zunge. Leben Sie mir wohl. In einer Woche bin ich zurück. Sie dürfen mir nicht wegfahren, verstehen Sie?
Herr Kauer ging.
– Oh, wie Sie herrlich gesprochen haben ... Sie glauben gar nicht ... Marit sah Falk voll Bewunderung an.
– Oh nein, Fräulein Marit, das war gar nicht herrlich gesprochen; gegen jeden dieser Sätze ließen sich tausend Einwände machen. Aber das mag wohl gut sein für die Herren, die ihre Weisheit aus dem Kreisblatt schöpfen und höchstens noch aus irgend einer konservativen Zeitung, die nur Gott und den Kaiser im Munde führt. Übrigens das vom Papste fanden Sie auch gut gesprochen?
Marit beeilte sich zu antworten.
– Ja gewiß; sie habe jetzt viel, sehr viel über alle diese Sachen nachgedacht, und sie müsse ihm völlig Recht geben. Ja, er habe in den meisten Dingen Recht, das habe sie nun eingesehen.
Falk sah sie verwundert an. Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Das war wirklich eine merkwürdige Metamorphose.
– Warum sind Sie diese ganzen zwei Tage lang nicht gekommen? Ich habe Sie fortwährend erwartet und mich unerhört gequält. Ja, ich habe mich sehr gequält, das muß ich Ihnen offen sagen.
– Liebes, gutes, gnädiges Fräulein, das werden Sie wohl am besten wissen. Ich wollte einfach die Ruhe Ihres Gewissens nicht stören. Ja, und dann, wissen Sie, bin ich sehr nervös und darf mich nicht allzusehr der süßen Qual hingeben, sonst könnte der Strang reißen.
Falk lächelte.
Inzwischen gesellte sich zu Ihnen der Redakteur. Er konnte den Trinkspruch auf den deutschen Kaiser nicht verdauen und wollte nun Falk aufs Glatteis führen.
– Er möchte doch wissen, wie Herr Falk sich zu den anarchistischen Mordtaten stelle. Er sei doch ein Seelenkenner, ein Psychologe; wie wolle er die erklären?
– Ja, Sie sind sehr wißbegierig, Herr Redakteur. Sie verlangen wohl nicht von mir, daß ich hier mein politisches Credo ablege; aber wir können ja die Dinge von einer Vogelperspektive aus betrachten.
Ich begreife die anarchistische Propaganda der Tat, denn um diese handelt sichs ja hier, sehr gut; ich begreife sie als eine unerhörte Empörung gegen die soziale Gerechtigkeit.
Ja, wir Satten, wir, die das Privileg haben, nichts zu arbeiten oder wenigstens uns eine Arbeit auszusuchen, die uns ein Genuß ist, wir nennen es Gerechtigkeit, wenn unsere Brüder in Christo um vier oder fünf